Vor dem Krisenjahr 2015: eigentlich gute Quoten, aber ungnädige Presse und zwei sich unversöhnlich gegenüberstehende Zuschauergruppen – am Ende versenkt der hastige Absprung der Darsteller den Erfurter Tatort.
Der vergangenen Freitag im Spätprogramm der ARD wiederholte Krimi besaß eigentlich alles, was ihn zum Erfolg hätte führen müssen: Deutschlands jüngstes ‚Tatort‘-Team mit Friedrich Mücke, Benjamin Kramme und Alina Levshin und eine TV-Premiere Ende 2013, bei der die magische 10-Millionen-Hürde genommen wurde. (Die dem Internet zufolge erfolgreichsten Tatorte waren mit z.B. 9,29 Mio Zuschauern „Im Schmerz geboren“, „Borowski und der Engel“ mit 8,73, „Franziska“ mit 7,32 und „Weil sie böse sind“ mit 7,54 Mio, wobei die besten nicht immer die mit den meisten Zuschauern wären). Dieser weitere Klon des Methusalems unter den deutschen Krimireihen (Produzent: Michael Smeaton bei FFP Media) wurde im Auftrag des MDR für Das Erste produziert, und erreichte bei seiner Erstausstrahlung sogar bei den jungen Zuschauern einen hervorragenden Marktanteil von 21,4 Prozent. „Man freue sich über den gelungenen Einstand und sei stolz auf das junge Darstellerteam.“ so FFP New Media über ihren allerersten „Tatort“. (Anstatt eigene Redakteure damit zu betrauen, schrieb der MDR den Auftrag erstmals in der Tatort-Geschichte öffentlich aus, FFPM wurde aus über 100 Bewerbern ausgewählt.) Hat der Sender mit der Beauftragung von „Fremdfirmen“ schon das Schicksal der Produktion besiegelt?
Angeführt von der Bild, die ihm eine Saure Gurke wegen Frauenfeindlichkeit verlieh, gefolgt von n-tv, denen er zu bieder war, und die die in den Film gesetzten „Ansprüche als zu hoch“ bezeichnete. Die „Zeit“ verhängte gar die Höchststrafe, indem sie den Folgen attestierte, „ein Geschlechterbild aus den späten Fünfzigern zu vermitteln“. Eine ganze Salve von abwertenden Kommentaren wurden, meist auf das angeblich mit drei Ermittlern völlig überfrachtete Team abgefeuert. Von dem „viel, viel zu jungen Dreigestirn aus Tic, Trick und Trac“, „die drei ?? suchen ihre Mutti“ (Stern), der “Jungschar, der Rasselbande“ (FAZ) ist da die Rede, die immer im Gänsemarsch daherkämen, ständig Energiedrinks konsumierten und unflätige Sprüche von sich gäben. Keiner findet sich, der die Drei mit dem naheliegenden Argument verteidigt hätte, dass auch in den TO Dresden und Dortmund Trio gespielt wird, und der übliche Doppelpack ja auch nur einen Polizisten weniger hat. Aber die echte Polizei, so kann man in den Verrissen lesen, habe ja gar nicht das Personal, um gleich drei Kommissare ins Rennen zu schicken, völlig weltfremd sei das alles!
Mal etwas anderes und doch irgendwie vertraut: der Tatort aus Erfurt mit den angeblich „unglaubwürdigsten Kommissaren der ganzen Krimi-Reihe“ (Zeit online).
Über die Serie Tatort als volksbildende oder sogar staatstragende Sendung der Öffentlichen Sendeanstalten sind schon einige Artikel geschrieben worden, zuletzt hat Alexander Wallasch im Juli bei Tichys Einblick auf die schillernden Tendenzen der Serie, politische Meinungsmache zu betreiben, aufmerksam gemacht. Nichts davon im Erfurter Krimi, hier sieht man schnörkellose Polizeiarbeit, ohne, wie ein Kommentator schrieb „…Sozialkitsch, politisch korrekte Klischees, Moralismus und oberlehrerhaften Duktus …“.
