Auf einer Anklagebank zu sitzen, ist unangenehm und der Reputation abträglich. Wenn es vor dem Europäischen Gerichtshof geschieht und Deutschland angeklagt ist, kann man sich internationaler Aufmerksamkeit gewiss sein. Soweit ist es noch nicht, die Klage der EU-Kommission ist noch frisch und das Gericht muss sie erst annehmen.
Deutschland wird vorgeworfen, die Vorschriften über die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde, also der Bundesnetzagentur (BNA), nicht eingehalten zu haben. Diese muss nach Ansicht der Kommission „unabhängig von jeglichen staatlichen oder wirtschaftlichen Interessen sein“. Das so genannte „Dritte Energiepaket“ schreibt vor, dass Bundesregierung und Gesetzgeber die Netze überhaupt nicht direkt regulieren dürfen. Derzeit legt die Bundesregierung aber vieles im Detail fest und die BNA ist nur noch ausführendes Organ. Einzelheiten sind beispielsweise in Stromnetzzugangsverordnung und Entgeltverordnungen staatlich im Widerspruch zur EU-Verordnung festgelegt. Der Vorwurf lautet, die deutsche Regelung unterbinde Wettbewerb.
Zudem seien Entflechtungsvorschriften nicht gänzlich realisiert. Die strikte Trennung von Netzbetreiber und Erzeuger fänden sich bei TransnetBW (Tochter von EnBW) und Amprion (RWE hält Anteile) nicht wieder. Auch Personalunion sei in den Gesellschaften zu finden.
Welche Folgen hätte eine Verurteilung Deutschlands? Die BNA würde einen erheblichen Machtzuwachs erfahren und ein Großteil der auf dem deutschen Energiesektor geltenden 26 Gesetze und 33 Verordnungen wäre anzupassen. Vor allem aber wäre der eingeschlagene Weg der zentralen Staatsplanung der Energiewende so nicht fortführbar. Die EU-Kommission sieht die Regulierungsbehörden als Mittel zur Sicherung des Marktes an, nicht als Erfüllungsgehilfen von Regierungen.
Nun hat die EU-Kommission allerdings nicht aus dem Hinterhalt geschossen. Seit 2015 lief ein Vertragsverletzungsverfahren, während dessen andere Weichenstellungen in Deutschland möglich gewesen wären. Offenbar war unsere Regierung mit sich und anderen Fragen so beschäftigt, dass man einfach auf das Prinzip Hoffnung setzend den Kopf in den Sand steckte. Das Thema ist offenbar nicht so wichtig.
Im März 2018 warf der unsägliche Staatssekretär für Energie im Wirtschaftministerium, Rainer Baake, die Tür hinter sich zu. Er hatte die Weichen in Richtung Sackgasse gestellt und der Energiekurs war ihm nicht mehr Grün genug. Bis heute gibt es keinen Nachfolger. Dann macht es der Chef wohl selbst? Dazu dürfte Altmaier wenig Zeit haben, denn seine Hauptaufgabe besteht offenbar darin, in Talkshows präsent zu sein und Regierungspolitik auf allen Feldern zu verteidigen.
Nun ist es vor dem Europäischen Gerichtshof wie auf hoher See. Egal, wie der Spruch in vermutlich mehr als einem Jahr lauten wird, der Eindruck des deutschen Kontrollverlustes bleibt. Wird der „Vorreiter“ zurück gepfiffen, verkompliziert sich die Lage. Geht es weiter wie bisher mit immer kleinteiligerer Planwirtschaft, dann auch.
In jedem Fall wird die Energiewende komplizierter als der Bau eines Flughafens.