Die Anklage gegen das „Cholesterin im Essen“ musste 2015 fallen gelassen werden: „Cholesterin zählt nicht zu den Nährstoffen, deren übermäßiger Konsum Anlass zur Sorge gibt“, stellte das Dietary Guidelines Advisory Comittee (DGAC) vor drei Jahren fest. Das DGAC bewertet als oberstes Fachgremium der USA alle fünf Jahre die Datenlage und gibt die Marschrichtung für die Ernährungsaufklärung der Regierung vor.
Neu ist die Einsicht nicht. Der Interessierte kann jedem Lehrbuch der Physiologie entnehmen, dass der Körper sein Cholesterin stets selbst herstellt. Diese Produktion passt er an die Zufuhr an. Essen wir weniger Cholesterin, wird die Eigensynthese angekurbelt, und umgekehrt.
Cholesterin ist Grundlage zahlreicher Hormone, essenzieller Bestandteil des Nervengewebes und ein Stützpfeiler unseres Immunsystems. Personen mit hohem Cholesterin leiden viel seltener unter Infekten. Zwar steigt bei Männern mit dem Cholesterin auch das Risiko eines Herzinfarkts, doch es gilt sonst grundsätzlich: je mehr Cholesterin im Blut, desto geringer die Sterblichkeit. Mit höherem Spiegel leben wir länger, vor allem wenn wir die Lebensmitte überschritten haben.
Man fragt sich, wie es überhaupt passieren konnte, dass die Leute über Jahrzehnte an den Unsinn vom gefährlichen Cholesterin in der Butter glaubten. Dahinter steckte Procter & Gamble, eine US-Firma, die vor gut 60 Jahren ein neues Pflanzenbratfett namens Crisco promoten wollte. Margarine galt damals noch als minderwertige Arme-Leute-Kost.
Procter & Gamble verschaffte der American Heart Association das nötige Kleingeld, um eine TV-Kampagne gegen das Cholesterin zu betreiben. Parallel dazu wurde die Ärzteschaft in geeigneter Weise beeinflusst. Mit der ärztlichen Sorge um die Herzgesundheit gelang es binnen eines Jahres, den Butterverkauf zu überrunden.
Geklitterte Studien
Die nötigen Theorien und Daten lieferte der Kardiologe Ancel Keys. Legendär ist seine Sieben-Länder-Studie, die zeigen sollte, dass der Konsum von Cholesterin wesentliche Ursache von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sei. Seine Daten belegten zwar das Gegenteil, aber mit Kreativität und Skrupellosigkeit gelang es ihm, daraus dennoch das gewünschte Ergebnis zu destillieren.
Natürlich war jedem klar, der an der „Aufklärung“ der Öffentlichkeit über die Gefahren von Butter, Eiern und Speck beteiligt war, dass es nur darum ging, einfältigen und furchtsamen Naturen mit einem fragwürdigen Butterimitat das Geld aus der Tasche zu ziehen. Der Kronzeuge der Kampagne, Ancel Keys, hat es 1997 öffentlich eingestanden: „Es besteht keinerlei Verbindung zwischen Cholesterin in der Nahrung und im Blut. Keine. Und wir haben das immer gewusst.“
Es bedarf auch keiner Physiologiekenntnisse, um das falsche Spiel mit den tierischen Fetten zu durchschauen: Im Verlauf der Evolution entwickelten sich aus den Fischen über die Echsen die warmblütigen Säugetiere. Für ihr erfolgreiches Bestehen auf dem Land erwies sich das Fett der Vorfahren, das Fischöl, als ungeeignet. Um den lebend geborenen Nachwuchs nähren zu können, brauchte es etwas viel Besseres: die Milch. Seither bildet der Körper des Neugeborenen aus dem Milchfett sein Körperfett.
Warum taugt das Fischöl nicht für Säugetiere? Fischöl besteht aus mehrfach ungesättigten Fettsäuren – und die sind in der Wärme reaktiv, sie oxidieren leicht und stellen damit ein Gesundheitsrisiko dar. Fische leben in kaltem Wasser, und weil Fischöl in der Kälte flüssig ist und nicht wie Butterfett erstarrt, bleiben sie im Meer beweglich. Die Kälte schützt vor unerwünschten Reaktionen. Der Warmblüter muss, um das vermeintlich „gesunde“ Fischfett für sein eigenes Fettgewebe gefahrlos nutzen zu können, dieses erst mal in „tierisches Fett“ verwandeln.
Gegen jede Plausibilität
Wie wirklichkeitsfremd muss eine Gesellschaft sein, wenn sie allen Ernstes glaubt, die Milch, also das Grundnahrungsmittel des Säuglings, attackiere mit ihrem nahrhaften Fett das Herz und bringe einen vorzeitig ins Grab? Zudem enthält Muttermilch deutlich mehr Cholesterin als Kuhmilch. Aber statt sich über den lebenswichtigen Schutzstoff zu freuen, schlucken vor allem Menschen im fortgeschrittenem Alter brav ihre Lipidsenker.
Der Lipidsenker Clofibrat ist eine Phenoxyessigsäure, also ein Vertreter jener Stoffklasse, die als Entlaubungsmittel im Vietnamkrieg traurige Berühmtheit erlangte und die danach als Unkrautvertilger in der Landwirtschaft zum Einsatz kam. Es ist schon komisch: Ökologisch engagierte Menschen kämpfen heroisch gegen die letzten Spuren in der Umwelt und schlucken praktisch das gleiche Zeug frohgemut und hoch dosiert aus der Hand des Apothekers.
Komplexes Denken verbessert
Die modernen Statine haben einen ähnlichen Hintergrund: Sie gehören zu einer Gruppe von Substanzen aus Pilzen, die gegen Konkurrenten, sprich pathogene Pilze, wirken. Als man erkannte, dass diese Antimykotika auch die Leber schädigen, wurde ein Teil der Stoffe nicht mehr als Mittel gegen Fußpilz weiterentwickelt, sondern als Cholesterinsenker vermarktet. Der andere Teil, die sogenannten Strobilurine, werden gegen Pilzkrankheiten auf dem Acker eingesetzt.
Das Nervengewebe, insbesondere das Gehirn, besteht nicht grundlos aus reichlich Cholesterin. Wird nun beim Menschen der Cholesterinspiegel gesenkt, sinkt gleichzeitig dessen Laune, die Suizide nehmen zu, und die Fähigkeit zu komplexem Denken nimmt Schaden. Bleibt die Frage: Cui bono?
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