Es gibt Videoaufnahmen, auf denen man eine kleine Horde Männer im Halbdunkel sieht, die «Nationaler Sozialismus, jetzt» grölen. Echt jetzt? In der ehemaligen DDR soll es Menschen geben, die eine Neuauflage des nationalen Sozialismus, also des ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschen Boden, wünschen? Könnte es sich dabei um die ganz linke Fraktion der Partei «Die Linke» handeln, aber wo war dann Sarah Wagenknecht? Oder Oscar Lafontaine?
Ach nein, es soll sich um eine Horde von Rechtsradikalen, von Neonazis gehandelt haben. Also die gleichen Hohlköpfe, von denen einige den Hitlergruss zeigten, sich dabei erwischen liessen und völlig zu Recht bestraft wurden. Nicht nur, weil der Hitlergruss in Deutschland unter Strafe steht. Sondern weil das nun wirklich dümmer ist als die Polizei erlaubt. Auch den Slogan «Nationaler Sozialismus, jetzt!», skandiert von Idioten, muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Natürlich, das soll stellvertretend für «Nationalsozialismus» stehen, aber das macht es nicht besser.
Wer also heutzutage pseudo-nationalsozialistische Parolen brüllt oder den Arm zum Hitlergruss erhebt, ist ein politischer Irrläufer, ein Vollidiot, der weder weiss, was Sozialismus ist, noch was Nationalsozialismus war, noch was Faschismus ist, noch was für ein Verbrecher und Versager Hitler war. Es mag ja auch Dummköpfe und politische Tiefflieger in der AfD geben. Aber ernsthaft zu behaupten, dass die AfD den Schulterschluss mit diesen Verlierern suche, ernsthaft zu behaupten, wer die AfD wähle, wähle Nazis, ernsthaft zu behaupten, die AfD-Fraktion im Bundestag sei eine Wiedergängerin der NSDAP, wer das sagt, ist entweder selbst ein Hohlkopf – oder ein übler Demagoge.
Wahrscheinlich aber sind alle die, und es sind nicht wenige, die immer und immer wieder die Nazikeule schwingen, sowohl unterbelichtet wie auch demagogisch. Unterbelichtet deswegen, weil auch die Wiederholung eines Vorwurfs, der mit der Realität wenig bis nichts zu tun hat, ihn nicht besser oder wirkungsvoller macht. Im Gegenteil, die AfD kann sich dank Schulz und Konsorten nicht nur als Protestpartei, sondern auch als Opfer von üblen Verleumdungen gerieren. Während sich die überschaubare Anzahl von Neonazis wundern, also die wenigen, die etwas zwischen den Ohren haben, wieso überall in den Leitmedien vor ihnen gewarnt wird, obwohl sie keinen merklichen Zulauf konstatieren können.
Früher einmal wurden politische Debatten scharf und polemisch geführt. Nicht immer sachlich, aber in erster Linie als Schlagabtausch mit Argumenten. Besser oder schlechter rhetorisch verpackt. Aber die Methode war, Ausnahmen bestätigen die Regel: Mein politischer Gegner sagt A. Das ist falsch, weil. Deshalb muss man B sagen, denn das ist richtig, weil. So war das mal. Heute werden keine argumentativen Debatten mehr geführt, Ausnahmen bestätigen die Regel, sondern: Es wird immer auf den Mann (und natürlich auch auf die Frau) gespielt, genauer: auf die vermutete, unterstellte Gesinnung.
Es geht nicht mehr darum: Wer die Masseneinwanderung kritisiert, liegt damit falsch, weil. Sondern es geht um: Wer das tut, ist von niedriger Gesinnung, wohl ein Fremdenfeind, möglicherweise ein Rassist, vielleicht auch ein Neonazi. Hat jemand die Möglichkeiten, beispielsweise die Masseneinwanderung auch öffentlich zu kritisieren, dann ist er zudem auch noch ein Hetzer, ein Rechtspopulist und ein Unmensch. Auf die möglicherweise vorhandenen Argumente gegen eine Masseneinwanderung muss so nicht eingegangen werden.
