»Ich hoffe, dass man nicht weiterhin den Fehler begeht, den man im Moment laufend begeht: die AfD zu einer rechts-radikalen Partei zu machen. Es geht um das Erwachen des konservativen Bewusstseins. Konservativ ist, wer die Gewaltenteilung in allen Bereichen ernst nimmt.«
Rüdiger Safranski in DER SPIEGEL 12/2018, „Es gibt keine Pflicht zur Fremdenfreundlichkeit“
»Alles Nazis! Außer Mutti«, witzelt der Journalist und Schriftsteller Thomas Rietzschel auf Achgut.com, und in Bezug auf die überaus erfolgreiche Ausgrenzung konservativer Positionen fragt der Autor: »Wo wäre da noch ein wortgewaltiger Politiker, der dem entgegenhielte, dass der Konservativismus ein konstituierendes Element jeder Demokratie ist, insofern er auf der Bewahrung jener Werte beharrt, ohne die das demokratisch verfasste Gemeinwesen gar nicht bestehen könnte. Nicht zu reden davon, dass eine Demokratie, will sie den Namen verdienen, vor allem anderen eines sein muss: eine populistische, also volksnahe Staatsform.«
Heute gibt es kein »rechts« mehr, das irgendwie okay wäre. Jedes Kind hat die vermeintliche Bedeutung politischer Richtungsanagaben verinnerlicht: »Links« bedeutet so etwas wie barmherzig, modern und gerecht. »Rechts« bedeutet so etwas wie egoistisch, gestrig und missgünstig. Nur ein Idiot würde sich angesichts dieser Zuschreibungen freiwillig rechts verorten. Konservativ, patriotisch oder rechts zu sein, was an sich noch kein Verbrechen ist, ist angesichts dieser Zuschreibungen unmöglich geworden. Dass erst ein gewisses Maß an »rechts« ein »links« ermöglicht und ein Übermaß an »links« wiederum »rechts« bedeutet (und vice versa …), ist den meisten Menschen bereits viel zu kompliziert. Doch die Wirklichkeit ist de facto weitaus komplexer, als es vielen guten Menschen lieb ist. Zu diesem Thema schreibt Maxim Biller in der Zeit:
»In keinem Land der Welt gibt es so wenige Unterschiede zwischen Linksextremen und Rechtsextremen wie in Deutschland. Ich habe in meinen Kolumnen so viel angeschrieben gegen diese verschwommene Grenze zwischen Links und Rechts.«
Tatsächlich erkennen extreme linke und rechte Gruppen regelmäßig ideologische Schnittmengen und kommen wechselseitig auf die Idee, ihre Kräfte synergistisch zu bündeln. Die meisten Freund-Feind-Kennungen enden früher oder später ohnehin in antisemitischen und/oder antidemokratischen Modellen, denn mit zunehmend rechter wie linker Radikalisierung erscheint der ausgemachte Gegner, das »Schweinesystem«, größer als die gefühlten Unterschiede beider Gruppen. Wie überaus nah wiederum muslimische rechte Gruppen der klassisch faschistischen Ideologie stehen, wird jeden erschrecken, der sich diesbezüglich schlaumachen möchte. Interessanterweise sind linke Medien auffallend zurückhaltend mit der Berichterstattung über islamofaschistische Gruppierungen, die auch in Deutschland sehr aktiv sind. Da die tatsächliche, bizarre und invertierte Rechts-links-Paradoxie das schöne geordnete Weltbild zwischen Gut und Böse stört, hat man sich im Lager der guten Bürger auf eine wesentlich simplere Formel geeinigt, sie lautet: »Rechts = Nazi«.
Und die sind heute zurück im Reichstag! Schnappatmung und Panik allerorten. Nun gilt es, Flagge zu zeigen! Diesmal nicht! Wehret den Anfängen! Ein Volk von Widerstandskämpfern steht auf, geschlossen in den Reihen und über alle Parteigrenzen hinweg. Für ein Deutschland der Menschlichkeit und gegen die »Antidemokraten«.
