Es ist eine paradoxe Situation: Schneidet die CSU bei der Landtagswahl am 14. Oktober gut ab, ist das schlecht für die Unions-Kanzlerin Merkel. Geht die CSU baden, wirkt das für Merkel wie eine Extraportion Patex: Dann klebt sie noch fester auf ihrem Sessel.
Denn klar ist, dass die CSU weitgehend einen Wahlkampf gegen Merkel geführt hat: Der CSU-Vorsitzende und Innenminister Horst Seehofer ist die leibgewordene Opposition im Kabinett zu Merkels Einwanderungspolitik, eine Opposition, die allerdings wirkungslos ist. Eine Stimme gegen die CSU ist damit eine Stimme für Merkel – weit hat die CDU-Bundesvorsitzende es gebracht: Weniger Unionswähler sind für sie persönlich ein Machtzugewinn. Noch abstoßender kann Politik kaum sein.
Aber was ist nun ein „gutes“ oder „schlechtes“ Wahlergebnis für die CSU? Umfragen taxieren sie auf 35 Prozent – das ist gut, sogar sehr gut, gemessen daran, dass die Union es ansonsten bei Landtagswahlen nur noch auf rund 25 Prozent bringen dürfte; im Osten sogar weit weniger. Gleichzeitig ist es nach den Maßstäben der CSU ein katastrophales Ergebnis, denn eigentlich hat sie absolute Mehrheiten abonniert.
Medien verbergen die 25%-CDU hinter der 35%-CSU
Es kommt also auf die Interpretation an. Seit Wochen wird daher in den Leitmedien über den Absturz der CSU geschrieben, weil sie gegen Merkel opponiert. Dass die CDU noch viel tiefer gefallen ist – blenden die Leitmedien aus. In ihrer und anderer Medien Sicht ist Bayern ein fernes Land, über das mit so viel Kenntnis berichtet wird wie sonst nur über Bangladesh.
Das gilt auch für den Herausforderer AfD: Die liegt in den Umfragen deutlich unter den Prozenten, die in anderen Bundesländern für sie ausgewiesen werden. Der „Rechtsruck“, für den die CSU also gerne gescholten wird, ist also gar nicht so erfolglos – sie ist stärker als ihre lahme Schwesterpartei, und die AfD wird kleiner gehalten als anderswo.
Aber ob es so kommt? In Zeiten des veröffentlichten Meinungsdrucks sind Wahlprognosen unsicher. Sich bei Befragungen zur AfD zu bekennen erfordert Mut – selbst bei Meinungsumfragen fühlen sich viele Bundesbürger nicht mehr sicher. Öffentliches Bekenntnis und Wahlabsicht fallen immer weiter auseinander. Zwar korrigieren viele Wahlforscher daher die zunächst erfragten „Rohdaten“ mit Erfahrungswerten – aber für die AfD gibt es naturgemäß keine wirklichen Erfahrungswerte, zu jung ist die Partei. Wahlprognosen ähneln daher immer mehr einer Meinungsumfrage unter Meinungsumfragern; statt echter Daten werden Fassungen veröffentlicht, die „bereingter” sind denn je.
Den Gegner bekämpft die CSU nie zimperlich
Trotzdem ist klar, dass Bayern für die AfD schwieriges Gelände ist. Denn die CSU hat Erfahrung mit Parteien, die um ähnlich gepolte Wähler konkurrieren. So gelang ihr 1959 mit „kriminellen Mitteln“ (so damals die Süddeutsche Zeitung) ein vernichtender Schlag gegen den damaligen Erzkonkurrenten, die katholisch-altbairische „Bayernpartei“. Ein Teil der Parteispitze der BP wurde am 8. August 1959 in der „Spielbankenaffäre“ wegen eidlicher Falschaussage zu erheblichen Zuchthausstrafen verurteilt, was die CSU medienwirksam für sich zu nutzen wusste.
