Die Stimmung in der Bundestagsfraktion von CDU/CSU ist nicht die beste. Immer mehr Abgeordnete äußern ihren Unmut über die Flüchtlingspolitik ihrer Kanzlerin. Und das eben zunehmend hörbar – in Fraktionssitzungen wie in Interviews.
Wunsch nach Kultur der Vernunft
Gäbe es eine interne Abstimmung, ob der Kurs von Schäuble/de Maizière/Seehofer oder der von Merkel der richtige sei, sagen Insider eine deutliche Mehrheit für eine restriktivere Aufnahmepraxis voraus, wie sie der Bundesfinanzminister, der Bundesinnenminister und der bayerische Ministerpräsident fordern. Seehofers Ruf nach einer „Kultur der Vernunft“ anstelle der Merkelschen Willkommenskultur wird von vielen CDU-Abgeordneten unterstützt.
Das heißt aber nicht, die Fraktion wolle die Kanzlerin loswerden. Sie ist zwar zum zehnjährigen Jubiläum ihrer Regentschaft angeschlagen. Doch alle Umfragen zeigen, dass noch immer eine Mehrheit der Deutschen mit ihrer Regierungskunst insgesamt zufrieden ist – von der Flüchtlingsfrage einmal abgesehen. Deshalb versuchen vor allem Wolfgang Schäuble und Horst Seehofer, die Kanzlerin zu Kurskorrekturen in der Flüchtlingsfrage zu bewegen, sie aber als Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2017 nicht nachhaltig zu beschädigen.
Jubel. Was sonst?
Die 310 Bundestagsabgeordneten aus den Reihen der Union üben in diesen Tagen einen schwierigen Spagat: für und gegen Angela Merkel zugleich zu sein. In der Fraktionssitzung am Montag gab es aus Anlass ihres Dienstjubiläums „standing ovations“ für die Kanzlerin. Wie ehrlich diese Klatsch-Demo wohl gemeint war? Ein Abgeordneter schilderte das so: „Wenn da plötzlich vorn ein paar aufspringen und applaudieren, bleibt den anderen gar nichts anderes übrig, als mitzumachen. Sonst sieht es ja nach Boykott aus.“
Wie fragil freilich die Stimmung in der Fraktion ist, musste Volker Kauder gleich danach erfahren. Als der Fraktionsvorsitzende den Applaus-Aufstand als den „angemessenen Umgang mit einer Kanzlerin“ lobte, herrschte im Block der 56 CSU-Mandatsträger eisiges Schweigen. Kauders Kritik an der Art, wie Seehofer auf dem CSU-Parteitag die Kanzlerin abgekanzelt hatte, ging den Bayern dann doch zu weit.
Ihre Klatschfreudigkeit konnte die Unionsfraktion am Mittwoch erneut unter Beweis stellen. Da rechtfertigte Merkel in der Haushaltsdebatte ihre Politik im Allgemeinen und ihre Flüchtlingspolitik im Besonderen. Wie nicht anders zu erwarten, brandete schon Beifall auf, als Merkel ans Rednerpult trat. Und auch zum Schluss wurde die Kanzlerin ausgiebig beklatscht. Doch an den eher verschlossenen Mienen der meisten Abgeordneten konnte man ablesen, dass man nicht aus Begeisterung applaudierte. Vielmehr zählt es zu den feststehenden Ritualen, dass eine Regierungsfraktion ihrer Kanzlerin und ihren Ministern akustisch zustimmt. Doch war unschwer zu erkennen: Die CDU/CSU-Parlamentarier hatten wenig Spaß dabei. Das war ein Pflichtprogramm, nicht Kür.
Die Kunst des Unmöglichen
Besonders weh getan haben muss, dass Dietmar Bartsch von der Linkspartei die Kanzlerin für ihren Umgang mit den Flüchtlingen ausdrücklich lobte, sich auf die Kirchen berief und aus dem Matthäus-Evangelium las: „Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben.“ Der wiederholte Applaus der Grünen für Merkels Ablehnung jedweder „Abschottung“ tat den Unionsleuten ebenfalls weh. Da war die Attacke des Grünen-Fraktionsvorsitzenden Anton Hofreiter auf die geplante Reform der Asyl-Gesetze schon erträglicher. Sollten diese Verschärfungen kommen, so der Grüne, zeige Deutschland kein freundliches Gesicht mehr, sondern eine „hässliche Fratze“. Das klang in den Ohren vieler Unions-MdB schon besser. Schließlich rechnet es sich die Fraktion an, gewisse Änderungen im Asylrecht der Kanzlerin aufgezwungen zu haben.
Das ist unter der Reichstagskuppel nicht alle Tage zu erleben: dass eine Fraktion ihre Regierungschefin feiert, obwohl sie wichtige Bestandteile ihrer Politik nicht mitträgt. Politik ist eben nicht nur „die Kunst des Möglichen“, wie Otto von Bismarck es formulierte. In diesen Tagen praktiziert die CDU/CSU-Fraktion Politik als Kunst des Unmöglichen: Beifall klatschen mit geballter Faust. Nur dass dieser Beifall sehr künstlich klingt.