In Bezug auf den neuen Bundestag heißt es, der AfD müsse man es nun zeigen, sie auf ihren Platz verweisen, sie offen stellen, an die kurze Leine legen, nicht das Geringste durchgehen lassen, sie erziehen … Wem es noch nicht aufgefallen ist – diese Maßnahmen empfehlen sich für den Hundeplatz. Ob sie zudem auch für den Bundestag geeignet sind? Dompteur in der Manege soll einer sein, der sich mit rechten und linken Hunden auskennt: Wolfgang Schäuble. Weggelobt ins Amt des Bundestagspräsidenten, einer der Letzten der alten Garde, der Merkel überhaupt noch gefährlich werden könnte. Denn Schäuble gehört noch zu einer nicht gänzlich domestizierten Männergeneration. Viel lieber umgibt sich Merkel mit ihren Dickerchen aus der Babyboomer-Generation, die nichts daran finden, für ihre Chefin niedliche CDU-Schildchen mit dem Aufdruck »voll muttiviert« drucken zu lassen. Tatsächlich besteht die neue Regierung inzwischen fast ausnahmslos aus Babyboomern, mit einem Durchschnittsalter von 50 Jahren.
Unisono alle Eliten, also Parteien, Medien, Künstler und die Regierung sowieso, haben alles getan, um die neue Partei zu diskreditieren. Obgleich man hierbei überaus populistisch vorging, war dieses Attribut einzig im Zusammenhang mit der AfD erlaubt. Ohne den Zusatz »rechts-populistisch« oder »rechts-extrem« kam keine Berichterstattung über die AfD aus. Im Umgang mit der AfD fuhren die etablierten Medien eine Doppelstrategie aus totschweigen und aktiv diffamieren. Auch in Bezug auf die Berichterstattung zur AfD nimmt die Studie der Otto-Brenner-Stiftung Stellung. Zur viel beachteten Studie schreibt die Zeit:
»Bestimmte Standpunkte seien nicht bloß ignoriert, sondern auch diffamiert worden. Die Berichterstattung über die AfD etwa, meint [Michael] Haller, neige zu Ausgrenzung und Stigmatisierung. ›Dies gilt im Übrigen auch sehr deutlich für die Bildersprache, die wir ebenfalls untersucht, aber nicht in den Bericht aufgenommen haben.‹ Der von FAZ, SZ und Welt gestiftete Diskurs sei ›nicht integrierend, sondern segmentierend‹ verlaufen. Denn: ›Ausgeschlossen wurden nicht nur Radikale, sondern auch politische Akteure, die keinen fremdenfeindlichen Parolen folgten.‹«
Im Wahljahr 2017 Parteivertreter der AfD gar nicht erst zu Wort kommen zu lassen schien oberstes Gebot zu sein. Eine Statistik der Partei-Talkshow-Gäste von 2017 zeigt, wo die Vorlieben der Medienmacher lagen: CDU-Vertreter hatten 120 Auftritte, SPD immerhin noch 83, gefolgt von den Grünen mit 48 Auftritten, dann die FDP mit 35 Auftritten, Linke mit 27 Auftritten, Schlusslicht war die AfD mit ganzen 10 Auftritten. Doch selbst in den wenigen Auftritten, die man AfD-Vertretern zugestand, ließ man vorsichtshalber gar nichts anbrennen. Die Quote der anwesenden Gegner zum AfD-Politiker lag mindestens bei 5:1. Die AfD-Frau oder der AfD-Mann wurde gnadenlos niedergeredet. Eine quasi religiöse Einigkeit der Medien und Eliten sollte jeden Freidenker stutzig machen. Gibt es das wirklich, das absolute Böse, das man ausgrenzen, niederreden und diffamieren muss?
80 Prozent des AfD-Wahlprogramms von 2017 hätten aus dem CDU/CSU-Wahlprogrammen von 2002 stammen können. Wesentlich kurioser als das Programm der AfD ist die Tatsache, dass dessen Inhalte einstmals Kernthemen der heute grün angelaufenen Kanzlerin waren.
