Mittlerweile beschimpfen sich europäische Politiker in einer noch nie da gewesenen Offenheit.
So wirft Jean-Claude Juncker, als luxemburgischer Premier einer der Zaunkönige Europas, der Bundeskanzlerin vor, sie denke „uneuropäisch“ und habe das Wesen einer gemeinsamen „Euro-Anleihe“ und einer Europäischen Schuldenagentur „nicht verstanden“. Da ist nicht viel zu begreifen. Rund 1700 Milliarden Euro deutsche Staatsschulden müssten dann nicht zu den bisher niedrigeren Zinsen für den guten Schuldner Deutschland umgeschuldet werden, sondern zu deutlich höheren Zinsen – je nach Fälligkeitsstruktur und Zinssatz pro Jahr ein zweistelliger Milliardenbetrag.
Die entgleiste, feindselige Diskussion über Euro-Bonds offenbart ein viel gravierendes Problem: Der Euro ist nicht mehr eine Klammer, die Europa zusammenzwingt, sondern wird zum Sprengsatz für das fragile, geliebte, durch brutale Kriege blutgetränkte Gebilde am Rande des euro-asiatischen Kontinents. Es ist dieser Widerspruch zwischen dem politisch Notwendigen, der europäischen Einigung, und der wirtschaftlichen Verwerfung, der die Debatte um den Euro als so unlösbar erscheinen lässt: Der europäische Einigungsprozess ist wie ein Fahrrad, das umfällt, wenn es stehen bleibt, sagt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble – er sieht die europäische Einigung als unumkehrbaren Prozess der Geschichte. Aber, um im Bild zu bleiben: Was tun, wenn dieses Fahrrad geradewegs auf einen Abgrund zufährt und Rad und Fahrer abzustürzen drohen?
Dann helfen keine europäischen Sonntagsreden mehr. Dann muss gerechnet werden, spätestens dann muss geschehen, was Politiker heute so gerne vermeiden: das Denken in Alternativen und der Versuch, ihre Kosten zu bewerten. Die WirtschaftsWoche versucht daher, Alternativ-Szenarien zu formulieren. Das dürfen auch wir Deutschen. Denn auch andere rechnen. In Italien beispielsweise hat man festgestellt, dass mit der Einführung des Euro das Wirtschaftswachstum ausgeblieben ist. In allen anderen Hauptstädten werden die Pros und Cons auf die Waage gelegt, überlegen die Gewählten, wie lange sie im Amt bleiben, wenn auf den Straßen gegen die Haushaltssanierung demonstriert wird.
Historische Prozesse sind nicht einfach wiederholbar wie die Wetterprognose in „Täglich grüßt das Murmeltier“. Wer über einen Nord- oder Süd-Euro als Alternative spricht, sollte auch einige Gedanken darauf verschwenden, dass wir nicht heute zu Bett gehen können, die Äuglein schließen, und morgen, klingeling, kommt der Weihnachtsmann und bringt uns die D-Mark zurück. Auch dieser Weg brächte Milliardenverluste für deutsche Anleger und enorme politische Risiken für Europa mit sich – es ist leichter, eine Handvoll Kugeln auseinanderrollen zu lassen, als sie zusammenzuhalten.
Weil die Welt nach dem Euro-Sündenfall eine andere ist und voller neuer Mühen und Plagen, unterstütze ich die Bemühungen der Bundeskanzlerin, in Europa gegen den Widerstand vieler Länder endlich wirtschaftliche Reformen durchzusetzen. Wenn Deutschland jetzt freigiebige Hände vorweist, wird der Euro unausweichlich scheitern. Lange wird es innenpolitisch nicht durchzuhalten sein, dass die Deutschen ihre Haushalte gesundsparen, um die der anderen sanieren zu können. Die Instabilität der Rand-Länder würde auf Kerneuropa übergreifen, und als letztes Mittel der Entschuldung bankrotter Staaten bliebe nur noch massive Inflation.
Deutschland braucht den Mut zur Härte und zur Unbeliebtheit in Europa. Wer jetzt glaubt, über wohltätige Transfers oder Euro-Bonds Probleme zu lösen, schiebt nur die eigentliche Lösung auf die lange Bank – nämlich eine angebotsorientierte Sanierung der südeuropäischen Volkswirtschaften. Haushaltsdefizite, Löhne und Sozialpolitik stehen auf dem Prüfstand. Das wird nicht einfach. Aber „Everybody’s Darling is Everybody’s Rindvieh“. Dieser Spruch von Franz Josef Strauß gilt auch für Deutschland in Europa.
(Erschienen am 11.12.2010 auf Wiwo.de)