Tichys Einblick
Richter für Meinungsfreiheit

NetzDG: Freie Meinungsäußerung von Gerichten durchgesetzt

Das NetzDG schlägt ins Gegenteil um: Die Rechtsprechung stellt infrage, ob Netzwerke wie Facebook Konten von Nutzern willkürlich sperren dürfen. Regierung und öffentlich-rechtliche Medien müssen auch kritische Kommentare auf ihren Seiten ertragen.

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Die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts präzisiert den Prüfungsmaßstab für Volksverhetzung: „Nicht tragfähig ist ein Verständnis des öffentlichen Friedens, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien zielt.“ Die freiheitliche Ordnung setze aber darauf, dass solchen Äußerungen „grundsätzlich nicht durch Verbote, sondern in der öffentlichen Auseinandersetzung entgegengetreten wird“.

„Das wird ganz massive Auswirkungen auf die inflationäre Sperr- und Löschpraxis in den sozialen Medien haben. Soweit die Nutzer sich wehren,“ so der Medienanwalt Joachim Steinhöfel. Es könnte der Sargnagel am Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) werden. Denn verfolgt werden gerade „provokante Meinungen und Ideologien“. Sie mögen einem nicht gefallen – so ist das nun mal mit der Meinungsfreiheit. Soweit die aktuelle Lage. Das Gesetz gerät aber auch aus  anderen Gründen unter Beschuss, wie unser auf das Medien- und Wettbewerbsrecht  spezialisierte Anwalt Joachim Steinhöfel analysiert: Die Gerichte greifen das Gesetz auf unterschiedlichen Ebenen an.

Erst vor gut einem halben Jahr, m 1. Januar 2018 ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) vollständig in Kraft getreten. Was mit viel Regierungsjubel gestartet ist, hat nicht den vom damaligen Justizminister Heiko Maas erwarteten oder erhofften Ansturm ausgelöst. Das Bundesamt für Justiz vermeldet einen Zugang von 253 Beschwerden innerhalb der ersten 100 Tage seit Einführung im Januar – weit weniger als die von Heiko Maas prognostizierten 25.000 pro Jahr.

Es entstand ein Regelwerk, dessen Hauptanliegen die Eliminierung regierungskritischer Stimmen in den sozialen Netzwerken ist. Schaffen die Internetfirmen keine effziente Löschinfrastruktur und löschen sie rechtswidrige Inhalte nach Kenntnis nicht innerhalb sehr kurzer Zeiträume, drohen nicht nur ihnen, sondern auch den leitenden Angestellten persönlich Geldbußen bis zu 50 Millionen Euro.

Eigentlich wollte die Bundesregierung in Leitlinien festlegen, wie viel die Internetkonzerne bei Verstößen gegen das umstrittene Gesetz zahlen müssen. Eigentlich. Denn auch sechs Monate nach Inkrafttreten gibt es noch keine Regelung. E-Mails zeigen die erfolgreiche Lobbyarbeit von Google und Facebook gegen das NetzDG.

Heiko Maas (SPD) ist Hauptverantwortlicher dieses verfassungswidrigen Gesetzes. Doch die Hauptprofiteurin sitzt im Kanzleramt. Denn es werden nicht nur unzulässige, sondern massenhaft legitime, regierungskritische Stimmen zum Schweigen gebracht.

Geht es um die durch Artikel 5 grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit, muss man weder bei der Union noch bei der SPD nach Verbündeten suchen. Wie sehr selbst die elementarsten Grundlagen eines demokratischen Gemeinwesens – der freie, ungehinderte Zugang zu und Austausch von Meinungen – bei führenden Politikern mit Füßen getreten werden, zeigt deren eigene Lösch- und Blockiertätigkeit in den sozialen Medien.

Der CDU-Politiker und frühere Generalsekretär Ruprecht Polenz dürfte bei Facebook und Twitter mittlerweile mehr Personen blockiert haben, als ihm folgen. Christian Ströbele zeigt sich bei Widerworten ebenfalls mimosenhaft indigniert. Der Verfasser wies den Grünen bei Twitter darauf hin, dass sein Profilname, @MdB_Stroebele, zu ändern sei, weil er aus dem Parlament ausgeschieden ist. Die Regelungen des Bundestags untersagen diesen Zusatz nach einem Ausscheiden ausdrücklich, selbst wenn er mit dem Zusatz „a.D.“ versehen würde. Ströbele führt den Profilnamen weiter und blockierte den Hinweisgeber.

Johanna Uekermann, früher Juso-Vorsitzende und jetzt im Parteivorstand der SPD, ließ Mitte Juni auf Twitter einen bewegenden Einblick in ihre Gefühlswelt zu: „Ich habe Angst. Angst, in einem Land zu leben, das immer weiter nach rechts rutscht. #Weltflüchtlingstag.“ Mithilfe eines Retweets von Parteivize Ralf Stegner brachte es die Offenbarung auf satte 36 Likes. Ich spendete ihr Trost: „Die Angst ist berechtigt. Denn weiter nach links rutschen kann das Land ja nicht mehr.“ Nun bin ich auch von Frau Uekermann blockiert.

Wer ein derart gestörtes Verhältnis zur Meinungsfreiheit hat, der sollte in einem demokratischen Land keine politische Verantwortung tragen dürfen. Die sozialen Medien stehen mit ihren Übergriffen in grundgesetzlich geschützten Positionen, also nicht allein.