2002 warnte Angela Merkel im deutschen Bundestag eindrücklich vor einer neuen Einwanderungswelle und behauptete, zuerst müsse man sich um die offensichtlich nicht geglückte Integration der hiesigen Migranten kümmern. Und 2005 erklärte sie, die Laufzeitverlängerung für deutsche Kernkraftwerke sei vollkommen alternativlos. De facto rettet Merkel heute einzig die Vergesslichkeit ihrer »mündigen Bürger«. Die Aussagen ehemaliger CDU-Mitglieder, die heute in die AfD gewechselt sind, finde ich überaus nachvollziehbar. Diese stellen unisono fest, dass sie sich keinen Deut nach rechts bewegt haben, vielmehr sei ihre ehemalige Partei unkontrolliert nach links gedriftet.
Trotzdem gibt es sie noch, die »Last Men Standing« der CDU. Ein mutiges letztes Grüppchen, das sich darauf besinnt, was die Partei vor Merkel ausgemacht hat und was das »C« im Namen bedeutet: »WerteUnion – Freiheitlich konservativer Aufbruch«. Der sympathische Bundesvorsitzende Alexander Mitsch bezeichnet sich trotz jahrelanger Profikarriere bei der CDU inzwischen als »Hobbypolitiker«. Mitsch vergleicht die Herkulesaufgabe, die CDU vom Linkskurs zurück in die konservative Mitte zu ziehen, mit einem Marathonlauf, bei dem jetzt schon die Knie schmerzen.
Heute ist eben alles anders. Ginge es nach den Maßstäben der linksgrünen politischen Korrektheit, müsste man selbst so integre Männer wie Helmut Schmidt oder Helmut Kohl auf dem Scheiterhaufen verbrennen: »Wer die Zahlen der Moslems in Deutschland erhöhen will, nimmt eine zunehmende Gefährdung unseres inneren Friedens in Kauf« (Helmut Schmidt, »Außer Dienst« 2008). »Die Zahl der Ausländer in Deutschland muss halbiert werden« (Helmut Kohl, Die Welt, 17.3.1983). Inzwischen will man von alledem nichts mehr wissen; es gibt sogar immer mehr Tendenzen, die ehemaligen Heroen vom Sockel zu stoßen. Nach dem Fall des rechtsextremen Franco A. in der Bundewehr ging man nicht etwa als Erstes dem eigentlichen Skandal nach, der Frage nämlich, wie es um die deutschen Asylbehörden bestellt ist. Denn wie war es überhaupt möglich, dass sich kurzerhand ein deutscher Bundeswehrleutnant, der kein Wort Arabisch spricht, mal eben als arabischer Flüchtling registrieren lassen konnte? Statt dieser wichtigen Frage nachzugehen, startete Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen als erste Amtshandlung eine Reinigungswelle gegen rechte Umtriebe in der Bundeswehr. Und siehe da – Nazizeugs überall! Zum Opfer der Säuberung fiel dann auch das jahrzehntelang hängende Foto von Helmut Schmidt, das ihn in Luftwaffenuniform der Wehrmacht zeigte. Volksheld hin und Flutkatastrophe her – das »Nazifoto« von Schmidt musste weg.
Man muss die konservativen Positionen der AfD nicht mögen und man muss sie auch nicht teilen – die Partei pauschal als das Böse unter der Sonne zu diffamieren ist jedoch unredlich und falsch. Dabei ist es unstrittig, dass die AfD tatsächlich rechtsextreme Mitglieder in ihren Reihen hat. Nach meinem subjektiven Überschlag sind es vielleicht 15, möglicherweise sogar bis zu 20 Prozent. Dies ist bedauerlich, aber für eine neue Partei im rechten Spektrum nicht wirklich ungewöhnlich. Einen ähnlichen Prozentsatz untragbarer Kräfte hatten die Grünen in ihren Gründungsjahren auch, man denke nur an den Pädophilie-Skandal. Zudem gibt es Parteien wie die Linke, die ohnehin einen festen Prozentsatz antidemokratischer Kräfte in ihren Reihen duldet, worüber sich niemand echauffiert.
