Dass in der Politik nur selten etwas derart stringent verläuft, wie es nach Außen erscheint, ist jedem bewusst, der sich in seinem Leben einmal aktiv in diese Löwengrube begeben hat. Da wird mit Haken und Ösen gekämpft, es werden Fallen aufgestellt, in denen sich der Gegner verfangen soll, und Finten erdacht, an denen das avisierte Opfer sich selbst erhängen soll.
Die Fakten des Theatro Maaßen
Schauen wir unter diesem Aspekt einmal auf das gegenwärtige Maaßen-Theater. Vielleicht erleben wir hier ja gerade so ein Bühnenstück mit 23 Ecken und noch mehr Kanten, bei dem am Ende jeder der Beteiligten in Gefahr gerät, sich selbst zu erlegen. Doch wie könnte ein solches Szenario aussehen?
Um das zu verstehen, müssen wir erst einmal ein paar als bekannt vorauszusetzende Fakten festhalten. Schauen wir dazu als erstes auf den Akteur Horst Seehofer.
- Der jetzige Innenminister ist über die Merkel-Kanzlerschaft alles andere als glücklich.
- Seehofer betrachtet die Grenzöffnung 2015 als gegen die bundesdeutsche Verfassung gerichteten Akt.
- Seehofer muss ansehen, wie seine CSU vor den Landtagswahlen von Tag zu Tag mehr abschmiert.
- Seehofer hat seine politische Karriere im Wesentlichen hinter sich – er ist zwecks materieller Alterssicherung auf politische Ämter nicht mehr angewiesen.
Soweit der Bayer. Nun der Blick auf Angela Merkel:
- Die Frau Bundeskanzler ist durch keinerlei politische Prinzipien gefesselt.
- Merkel ist von dem Ehrgeiz zerfressen, alle anderen Nachkriegskanzler an Amteslänge zu überleben. Dafür ist ihr jedes Mittel recht.
Blicken wir nun noch auf das Interaktionsfeld zwischen diesen beiden Protagonisten, so müssen wir feststellen, dass Seehofer mit seinem letzten Versuch, Merkel vor sich herzutreiben, kläglich gescheitert ist. Sowas nagt am Ego eines Mannes, der sich für einen bedeutenden Politiker hält.
Die Szenarien des Theatro Maaßen
So weit die Faktenlage. Nun zu möglichen Szenarien. Unterstellen wir zum Verständnis des Folgenden zweierlei:
- Die SPD gerät angesichts ihres rasanten Taumelns in den Abgrund der politischen Bedeutungslosigkeit in heftige Panik – des Schulzens Unter-die-Gürtel-Hysterie und die anschließende Kahr’sche Hypertrophie gegen die AfD waren ein Höhepunkt convulsiver Selbstkasteiung.
- Der Präsident des Bundesverfassungsschutzes teilt die Auffassung seines aktuellen Dienstherrn, wonach die Merkel’sche Migrationspolitik gegen die bundesdeutsche Verfassung gerichtet ist. Als oberster Verfassungsschützer müsste er insofern Merkel verhaften lassen und vor Gericht bringen. Das kann er aber nicht – schließlich ist er dem Bundeskanzler der Republik gegenüber zu Loyalität verpflichtet.
Jetzt schütten wir diese Zutaten einmal zusammen und schütteln sie ein wenig. Dabei heraus kommt ein Cocktail, in dem die Kombination Seehofer-Maaßen einen gemeinsamen Bodensatz bildet, der besagt: Merkel muss weg! Nur: Seehofers erster Versuch war gescheitert. Seehofer hat gelernt: Er und seine CSU können Merkel nicht vom Platz fegen. Wenn sie zum Rückzug bewegt werden soll, müssen das andere erledigen.
Gesucht: Der Königsmörder
Es folgt das, was folgen muss: Riesige Aufregung im politischen Hühnerhof – wildes Gegacker in den schrillsten Tönen, auf deren Höhepunkt sich der Koalitionspartner SPD in seiner Panik bemüßigt fühlt, die umgehende Absetzung des Maaßen ultimativ einzufordern.
In dieser Situation haben wir nun zwei Möglichkeiten:
- Maaßen nimmt von sich aus seinen Hut – die politische Situation beruhigt sich erst einmal wieder, Merkel bleibt im Amt.
- Seehofer setzt – wie gefordert, Maaßen vor die Tür – verliert damit abschließend sein Gesicht und müsste folgerichtig selbst zurücktreten. Der Weg wäre frei für einen von der CSU gestellten Nachfolger.
Nun jedoch unterstellt – was gegenwärtig festzustellen ist – dass weder Maaßen noch Seehofer zu ihrer jeweilige Deeskalationsmöglichkeit zwecks Rettung der zusammengeschrumpften, großen Koalition bereit sind. Da nun blieben wiederum nur zwei Möglichkeiten:
- Die SPD rückt von ihrer ultimativen Forderung, den Maaßen zu feuern, ab – entpuppt sich damit selbst als Bettvorleger und verliert das Vertrauen ihrer aufgepeitschten Anhängerschaft. Aber die Koalition wurstelt weiter – mit einem gestärkten Seehofer, einer unbeschädigten Merkel und einer noch weiter demolierten SPD.
- Die SPD fordert – da Seehofer mauert – Merkel ultimativ auf, den Maaßen ob seiner Unbotmäßigkeit zu feuern. Könnte Merkel theoretisch tun – aber dann müsste ein gedemütigter Seehofer nunmehr seinen Rücktritt erklären – und eigentlich mit ihm die CSU aus der Koalition ausscheiden. Damit wäre dann auch Merkel selbst erledigt – und deshalb kann Merkel dieser SPD-Aufforderung nicht folgen.