Aber selbst der ehemalige CSU-Ministerpräsident und Justizminister Hans Ehard nennt diesen Richterspruch später „ein barbarisches Urteil“. Denn: „Man hat die beiden Politiker im Untersuchungsausschuss in Nebensächlichkeiten drauf losschwören lassen. Es ist doch vergleichsweise ganz wurscht ob einer gelbe Stiefel angehabt hat oder rote.“[ Die CSU hatte vorher systematisch Belastungsmaterial gegen die BP gesammelt und war in die undurchsichtige und für die CSU günstige Aufdeckung des Falls verwickelt. Der damalige CSU-Generalsekretär Friedrich Zimmermann, wurde zwar kurze Zeit später ebenfalls wegen Meineids in erster Instanz zu einer (vergleichsweise geringen) Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt, dieses Urteil wurde jedoch in zweiter Instanz aufgehoben, da Zimmermann in der entscheidenden Phase seiner Aussage gegen die Bayernpartei laut eines nachträglich beigebrachten Gutachters wegen Unterzuckerung einen Blackout hatte. In seiner Gesamtwürdigung der Verhandlung hielt das Gericht allerdings fest: „Es kann keine Rede davon sein, dass die Unschuld des Angeklagten erwiesen wäre…“. Zimmermann wurde unter Helmut Kohl immerhin noch Bundesinnenminister.
Der Rückgriff in die filmreife Geschichte ist deshalb wichtig, weil gerade der bayerische Landesverband der AfD immer wieder über tatsächliche oder angebliche Mitglieder stolpert, die innerparteiliche Wahlergebnisse verfälschen oder genau jene Formulierungen liefern, die die Partei als unwählbar erscheinen lassen. Es ist eine seltsame Scharade von immer denselben Personen, die an immer neuen Stellen oder Positionen auftauchen – neuerdings bevorzugt in der Nähe des weit radikaleren Björn Höcke und seines thüringischen Landesverbands. Möglicherweise wird über diese Brücke doch noch der Verfassungsschutz medienwirksam auf die AfD angesetzt.
Mit der CSU ist eben nicht gut spaßen, und nach Jahrzehnten ungestörten Regierens sind Partei, Staat und Behörden eng ineinander verwachsen. Und an einem hat die CSU bislang keinen Zweifel gelassen: Ähnlich wie einst die Bayernpartei betrachtet sie die AfD nicht als möglichen Juniorpartner zur Mehrheitsbeschaffung – sondern als Feind, der vernichtet gehört: „AfD unterscheidet sich nur noch im Parteinamen von der NPD“, formulierte der CSU-Generalsekretär Markus Blume schneidig und damit auch die inneren Attacken auf die AfD legitimierend. Es war die erbitterte Antwort auf die AfD-Behauptung, dass Franz-Josef Strauß AfD gewählt hätte, der große Strauß, von dem die CSU laut redet und von dem sie froh ist, dass sie ihn los hat. Aber solche Behauptungen sind Gotteslästerung – aber wer glaubt nicht gern einen ordentlichen Fluch im katholisch geprägten Bayern?
Mit wem koaliert die CSU?
Damit allerdings hat Blume wenigstens eins für die Zukunft klargestellt: Eine Koalition mit der AfD gibt es nicht. Aber mit wem dann? Vordergründig bieten sich die Freien Wähler an. Auf kommunaler Ebene stehen sie für rund 20 Prozent der Stimmen; bodenständig und ortsverbunden, aber ohne Profil. Erst seit 2008 sitzen sie im Landtag und erzielten bei der Landtagswahl 2013 mit 9,0 % der Wählerstimmen und 19 Mandaten den dritten Platz vor den Grünen, die 18 Mandate erhielten. Allerdings – auch zwischen den politisch sich ähnlich darstellenden Freien Wählern und der CSU gibt es erbitterte Rivalität. Inhaltliche Nähe übersetzt sich in schärfste Abgrenzungsdebatten. Trotzdem können die Freien Wähler als eine Art AfD-light Stimmen sammeln, die der CSU fehlen. Aber zu einer mehrheitsfähigen Regierung reicht es gerade deswegen nicht – Stimmentausch schafft keine Mehrheit. Es sei denn, die Linke wie die immer wieder vergeblich antretende Bayernpartei erhalten zusammen 9%, die wegen der 5-Prozentklausel verloren gehen: Dann könnte es mit 45,5 Prozent für eine Regierungsbildung von CSU und Freien Wählern reichen.
FDP wieder Zünglein an der Waage?