Die große Angst der Linken und anderer Parteien ist jedoch, dass sie an obigen gesunden Selbstregulationsmechanismus nicht glauben. Die Skepsis gegenüber dem natürlichen Mechanismus zur Wachstumsbegrenzung allzu extremer Positionen ist einem tiefen Misstrauen gegen das eigene Volk geschuldet. In einem seiner letzten öffentlichen Auftritte bei Frank Plasberg (»hart aber fair«, Thema »Deutschland schafft sich ab«) geriet der berühmte Historiker Arnulf Baring fast in eine persönliche Verzweiflung über ebendieses Misstrauen gegenüber der deutschen Bevölkerung. Auf die Gefahr nach Rechtsradikalität, die sich eben nicht mehr einpendelt, antwortete Baring:
»Nein – das ist ja Unsinn! Es gibt weder ein intellektuelles noch ein personelles, noch ein finanzielles Raster für eine solche Entwicklung – das ist wirklich in Deutschland ausgestanden! […] Das Thema einzig als ein rechtsradikales anzugeben ist eine Verhöhnung der berechtigten Unruhe in der Bevölkerung, da dürfen sie sich nicht dazu bereit erklären!«
In Kürze wird sich jedenfalls zeigen, ob ich mit meiner These und Hoffnung bezüglich der Selbstregulation gegen extreme Kräfte innerhalb der AfD richtigliege. Seit kurzem erhöhen sich die Spannungen. AfD-Mitglieder, die eine legitime, konservative Alternative nach dem Muster der CDU vor 2002 aufbauen wollen, sehen sich Kräften gegenüber, die tatsächlich keine ausreichende Abgrenzung zum Nationalsozialismus aufbringen können oder wollen. Seit der Parteigründung hat es mehrere Wellen gegeben, in denen Vorstände und Mitglieder der AfD versucht haben, dem von außen herbeigerufenen Rechtsdrall ihrer Partei zu entkommen. Auf der Pressekonferenz zu ihrem Buch »Deutschland gehört auf die Couch!« schilderten die ehemaligen AfD-Gründer Hans-Olaf Henkel und Joachim Starbatty eindrucksvoll diesen Prozess und begründeten ihren Austritt aus der Partei.
Leider kommt man nicht umhin festzuhalten, dass Alexander Gauland mit Beiträgen wie seiner »Vogelschiss-Rede« derartige Anstrengungen konterkariert. Gauland sagte: »Wir bekennen uns zu der Verantwortung für die 12 Jahre. Aber, liebe Freunde, Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.« In erster Linie beleidigt Gauland natürlich Hitler und die Nazis, indem er sie als »Vogelschiss« bezeichnet. Doch man kann aus dem Gesagten auch hören: Der Nationalsozialismus und damit der Holocaust wären lediglich ein Vogelschiss gewesen. Genau diese mangelnde Trennschärfe, oder bewusste Provokation, macht es Gegnern der Partei so leicht, die AfD pauschal zu diskreditieren. Natürlich hat Gauland recht, wenn er sagt, dass man deutsche Identität und Kultur nicht auf 12 Jahre Nazidiktatur verengen darf, dennoch ist es völlig unakzeptabel, eine der größten menschlichen Katastrophen, auch für die Deutschen selbst, als »Vogelschiss« zu bezeichnen. Folgerichtig kommentiert der Chefredakteur des Cicero, Christoph Schwennicke: »Die Monstrosität der Verbrechen des Nationalsozialismus in Deutschland bemisst sich nicht in Jahren, sondern in Menschenleben.«
Auszug aus: Raymond Unger, Die Wiedergutmacher. Das Nachkriegstrauma und die Flüchtlingsdebatte. Europa Verlag, 396 Seiten, 22,- €.