Wissenschaftler des Instituts für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie der Universität Bonn haben soeben festgestellt: Das Erlernen des (Recht-)Schreibens nach der Methode „Lesen durch Schreiben“ und nach der Methode „Rechtschreibwerkstatt“ ist dem herkömmlichen, „systematischen Fibelansatz“ weit unterlegen. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung von gut 3.000 Grundschulkindern in NRW.
Ist dieses Ergebnis eine Überraschung? Keineswegs! Erfahrene Lehrer und vernünftige Eltern wissen es seit Jahren, aber sie vermochten gegen den Innovations- und Karrieredrang mancher „moderner“ Pädagogen und Bildungs-„Wissenschaftler“ nichts auszurichten. Man beruft sich in diesen Kreisen auf Leute wie den Schweizer „Reformpädagogen“ Jürgen Reichen (1939 – 2009) und auf den deutschen Grundschuldidaktiker Hans Brügelmann. Mit Hilfe einer bebilderten Anlaut- und Buchstabentabelle sowie einem „Buchstabentor“ (A/a für Affe und Ameise, Ch/ch für Chinese, I/i für Indianer und Igel, S/s für Sonne usw.) dürfen Schüler bis in die dritte Grundschulklasse hinein Lautketten bilden und so schreiben, wie sie hören.
Nichts ausrichten konnten erfahrene Lehrer und viele Eltern auch gegen die euphorischen Versprechungen der Protagonisten des „Lesens durch Schreiben“ (Synonyme: „Schreiben nach Gehör“ bzw. „phonetische Schreibweise“), die da lauten: Damit würden die Kinder freier, unkomplizierter, origineller und kreativer mit der Sprache umgehen. „Kreativer“, ja, das kann man wohl sagen, wenn wie folgt geschrieben wird: „Wia gen in den tso.“ „Dort Gips keine Fögel.“ „Schraip widu schprichsd.“ „Wi schaibst dueden?“ „Die Schulä fenkt an.“
Es ist ein Kulturkampf daraus geworden, den gottlob nicht alle deutschen Länder, zuvorderst aber die rot-grün regierten mitgemacht haben. Immerhin hat jetzt mal in Baden-Württemberg eine Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) den Grundschullehrern in ihrem Bundesland den Einsatz der Methode „Schreiben nach Gehör“ verboten. Sehr zum Missfallen roter und grüner und gewerkschaftlicher Lobbyisten!
Hoffentlich schließen sich andere Länder an, die den Reformzirkus mitgemacht und Kinder als Versuchskaninchen missbraucht haben. Denn mit der Rechtschreibung unserer jungen Leute steht es nicht zum besten. Sehr aufschlussreich ist hier etwa die umfangreiche Darstellung der Professoren Wolfgang Steinig et. al. aus dem Jahr 2009 (Siehe Wolfgang Steinig, Dirk Betzel, Franz Josef Geider, Andreas Herbold: Schreiben von Kindern im diachronen Vergleich. Texte von Viertklässlern aus den Jahren 1972 und 2002. Münster 2009). Die Autoren hatten eine Längsschnittstudie durchgeführt. Darin verglichen sie anhand eines identischen Textes mit 100 Wörtern die Fehlerhäufigkeit von Viertklässlern im Jahr 1972 mit der Fehlerhäufigkeit von Viertklässlern des Jahres 2002. Ergebnis: Im gleichen Text machten die Schüler im Jahr 1972 im Schnitt 6,9 Fehler, im Jahr 2002 12,2 Fehler. Das ist eine Zunahme um 76 Prozent. Steinig et al. schreiben dazu wörtlich: „Als wesentlichen Grund für diesen außergewöhnlichen hohen Anstieg sehen wir den Rückgang von Instruktions-, Lern- und Übungszeit, die im Deutschunterricht auf die Rechtschreibung verwandt wird.“ Und: „Wir vermuten, dass dieser außergewöhnlich hohe Anstieg zumindest teilweise mit der Verunsicherung durch die Rechtschreibreform aus dem Jahre 1998 zu erklären ist.“ Stimmt auch, denn die sogenannte Rechtschreibreform war in weiten Teilen eine Schlechtschreibreform.
Die Steinig-Studie stammt aus dem Jahr 2009. Aber sie ist nicht überholt. Weitere Studien des Berliner Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) der letzten Jahre zeigen, dass die Rechtschreibleitung vor allem in gewissen deutschen Ländern nach wie vor desaströs ist. Auch im „Bildungstrend 2015 – Sprachliche Kompetenzen am Ende der 9. Jahrgangsstufe im zweiten Ländervergleich“, veröffentlicht im Oktober 2016, bestätigt sich dies. Im Teilbereich Rechtschreibung erreichten in Deutschland 67,9 Prozent die Regelstandards. Spitzenreiter war Bayern mit einer Quote von 76,7 Prozent. Ganz hinten lagen Bremen mit nur 54,0 Prozent, Berlin mit 59,7 Prozent und Hamburg mit 60,6 Prozent.
Apropos Regelstandards: Sehr anspruchsvoll waren diese Standards ohnehin nicht. Der Rechtschreibtest bestand aus einem Lückentext mit 28 Lücken, in die etwa folgende Wörter richtig geschrieben einzusetzen waren: unendlich, gereizt, nachts, Wasservorrat, relativ, Beschluss.
Conclusio I
Die 68er haben wieder mal einen großen „Erfolg“ eingefahren. Sie hatten die Rechtschreibung in ihrem Egalisierungsfuror zum „Herrschaftsinstrument“ erklärt, das es zu schleifen gelte. Es ist ihnen dies in weiten Bereichen gelungen. Dass damit aber vor allem Kinder sozial schwächerer Schichten zu leiden haben und dass der seit Jahrhunderten bewährte Grundsatz „Besser gleich richtig lernen, als Falsches umlernen zu müssen“ außer Kraft gesetzt wurde, können sie sich auch an ihre Fahnen heften.
Conclusio II
Eltern, lasst Euch das nicht mehr gefallen! Geht auf die Barrikaden!