Ansonsten käme der FDP eine Schlüsselrolle zu – wenn die FDP nicht die FDP wäre. Sie hatte zwar vier Jahre einen erfolgreichen Vorsitzenden, den Unternehmer Albert Duin, ein Selfmademan, der erst spät zum Start-Up-Unternehmer wird. Der übernahm in einem Überraschungscoup 2013 die damals am Boden liegende Partei; hemdsärmlig, direkt, zielorientiert wie man eben ein mittelständisches Unternehmen zum Erfolg führt. Duin, der eigentlich aus Emden stammt, ist das, was man in Bayern ein Mannsbild nennt und gerne wählt: Schon von der Statur her weißbierverträglich und umgänglich, in der Ansprache direkt, schafft er es, so lässig bayrisch aufzutreten dass er Alteingesessene mitnimmt und Zuzügler nicht ausschließt. Aber Erfolg ist das in der bayerischen FDP meistgehasste Rezept; im Hintergrund zieht immer noch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die Fäden, als zweimalige Bundesjustizministerin eine jener Politikerinnen, die vormachen, wie man jede Partei ruinieren kann. Erfolgreich wurde Duin aus der Bundespartei fern gehalten und auf Platz 2 der Landesliste abgeschoben hinter den komplett unbekannten und farblosen Martin Hagen: Einer der smarten Anzugsträger, an die man sich nicht erinnert und die austauschbar durch alle Parteien geistern.
Neben Duin zieht noch Focus-Herausgeber Helmut Markwort für die FDP in den Wahlkampf – mit einem knallgelben Wahlkampfmobil und dem Slogan „Fakten in den Landtag“; Ähnlichkeit rein zufällig, aber gerne gewollt. Möglicherweise hätte das Duo Duin / Markwort Chancen auf Erfolg, dem sich die verkniffenen Bayern-FDPler aber nicht gerne gönnen können. Schaffen es die beiden, wird es bunt im Landtag mit zwei wortgewaltigen Unangepassten, die so gar nicht in das Klischee der Politischen Korrektheit passen – aber ebenfalls nicht leicht für die CSU würde es mit solchen Köpfen.
Popularität und Volksnähe ist ja ein Gemisch, das neue deutsche Politiker verabscheuen, fürchten und daher verdammen. Das Charisma des erfolgreichen Unternehmers oder des legendären Journalisten erwirbt man eben nicht in den Hinterzimmern, in denen heute Politiker gezeugt werden. So entstehen Papiertiger, die sie nicht haben, jene seltene Fähigkeit, dem „Volk aufs Maul zu schauen aber ihm nicht nach dem Mund reden“. Das Wort allerdings verwendete Franz-Josef Strauß – adaptiert von Luther.
Es läuft auf Schwarz-Grün zu
Und so steuert die CSU unausgesprochen auf eine Koalition mit den Grünen zu. Deren Doppelspitze besteht aus den üblichen grün angemalten, fröhlich und aufgeschlossen wirkenden, dabei vollkommen geschlechts- wie eigenschaftslos wirkenden Playmobil-Figuren, die auch in Berlin und anderswo die neuen Grünen darstellen: Sie machen auf fröhlich, wo ihre Vorgänger böse Gesichter und verbissene Mienen trugen.
Die Grünen werden auch in Bayern buchstäblich herbeigeschrieben – in München soll das schwarz-grüne Medienprojekt gelingen, das wegen der FDP in Berlin scheitern musste. Dass die Grünen im ZDF-Institut am höchsten bewertet werden, dürfte weniger demoskopische Gründe haben (Daten auf Wahlrecht.de).
In Umfragen kommt das nicht schlecht an – die Grünen treffen auf eine Wählerklientel, die genau das braucht: Erst werden ältere Münchner mit ihrem Zamperl aus ihren Wohnungen, Wohnvierteln und Wirtschaften gemobbt – anschließend aus den schicken Lofts bei Cafe Latte die Gentrifizierung beklagt. Die Wähler, die den Sound von Einwanderung und Globalisierung nicht so gut vertragen, müssen eben den im öffentlichen Dienst gut Verdienenden weichen, so was nennt man Fortschritt, und dafür gibt es dann grüne Punkte.
Solche Koalitionspartner könnten der CSU gut passen: Ein bisserl grünes Halligalli hilft, und die Macht geht von Markus Söder aus. Denn der ist augenblicklich dabei, alle irgendwie verfügbaren Positionen mit eigenen Vertrauten zu besetzen. Denn Söder ist nicht der tumbe, nur karrieregeile Machtbesessene, als der er gern hingestellt wird: Durchaus nachdenklich, aber auch knallhart und geschult in der bayerischen Staatspartei CSU, überlässt er nichts gerne dem Zufall. Auch nicht für den Tag danach.
Und genau daraus erwächst dann eine letzte Chance für die CSU: Seit ihre Allmacht im Freistaat bedroht ist, wird sie auch für entschiedene Gegner wieder wählbar. Denn besser als die Grünen oder die Lachnummer, die sich in Bayern SPD nennt, hat sie das Land allemal voran gebracht.