Es ist in der Geschichte nichts Neues, dass nicht genehme Meinungen ausgegrenzt, unterdrückt, denunziert werden. Es ist nichts Neues, dass Meinungsträger auch persönlich angegangen werden, versucht wird, ihre bürgerliche Existenz zu vernichten oder gar den Menschen selbst. Aber: Wenn diese Meinungen Wirklichkeiten widerspiegeln, dann ist jeder Versuch vergebens, sie zu unterdrücken. Im Besitz der Deutungshoheit in der veröffentlichten Meinung zu sein, bedeutet nicht, die Realität abzubilden oder gar im Griff zu haben. Die schrille Stimmlage, ja die Hysterie des neuen Justemilieus, das sich im Besitz der Wahrheit über das Gute und daher im Abwehrkampf gegen das Böse sieht, weist auf zunehmende Verzweiflung hin.
Selbst in den Stürmen vor dem Untergang des sozialistischen Lagers war die Stimmlage nicht so verzweifelt, die DDR feierte noch mehr oder weniger in Ruhe ihren 40. Geburtstag, bevor sie dann mit dem leisen Seufzer «ist das sofort, unverzüglich» zusammenbrach. Das ist bei der Linken in Deutschland anders. Die Partei «Die Linke» beweist einmal mehr, dass man Sektierer nicht daran erkennt, dass sie klein sind, sondern dass sie klein bleiben wollen. So denkt «Die Linke», trotz Regierungsbeteiligungen, nicht im Traum daran, einmal die absolute Mehrheit zu erringen. Ganz anders die SPD. Ihr bestes Wahlresultat, Genossen, schliesst schamvoll die Augen, war mal 45,8 Prozent. Ihre sozialistischen, bzw. sozialdemokratischen Schwesterparteien in Frankreich oder Italien haben sich fast aufgelöst, die stolze deutsche Arbeiterpartei arbeitet kräftig daran.
Was wird kommen? Das ist, wie immer in Umbruchszeiten, schwer zu prognostizieren. Aber zwei Dinge sind sicher: Es wird weder ein neuer Nationalsozialismus noch ein neuer Sozialismus auf deutschem Boden kommen. Viel gefährdeter ist die Demokratie in Deutschland. Obwohl sie so tut, als sei sie alternativlos, kann sie natürlich zuschanden geritten werden. Von den Altparteien, die den Staatsbürgern vorführen, dass mit ihnen kein Staat zu machen ist. Dass sie trotz eines halben Sozialismus in Deutschland, denn der Staat beherrscht rund die Hälfte des Bruttoinlandprodukts, nicht in der Lage sind, fundamentale Staatsaufgaben wie die Instandhaltung der Infrastruktur, von Schulen und Krankenhäusern und von Recht und Ordnung zu erfüllen. Von der Altersversorgung ganz zu schweigen.
Man kann es nicht oft genug wiederholen: Nach allen Umfragen und Sorgenbarometern ist die Angst vor Altersarmut, die im Übrigen berechtigte Angst, das Anliegen Nummer eins der Deutschen. Dazu fällt weder den Altparteien noch der AfD etwas Sinnvolles ein. Dazu kann keiner politischen Partei etwas Sinnvolles einfallen, da die einzige Lösung im Einschenken der bitteren Wahrheit bestünde: Nur eine kräftige Verlängerung der Lebensarbeitszeit, begleitet von deutlich gehobenen Beiträgen und eine Verminderung der Renten im zweistelligen Bereich könnte verhindern, dass das Kartenhaus der Sozialversprechen, die durch nichts gedeckt sind, ausser durch Schuldenmachen, zusammenfällt. Das müsste zudem einhergehen mit einer deutlichen Verminderung der Umverteilung durch Sozialleistungen. Da aber rund die Hälfte aller Stimmbürger von Sozialleistungen in der einen oder anderen Form profitieren, könnte sich eine Partei, die das zum Wahlprogramm macht, auch gleich auflösen. Hier kommt, das ist offenkundig, die repräsentative Demokratie, wie sie Deutschland seit 1945 kennt, an ihre Grenzen. Das sind die wahren Probleme, die von hysterischem Gekreische über angeblich bedrohliche Alt- und Neunazis übertönt werden. Dadurch aber nicht verschwinden, sondern wachsen.