Seit Juli 2018 nun monatlich im ZDF zu sehen: Die „dunja hayali“ show. Die gleichnamige Moderatorin fragt am Mittwochabend: „Wie geht es weiter nach Chemnitz?“ Aber sie fragt nicht nur, sie fährt hin und redet mit den Leuten, um dann im Studio den AfD-Politiker Jörg Meuthen mit der Grünen Katrin Göring-Eckardt aufs selbe Sofa zu setzen. Anschließend folgt ein Rückblick nach Rostock-Lichtenhagen und Einblicke in die Entwicklung der ostdeutschen rechtsradikalen Szene – so jedenfalls verspricht es der Vorspann zur Sendung, die im Studio Berlin vor Zuschauern aufgezeichnet wird.
Hayali stellt zunächst klar, wie sie die Leute in Chemnitz sieht: Es gäbe jene, die Menschen jagen, dann die Wutbürger und drittens die, die sich dagegen stellen. Inwieweit letztere auch wütend sind, wäre eine Frage am Rande, die allerdings nicht geeignet ist, die Stereotype zu bedienen, die Hayali uns hier zum Auftakt anbietet.
Im Studio sitzt der „Hamburger Jung“, wie ihn Hayali anmoderiert, der Rapper Sammy Deluxe. Oder dürfen wir Altrapper sagen? Denn mittlerweile sind jüngere und deutlich aggressivere Kollegen nachgerückt, während Sammy schon als singender Gast bei VOX beim gediegenen „Sing meinen Song das Tauschkonzert“ saß. Zunächst einmal erzählt Sammy, dass Reporter von ihm aktuell immer hören wollen zu Chemnitz, dass er es total schockierend fände, dass es immer noch Nazis gibt in Deutschland. „Aber das ist nicht, was ich denen gerne bieten will.“, sagt der Rapper, 2018 müsse man gefühlt irgendwie weiter sein, diese Fragen hätte er schon 2001 gestellt bekommen.
Und Sammy Deluxe sagt einen interessanten Satz, den wir hier festhalten wollen: „Die Medien sind das Bindeglied zwischen der Realität und uns als Endkonsumenten.“ Und wenn die Medien ihm heute noch solche Fragen stellen, dann wäre das ein Zeichen dafür, wie weit weg die Medien von der Realität leben, in der Musiker „und meine Leute“ leben. Der Vater von Sammy Deluxe kommt aus dem Sudan. Seine Medienkritik ist hier die gleiche wie die derjenigen, die „Lügenpresse“ rufen. Und doch so völlig anders ausgerichtet.
Nun aber in medias res: Hayali geht dahin, wo es wehtun könnte für linke Medienvertreter. Man mag von ihr halten, was man will, auch kann man ihr diese aufgesetzte Naivität vorwerfen, die immer so unabhängig journalistisch wirken will und doch so durchscheinend nervt. Aber sie traut sich, sie geht hin und erfüllt damit eine der wichtigsten Aufgaben einer Journalistin.
Erster Gesprächspartner ist ein gesetzter älterer Herr mit Gattin und einem aufgespannten Regenschirm bei strahlendem Sonnenschein. Der Satz, der hängen bleibt zu den Zuständen in Chemnitz: „Wenn ich jemanden verteufle, dann wehrt der sich immer mehr!“ Buchhändler Klaus Kowalke kommt als nächster dran, er fürchtet sich vor einem neuen Stigma für Chemnitz. Er möchte nicht, dass Chemnitz das nächste Rostock-Lichtenhagen sei.
„Warum ist denn die Presse so linksextrem?“, fragt eine aufgebrachte Frau aus der Menge Frau Hayali, die diese kurz zuvor darum gebeten hatte, doch näher heranzutreten. „Das Land war mal schön und sicher, aber es ist vorbei!“, trägt die Frau ihr dann in aller „Eindringlichkeit vor. Nun gut, an der Stelle ist schlecht diskutieren. So nimmt Hayali dann auch dankbar diese Märtyrerrolle der bösen Pressetante an und steht nur stumm, demonstriert wohl so etwas, wie „Gesicht zeigen.“ Aber etwas fragt Dunja Hayali dann doch noch stellvertretend für die Medien: „Sie finden nicht, das wir über die Versäumnisse und Fehler der Regierung berichten?“ und bekommt dafür ein „Nein“, das klarer kaum sein könnte. Ein empörtes „Nein“ dafür, so eine Frage quasi in Persona „Dunja Hayali“ überhaupt zu stellen.