Sperrung nur für Private zulässig

Die Befugnis, Dritte aus seinen Accounts bei Facebook, Twitter, Instagram und so weiter auszusperren, steht zwar jedem Privaten einschränkungslos zu, allerdings bin ich der Auffassung, dass das Blockieren durch Ministerien, Mitglieder der Bundes- oder Landesregierungen, Behörden oder auch durch öffentlich-rechtliche Anstalten oder auf den von diesen betriebenen Profilen für ihre Sendungen rechtswidrig ist und mit Aussicht auf Erfolg vor Gericht angegriffen werden kann – soweit sich der Sanktionierte mit seinen Äußerungen innerhalb der Grenzen der deutschen Gesetze bewegt hat. Dies ergibt sich aus der Drittwirkung der Grundrechte, insbesondere der Artikel 3 und 5 GG (Gleichheitssatz, Meinungsfreiheit). Die Grundrechte strahlen als verfassungsrechtliche Wertentscheidungen in das Zivilrecht ein.

Wenngleich AfD, FDP, Grüne und Linke das Gesetz in seiner jetzigen Form kategorisch ablehnen, sind sie aktuell keine verlässlichen Verbündeten im Kampf gegen das im Volksmund „Zensurgesetz“ betitelte NetzDG. Berührungsängste verhindern die überparteiliche Zusammenarbeit der erforderlichen 25 Prozent der Abgeordneten, um eine Prüfung durch das Verfassungsgericht zu veranlassen.
Müsste Karlsruhe über das Gesetz befinden, würde dies wohl dessen Ende bedeuten. Hoffnung machen jedoch erste Entscheidungen der Zivilgerichte, die Löschungen und Sperrungen rechtmäßiger Inhalte durch Facebook mit einstweiligen Verfügungen untersagten. Die im April bekannt gewordene, von meiner Anwaltskanzlei erwirkte erste derartige Entscheidung des Landgerichts Berlin hat für sehr breite nationale und internationale Berichterstattung gesorgt. Wenngleich es sich hier um Neuland handelt, so bildet sich doch im Kern eine Rechtsprechung her- aus, mit der man sozialen Medien mit Aussicht auf Erfolg Sperrungen und Löschungen rechtmäßiger Inhalte untersagen kann.

Willkür der Giganten

Facebook hat sich in diesen Verfahren auf seine „Gemeinschaftsstandards“ berufen, die dem Unternehmen die Befugnis zu Löschungen einräumen, wenn das Unternehmen „der Meinung ist“, ein Inhalt stelle einen Verstoß dar. Der Internetgigant hat vor Gericht also ernsthaft vorgetragen, völlig willkürlich löschen zu dürfen. Jeder Nutzer, jeder Beobachter sollte wissen, mit welchem Selbstverständnis dieses Unternehmen operiert.

Mit dieser abwegigen Rechtsauffassung konnte Facebook bislang allerdings nirgendwo durchdringen. Diese Regelung unterliegt vielmehr nicht nur der gerichtlichen Inhaltskontrolle, sie ist auch, weil sie die Löschbefugnis zulasten des Nutzers in das Belieben des Unternehmens verlagert, rechtswidrig.

Die Löschung rechtmäßiger Inhalte oder eine darauf beruhende zeitlich befristete oder völlige Sperrung ist ein schuldhafter Pflichtverstoß von Facebook oder Twitter bis hin zu Netzwerken wie dem sehr löschaktiven Xing, der gerichtlich untersagt werden kann. Auch Schadenersatzansprüche können durchgesetzt werden.
Damit steht jetzt eine bittere Gegenmedizin für das NetzDG zur Verfügung, mit der man das umsetzen kann, was Heiko Maas zwar formuliert, aber wofür er keine ausdrückliche gesetzliche Anspruchsgrundlage geschaffen hat: „Niemand muss hinnehmen, dass seine legitimen Äußerungen aus sozialen Netzwerken entfernt werden.“ Wenn sich dieser Anspruch aus geltendem Recht ergibt, umso besser.

Facebook ist bockig

Tausende Facebook-Nutzer hatten dazu aufgerufen, die „Erklärung 2018“ zu unterzeichnen. Einer, der das tat, wurde dafür von Facebook wegen angeblicher „Hassrede“ für 30 Tage gesperrt, sein Aufruf gelöscht – obwohl er nur unaufgeregt zum Unterzeichnen aufgerufen und den Link verbreitet hatte.

Die Löschtrupps von Facebook unterdrückten mithin einen Aufruf für eine Petition, die auf der offiziellen Seite des Bundestags zu finden ist. Das NetzDG dient eben nicht dem Kampf gegen „Hass und Hetze“, es hilft nur dabei, die politische Willensbildung zu unterdrücken, sofern sie der Regierung und ihren Unterstützern nicht passt. Facebook wird sich auch für diesen Schritt vor Gericht zu verantworten haben.

Eine einzige positive Regelung enthält das NetzDG. Im Januar 2017 schrieb ich online bei Tichys Einblick: „Den sozialen Netzwerken sollte aufgegeben werden, eine im Inland liegende Zustelladresse im Impressum zu benennen, an die Abmahnungen, einstweilige Verfügungen und Klagen gerichtet werden können. Dies würde jegliche Verfahren ganz massiv beschleunigen, vereinfachen und die Justiz entlasten.“

Diese Vorschrift fand sich im Gesetzentwurf wieder. Nur wird sie jedenfalls von Facebook fortlaufend verletzt. Die Zustellungsbevollmächtigten wurden zwar benannt, schicken jedoch sämt- liche Schreiben an Gericht und Gegner zurück, da sie „nicht zustellungsbevollmächtigt“ seien. Entgegenstehende Entscheidungen mehrerer Landgerichte werden hartnäckig ignoriert. Das NetzDG sieht für einen solchen Verstoß Bußgelder bis zu 500.000 Euro vor.

Den Antrag, ein spürbares Bußgeld gegen Facebook zu verhängen, leiten wir dem dafür zuständigen Bundesamt für Justiz zu.


Dieser Beitrag ist in Ausgabe 08/2018 von Tichys Einblick erschienen >>

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