Die deutschen Krimis müssen sich ja auch gegen mächtige Konkurrenz behaupten: Britische Meisterdetektive wie die Barnabys und Lewis, US-amerikanische Unfehlbarkeit in Sachen Kriminalitätsbekämpfung, Terrorabwehr, in der Rechtsmedizin, und nebenbei auch im Gerichtssaal, dem OP und der Militärischen Abwehr, CIA-SI usw. Es dreht sich mitnichten nur um Unterhaltung. Nicht erst seitdem das Pentagon, wie Regisseur Ridley Scott es ausdrückte: „sehr sehr sehr viel user-Freundlichkeit“ in den Film „Black Hawk Down“ investierte, werden da wichtige Botschaften an den Zuschauer gebracht. In den Krimiserien lernt der Zuschauer daheim auf dem Sofa fürs Leben, neben der ewig gültigen Regel, dass sich Kriminalität nicht lohne, unrechtes Gut nicht gedeihe und die Strafe immer auf dem Fuße folgt, auch, wie die eigenen Ordnungshüter ticken, wie reibungslos der Strafverfolgungsapparat funktioniert und wie abgrundtief böse das Böse wirklich sein kann. Unbewusst wird dabei jede Kleinigkeit aufgenommen und registriert: wie gepflegt tritt der Kommissar auf, ist das ein Alphatier, wie verarbeitet er seinen aufreibenden Job, macht das System Fehler und hat es Schwächen? Hollywood leistet sich da schon seit Jahren keine Patzer mehr. Der Detective muss Nerven und einen Blick aus Stahl haben, die Bügelfalte sitzt rasiermesserscharf und der bestellte Hubschrauber steigt wie ein Racheengel immer zur rechten Zeit hinter dem nächsten Hindernis hoch. Die Schüsse sitzen wie die makellosen Hemden und die Pointen.
Man darf FFPNM das Kompliment machen, dass sie sich in Erfurt da keine Blößen geben. Die Maske hat allem Anschein nach eine Menge Zeit und Arbeit ins Erscheinungsbild des Trios investiert. Keine zotteligen Bärte, billigen Haarschnitte und kein Vergleich mit den Milchbubis, die von „Heiter bis Tödlich“ bis zum Stuttgarter Tatort als Ersatzteile harter Gesetzeshüter herhalten. Das SEK läuft schön synchron wie ein Mann durch Türen und grunzt markig in die Skimasken. Die Szene, in der Erfurter Kommissar Nr. 3 dem widerspenstigen Verdächtigen den Kopf auf die Tischplatte schlägt, hätte man sich allerdings sparen können: die – in US-Serien meist auf dem Fuße folgende – Drohung mit gutgebauten Mithäftlingen dunkler Hautfarbe und heruntergefallenen Seifestücken hatte man sich ja auch gespart.
Der Freitagsabendkrimi war, was er sein sollte: a bisserl Lokalkolorit, eine anspruchsvollere und nicht sofort durchschaubare Geschichte, etwas wohliges Schaudern, Ordnungskräfte ohne Sozialstunden. Aber er bekam keine Duldung.
Lag es am albanischen Paten?
Der Erfurter Tatort sei “zum Davonlaufen“ gewesen, habe „zu den schlechtesten Produktionen der Reihe gehört“, wenn er nicht gar die schlechteste überhaupt war. Das trotz einer „Quote, die befriedigend gewesen sei.“ Was haben Regisseur Johannes Grieser und Produzent also falsch gemacht? Etwa die beiden Besuche der Ermittler in der JVA Erfurt, bei denen die Gefangenen dem unverhofften Damenbesuch (Grewel) mit einem Regen aus Toilettenartikeln applaudieren? Unwahrscheinlich. Und doch gibt dieser Tatort dem Thema Albanischen Bandentums in Thüringen und deren Kampf gegen deutsche Konkurrenz (die Frage sei erlaubt, ob es solche dort in Gestalt von Erzschurken wie Lemke und Berner noch gäbe) einigen Raum. Am Ende ist der Pate nur bereit, mit Grewel (A. Levshin) zu reden, nachdem diese ihm mit einem gestelzten albanischen Satz Zigaretten anbietet. War das etwa das Quentchen zuviel Fremdenfeindlichkeit, Zitat: „Schlägereien mit den Albanern kommen hier – im Erfurter Gefängnis – öfter mal vor“?
Geschichtsvergessene Regie? Den Weg zur entführten Polizeidirektorin weist ein Satz in Sütterlin. Und dann musste auch noch eine Notiz in der geschichtsbeladenen Schrift auf einem alten Foto, für deren Entzifferung man extra einen Kundigen heranziehen musste, den Hinweis auf das Geiselversteck liefern. Ja, die Erfurter haben Geschichte, man zeigte sie so einfach, und es war aber auch gar kein erhobener Zeigefinger auszumachen …
Die Süddeutsche resümiert: „Auch wenn der Erfurter Tatort längst nicht die einzige Eintagsfliege in der knapp 45-jährigen Geschichte der ARD-Krimireihe sei, so tue dieser Fehlgriff doch besonders weh: In seinem Bestreben, das biedere Sender-Image zu korrigieren, ja Progressivität zu demonstrieren, habe sich der MDR eine blutige Nase geholt.“
Die Zuschauer in den Foren konnten sich nicht wirklich einigen: Viel Häme, aber auch viel Zufriedenheit mit einer Wiederkehr alter Krimimuster mit jugendlicher Besetzung. Mit ganz einfach gestrickter, aber gut gemachter Unterhaltung. Kein Fehlgriff, aber im Jahr vor der Flüchtlingskrise für viele Gesellschaftsingenieure ein Schritt zuweit weg vom bereits gut etablierten „konstruktiven Filmschaffen.“