„Ich danke Ihnen, dass sie mit zugehört haben, das fand ich jetzt mal gut.“, hängt die Chemnitzerin übrigens noch hintendran und reicht der Moderatorin die Hand zum Abschied. Ein Satz, der doch irgendetwas bei Hayali anstoßen müsste. Aber ist da noch Raum frei, für solche anstrengenden Nachdenklichkeiten gegen den linken Mainstream?
Wieder zurück im Studio. Auf dem Sofa sitzen Jörg Meuthen und Katrin Göring-Eckardt (KGE). Hier könnte man einmal die Frage stellen, was eigentlich immer dieses anachronistische „Ladies First“ bedeuten soll. Gut, auf einem untergehenden Schiff mag das noch angehen: „Frauen und Kinder zuerst!“, aber muss das in einer Talkshow? Hayali und KGE werden sich kaum als Ladies im klassischen Sinne verstanden wissen wollen, also soll doch Meuthen als Vertreter des Oppositionsführers im Deutschen Bundestag als erster sprechen dürfen. So setzt die Grüne die erste Duftmarke, was bei so kurzen Talks auf dem Sofa noch einmal eine andere Hausnummer ist, als bei viel längeren Gesprächsrunden der klassischen Talkshows des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.
Da wird also ein Mensch in Chemnitz mutmaßlich von Asylbewerbern mit vielen Messerstichen getötet und KGE liefert, davon quasi unbeeindruckt, was man von ihr erwartet, Sätze über die Chemnitzer, wie Steinwürfe mitten hinein in eine schon Jahre andauernde intensive Debatte: „Uns muss klar sein, es gibt Menschen, die haben die letzten Jahre nicht als etwas Positives empfunden.“
Der Arbeit von Hayali liegt ein interessantes Konzept zu Grunde: Sie stellt sich gerne unwissend. Sicher ein legitimes journalistisches Mittel, ein erlaubter Weg, zum Ziel, zur Information zu gelangen, auch dann noch, wenn es mitunter an Moderationen aus dem Kinderfernsehen erinnern mag, wenn Hayali Meuthen beispielsweise fragt, wer denn eigentlich gesagt hätte, dass alle Sachsen Nazis seien. Natürlich weiß sie um den Ruf dieser Stadt und die Anwürfe, muss die Artikel ihrer Kollegen teilweise doch gelesen haben, welche die Demonstrationsteilnehmer über den Kamm zu Rechtsradikalen gemacht hatten.
Meuthen erinnert an Augstein, der die ersten beiden Buchstaben Sachsens groß geschrieben haben wollte und an den SPIEGEL-Titel, der Sachsen zur Hälfte in Fraktur gesetzt hatte. Leider zitiert er dann auch eine Falschnachricht, KGE passt aber auf, wird dann wiederum von Meuthen gleich weiter vorangetrieben hin zu, wie er es sagt, den FakeNews der Bundeskanzlerin, was Hetzjagden angeht, die vom CDU-Parteikollegen Kretschmer längst hinreichend als solche dechiffriert wurden. Interessant hier, dass Hayali zuvor Meuthen ein Zitat von Gauland hatte rechtfertigen lassen, wo KGE als Grüne nun quasi der CDU-Bundeskanzlerin beispringen wird. Besser kann man kaum abbilden, was Opposition in grün wirklich bedeutet.
KGE fragt Meuthen, ob er es in Ordnung findet, wenn Menschen andere Menschen jagen, egal wie weit und wie lange. Um Himmelswillen, wenn die Zeit des Gesprächs so kurz ist, was erwartet die Grüne eigentlich, was glaubt sie, dass Meuthen ihr hier antworten könnte? Nein, dass ist keine Frage, sondern die pastorale Aufforderung ein Bekenntnis abzulegen, antrainiert in dutzenden öffentlich-rechtlichen Talkshows in den vergangenen Jahren, wo KGE mit zu den meistgeladenen Gästen gehörte.