Das dramatische Finale
Damit kommen wir nun zum dramatischen Ende der Farce.
Die nun angesichts der Unwilligkeit von CDU und CSU desavouierte, panische SPD hat nur noch zwei Möglichkeiten:
- Sie kann so tun, als sei nichts gewesen. Dann aber ist sie politisch abschließend entzaubert: Klappe aufgerissen, übermäßig laut und in dauerhafter Kakophonie gebrüllt – und zusammengefallen wie ein Souflé. Aus die Maus, könnte man dann feststellen. Innerhalb der SPD würden die Maaßen-Raussschmeißer Amok laufen, Nahles und wer sonst für das Einknicken als Verantwortlicher herhalten muss, würde in der SPD zu Kleinholz verarbeitet. Und die SPD in der Koalition auf Realgröße eingedampft.
- Die SPD erklärt, dass sie mit den Weigerungen von Seehofer und Merkel innerhalb der Koalition eine rote Linie überschritten sieht – und erklärt ihren Austritt aus derselben. Dann verlangt sie nach Neuwahlen in der klitzekleinen Hoffnung, diese angesichts ihres vehementen Eintretens gegen alles, was rechts und Verfassungsschutz ist, irgendwo knapp über der 20-Prozent-Marke und knapp vor der AfD zu überleben.
Die Konsequenzen des Theatro Maaßen
Ein richtig großes Problem aber hätte die CDU. Nochmal mit der ausgelaugten Merkel ins Rennen gehen – und damit sicherstellen, die Union bei den Wahlen deutlich unter die 30-Prozent-Marke zu schieben? Kaum vorstellbar. Da müsste vermutlich jemand anderes her – ist nur keiner da, der diesen Job ernsthaft übernehmen könnte. Insofern wäre ein schlechtes Abschneiden bei Neuwahlen kaum zu vermeiden. Aber man bliebe immer noch stärkste Fraktion und könnte nach neuen Partnern suchen.
Die gefühlten Helden des Theatro Maaßen
Bei all dem gäbe es dennoch zwei Personen, die zumindest für ihr eigenes Selbstverständnis Ablauf und Ergebnis als Sieg verbuchen könnten:
- Horst Seehofer, weil er es am Ende doch geschafft hat, Merkel aus dem Feld zu räumen. Und es ihm sogar gelungen ist, dazu die SPD zu instrumentalisieren, für ihn die Drecksarbeit zu übernehmen. Er könnte sich mit dieser Interpretation der Inszenierung, die vielleicht gar nicht so weit entfernt von der Wirklichkeit wäre, befriedigt auf das politische Altenteil zurückziehen. Und vielleicht hätte er mit dem Ende der SchrumpfKo sogar noch seiner Partei einen Gefallen getan – wenn dann in den letzten Wochen vor der Wahl in Bayern die CSU ohne den Merkel-Klotz am Bein aufspielen kann und endlich begreift, dass Dauerattacken auf den politischen Gegner diesen nur unnötig stark machen.
- Hans-Georg Maaßen. Unabhängig davon, ob er nach den Neuwahlen in den Vorruhestand gehen würde (wofür kein Grund vorläge, denn er wurde ja nicht gefeuert und damit in der Richtigkeit seines Handelns bestätigt) – aber er könnte selbst dieses mit erhobenem Haupte tun,da er mit seiner maßgeblichen Mitwirkung die Republik vor jemandem bewahrt hat, der aus dem Amt heraus die von ihm zu schützende Verfassung unterläuft und mit Partnern koaliert, die gezielt Verfassungsfeinde beispielsweise bei der Antifa unterstützen. Mission erfüllt, Verfassung geschützt – so könnte er für sich den gesamten Vorgang abheften.
Maaßen und Seehofer haben das Schicksal von Merkel und SPD in der Hand
Zu sehr und zu heftig um die Ecke gedacht? Möglich. Sollte Maaßen doch noch freiwillig seinen Rücktritt erklären, wäre es so. Damit aber würde er Seehofers Loyalität mit Illoyalität danken. Schwer vorstellbar. Und er hätte nichts gewonnen, außer denen die Jobs zu retten, die am lautesten nach seinem Blut rufen. Warum also sollte Maaßen gehen?
Insofern: Warten wir die kommenden Tage ab. Merkel setzt wieder auf Zeit – und darauf, dass aus der SPD die Luft der Panik entweicht. Immerhin ist SPD-Chefin Nahles wie einst Seehofer bereits in die erste Merkel-Falle gelaufen, indem sie sich auf Vertagung der Entscheidung eingelassen hat.
Gelingt es Nahles, das Thema in den kommenden Tagen in ihrer Partei und der öffentlichen Debatte zu erschlagen, könnte sie dennoch den Versuch unternehmen, die Koalition mit Maaßen und möglichst geringem, eigenem Gesichtsverlust zu retten. Gelingt ihr dieses nicht – und davon ist angesichts der hochgefahrenen Hysterie gegenwärtig auszugehen – müsste die SPD zur Merkel-Mörderin werden. Seehofer wäre fein raus, hätten nun doch die Sozialdemokraten für ihn diesen Job erledigt – und ob die Wähler den Merkel-Tod der SPD tatsächlich als Verdienst anrechnen würden, ist angesichts der langjährigen Merkel-Treue dieser Klientel auch nicht zu garantieren.