Das ist das Schöne an Europa: Man kann irgendwo was sagen und darauf hoffen, dass es keiner so richtig merkt. Zu unterschiedlich sind die Öffentlichkeiten und die jeweiligen Befindlichkeiten. Im Interview mit dem ungewöhnlichen Medien-Trio DER STANDARD, (seriös links), Kurier(Krawall) und Falter(Wiener Schmäh) in Wien sagt Jean-Claude Juncker:
„Ich fühle mich durch die Presse nicht eingeengt. Und ich will auch nicht, dass die Presse durch das politische System eingeengt wird. Das geht schief.”
Klar, in Wien kommt das gut an. Doch dann sagt Juncker auf die Frage nach Großbritannien, „wo es eine sehr freie Presse gibt, die aber stark die Brexit-Linie eingeschlagen hat, ist das nicht negativ?”:
„Die britische Presse ist so, dass ich mich darüber nicht auslassen werde. Sie ist in Teilen so, dass sie die Menschenrechte der politisch Handelnden überhaupt nicht respektieren. Pressefreiheit hat auch Grenzen. Ich weiß zwar nicht genau, wo sie verlaufen, aber man spürt, was man darf, was man muss.”
In Österreich ist das nicht aufgefallen, in Deutschland sowieso nicht. Erst Tage später kommt das Im britischen Guardian so an:
„Jean-Claude Juncker has insisted that there must be limits to the freedom of the press as he accused British media of trampling over the human rights of politicians.”
Der Guardian spielt das Thema groß. Briten sind empfindlich, wenn es um die Einschränkung der Freiheit geht: Juncker bestünde auf Grenzen der Pressefreiheit. Das hat er natürlich so gesagt – denn bekanntlich ist die britische Presse bissig – die österreichische zahm, die deutsche gleich ganz stumm. Gut, dass nach dem Brexit die Briten nicht mehr so lästig sind. Die Festlandspresse ist brav und gehorsam, ganz ohne Fesseln. Europa ist unterschiedlich, und ohne die Briten bald grau.
Kommissionspräsident Juncker verkündete in Österreich aber auch, er wäre dagegen, dass die EU an die Stelle der Nationalstaaten träte: also das Gegenteil dessen, was er seit jeher in Brüssel tut. Das sagte Juncker allerdings vor den Landeshauptleuten (Chefs der Landesregierungen). Beim ORF kriegt das dann die unverbindliche, weil so weit in die Zukunft schauende Version, die man dann auch wieder als das exakte Gegenteil interpretieren kann:
„In Österreich werde die Föderalität hochgehalten. In 40 bis fünfzig Jahren werde der Wettbewerb nicht mehr zwischen Ländern, sondern zwischen Regionen stattfinden, so Junckers Prognose.”
Das klingt natürlich wiederum anders: Nach einem Einheitsstaat, in dem es dann noch ein paar große Städte gibt und ein paar Regionen, die sich über die Parkplatzgebühren Wettbewerb machen dürfen, wenn es dem großen Bruder in Brüssel gefällt. Oder soll man sich besser nicht aufregen, wie es die Wiener vormachen?
In der dortigen Umgangssprache nennt man einen solchen Mann ein Plauschpeperl: jemanden, der viel sagt, wenn der Tag lang ist.
Das ist die österreichische Deutung. Man könnte auch die von Juncker selbst nehmen: Wenn es ernst wird, muss man lügen.
Aber leider macht es das nicht besser: Die einzelnen Staat und Öffentlichkeiten werden gegeneinander ausgespielt, und Junckers Kommission macht was sie will. Damit hat der Plauschpepperl aus Versehen doch die Wahrheit gesagt.