Ein Erstochener 35-Jähriger in Chemnitz, zwei weitere im Krankenhaus, mindestens einer der beiden schwer verletzt. Alle drei Opfer Deutsche. Tatzeitpunkt ist die Nacht von Samstag auf Sonntag. Eine erste präzisere Meldung kommt von Tag24.de, die am Sonntag um 7:54 Uhr veröffentlicht:
„Nach ersten Informationen soll in der Brückenstraße eine Frau belästigt worden sein. Als ihr Männer zu Hilfe kommen wollten, eskalierte offenbar die Situation. Bestätigen konnte das die Polizei nicht. Es kam zu einer tödlichen Auseinandersetzung mit mehreren Verletzten. Ein Mann (35) verstarb wenig später im Krankenhaus. Polizisten suchten am Morgen das Stadtfest-Gelände ab und fanden später die Tatwaffe.“
Dem Text zugeordnet ist ein Foto der Blutlache mit Bildunterschrift: „Am Sonntagmorgen war am Tatort noch eine große Blutlache zu sehen.“ Das Blut auf dem Gehsteig wurde grafisch verpixelt. Offensichtlich war ein Journalist schon am frühen Morgen vor Ort und hatte fotografiert oder das Foto wurde vom Facebook-Account der AfD Chemnitz übernommen, die unverpixelt abbildeten.
Schon 90 Minuten vor Veröffentlichungszeitpunkt von tag24.de allerdings schrieb die Chemnitzer Polizei per Twitter: „Entgegen der in einigen Medien kursierenden Infos, gibt es nach jetzigem Ermittlungsstand bzgl. des Tötungsdelikts in #Chemnitz keinerlei Anhaltspunkte, dass eine Belästigung der Auseinandersetzung vorausging. Bitte beteiligt euch nicht an Spekulationen!“
Im Laufe des Sonntags ruft zunächst die AfD Chemnitz zu einer Demonstration auf: „### ACHTUNG ### Heute 15 Uhr Spontandemo am AfD Stand an der Brückenstraße/ Ecke Straße der Nationen zum Gedenken an die Opfer der Messerattacke am Rande des Stadtfestes dieses Jahr.“
Die Polizei Chemnitz ist unterbesetzt und überfordert, denn zeitgleich findet das Chemnitzer Stadtfest statt, das an drei Tagen zweihunderttausend Besucher zählt. Heute, am Montagmorgen, spricht TE mit Sören Uhle (Geschäftsführer der Chemnitzer Wirtschaftsförderungs- und Entwicklungsgesellschaft), der sich entschlossen hatte, das Stadtfest statt ursprünglich um 20 Uhr, bereits um 16 Uhr abzubrechen. Uhle spricht am Telefon von „einem braunen Mob“, der später durch Chemnitz gezogen sei. Er traf sich bereits um 14 Uhr in einem so genannten „Koordinierungskreis“, an dem Polizei, Rettungskräfte und Veranstalter teilnahmen, um eine „Sonderlage“ zu besprechen, nachdem man festgestellt hatte, dass sich da „viral etwas aufbaut“. Da nun der Treffpunkt der Hooligans am Karl-Marx-Denkmal verabredet ist, dieser Platz aber Teil der Festfläche und die Polizei in der Krisensitzung mitteilt, unterbesetzt zu sein, entschließen sich die Veranstalter, das Fest vorzeitig zu beenden.
Soviel zu den bisher bekannten Sachverhalten. Die Polizei Chemnitz teilt mit, es gäbe noch keine neuen Erkenntnisse weder zu Tätern oder zum Tathergang.
Die Presse bespricht ausführlich die Demonstration und die anschließend gemeldeten Ausschreitungen. Die Überschriften reichen von „Entsetzen nach Aufmarsch in Chemnitz“ bis zu „Wie konnte es zu dem Aufmarsch in Chemnitz kommen?“.
Barbara Ludwig (SPD), Oberbürgermeisterin von Chemnitz äußert sich gegenüber dem MDR entsetzt. Hier aber nicht entsetzt über das Tötungsdelikt, sondern über die Ausschreitungen im Rahmen der Demonstration:
„Wenn ich sehe, was sich in den Stunden am Sonntag hier entwickelt hat, dann bin ich entsetzt“, dass es möglich ist, dass sich Leute verabreden, ansammeln und damit ein Stadtfest zum Abbruch bringen, durch die Stadt rennen und Menschen bedrohen – das ist schlimm.“
Zum Tötungsdelikt schreibt beispielsweise der Merkur von einem „verhängnisvollen Streit in der Chemnitzer Innenstadt“ und der Spiegel meldet einen „tödlichen Streit“ und weiter: „Die Stadt reagiert schockiert, die Polizei war offenbar überfordert.“ Auch hier ist die Demonstration gemeint, nicht der Tote und die Schwerverletzten nach mutmaßlichem Messerattentat.
Das Magazin zitiert lokale Medienberichte, wonach „unter den Demonstranten auch Menschen“ waren, „die gegen Ausländerkriminalität protestierten und Sprüche wie „Wir sind das Volk“ skandierten.“ Lokale Medienberichte, die sich bereits zum Tathergang (Belästigung Frau usw.) geäußert haben, werden vom Spiegel nicht zitiert.
Der Chemnitzer Stadtsprecher Robert Gruner sagt: „Wir sind erschrocken über die Menschenansammlungen, die passiert sind“, Man habe friedlich das Jubiläum der Stadt feiern wollen. Weiter zitiert der Spiegel einen freien Journalisten „Johannes Gruhnert“, zu dem es allerdings auch nach gründlicher Recherche nichts finden lässt. Dort gibt es allerdings einen Grunert ohne -h-, der in Chemnitz unterwegs ist und der dahingehend zitiert wird, dass bei der Demo »immer wieder Parolen wie „Wir sind das Volk“, „Ausländer raus“ und „Das ist unsere Stadt“ gefallen« sein sollen.
Per Twitter beschwert sich ein Nutzer bei der Chemnitzer Polizei, dass noch keine Informationen über die Messerstecherei mit Todesfolge bekannt gegeben werden. Der Nutzer spekuliert, die Polizei hätte wohl einen „Maulkorb verpasst bekommen von Merkel und Co“ und er ergänzt: „Wenn es Asylbewerber waren, kommt es eh raus!!!“. Die Polizei Chemnitz antwortet ihm per Twitter:
„Kleinen Moment, dazu muss ich erst Frau Merkel anrufen, um zu erfahren was ich sagen darf. Wird die Leier nicht langsam albern? Zunächst müssen die Täter ermittelt werden, dann kann man auch mehr vermelden. Erst wissen, dann reden – nicht umgekehrt.“