„Wir können gerne noch mal über Verfassungsschutzbeobachtung reden, wenn Sie sich noch einmal anschauen, was Sie, was Ihre Kollegin Roth und was Herr Habeck so sagt.“ Jörg Meuthen gehört sicher zu den erfahreneren Kollegen der AfD, wenn es um solche Gesprächsrunden geht. Er bringt die nötige Aggressivität mit und kommt dabei noch schnell mit dem nächsten Argument um die Ecke.
Zur verbreiteten Sprachpraxis möchte Meuthen am Rande mal erwähnen, dass die AfD immer „marschieren“ würde, während die anderen nur „demonstrieren“. „“Ich habe nicht marschieren gesagt“, sagt Hayali. Hatte sie allerdings Sekunden zuvor. „Geschenkt“, sagt Meuthen lächelnd, denn ihm fällt in dem Moment auf, dass er selbst von „Trauermarsch“ sprach, denn eine Trauerdemonstration ist im Sprachgebrauch nicht üblich. Applaus im Publikum über diesen fast witzigen Austausch rund um die Verwendung deutscher Sprache.
Aber bevor KGE überhaupt antworten kann, macht Meuthen ungerührt weiter – selten noch hat sich ein Ladies first so bitter gerächt, möchte man anfügen – : „Vaterlandsliebe fand ich immer schon zum Kotzen, mit Deutschland, damit weiß ich nichts anzufangen und weiß es bis heute nicht.“, hätte der Grünen Vorsitzende Habeck gesagt und Claudia Roth sei auf Demos gewesen, wo skandiert wurde: „Deutschland du mieses Stück Scheiße“.
„Jetzt haben Sie alles gesagt, nur noch nicht „links-grün-versifft“, fällt KGE lediglich dazu ein. Aber auch hier kontert der Gesprächspartner, wenn er antwortet: „Sie kennen mein Repertoire noch nicht.“ Ja, Meuthen ist AfD, ja, die sind für die Medien die Bösen, aber ja: Selten noch hat ein AfDler die Talkshow-erprobte Katrin Göring-Eckardt so verdammt schlecht aussehen lassen. Und das bei Dunja Hayali, die KGE dann auch noch daran erinnert, dass die Zitate, welche Meuthen vorgetragen hätte aber doch tatsächlich alles so gefallen seien.
„Wenn Gewalt passiert, dann habe ich damit nichts zu tun.“, erwidert eine schon fast verzweifelte KGE, die aber exakt das zuvor nicht bei der AfD gelten lassen wollte. Für die Zuschauer tatsächlich ein Lehrstück, wie man es nicht macht, wenn KGE dann auch noch Punkte damit sammeln will, zu behaupten oder daran zu erinnern, sie sei doch 1989 für die Freiheit auf die Straße gegangen in einer „friedlichen Revolution“.
„Sagen sie doch einfach mal, dass sie sich von der Antifa distanzieren.“, ist Meuthen das Drumherumgerede von KGE nun satt. „Ich habe mit Gewalt nichts am Hut, muss mich also auch nicht distanzieren.“, sagt also KGE und Meuthen hat genug gehört: „Aha.“ Dass ist natürlich hochinteressant, dass die Grünen also offensichtlich die Stimmen und die Drohkulisse der Antifa für so nötig halten auf ihren Demonstrationen oder Aufmärschen, dass sie nicht gewillt sind, sich öffentlich davon zu distanzieren. „Ich lehne Gewalt ab, das muss reichen“, sagt KGE.“
„Aber das macht er doch auch.“, erinnert jetzt Dunja Hayali. Göring-Eckardt muss das hier alles anders erwartet haben. Was für eine Enttäuschung. Und an der Stelle und zu fortgeschrittener Sendezeit muss man es attestieren: Die Moderatorin muss sich die Vorwürfe der Parteinahme und eines denkbar schlechten Journalismus der letzten Monate durchaus zu Herzen genommen haben. In Kombination mit der Tatsache, dass sie couragiert vor Ort geht und die Distanz auflöst zum Objekt der Betrachtung, völlig unabhängig davon, was dabei entsteht, ist dass tatsächlich so etwas, wie Journalismus, der hier gezeigt wird und der die in ihren Studio verwachsenen Kolleginnen Illner, Maischberger und Will mindestens dieses eine Mal locker an die Wand gespielt hat.