Tichys Einblick
„Vermögensabschöpfung“

Berlin – Beschlagnahmung von 77 Immobilien

Dass die Staatsanwaltschaft vor die Presse tritt, ohne genügend gesicherte Erkenntnisse zu haben, zeigt die Nervosität des Senats, der lange einfach nur wegschauen wollte.

© Getty Images

Allein in Berlin-Neukölln werden 1.000 Personen kriminellen Clans zugerechnet, die jahrelang mehr oder minder ungestört ihren „Geschäften“ nachgehen konnten. Nicht unbemerkt von der Öffentlichkeit konnte man dem Treiben nicht mehr länger zuschauen. „Wir haben seit 20 Jahren zunehmend Probleme mit organisierter Kriminalität“, so die damalige Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), im Oktober 2017, „es geht um Drogenhandel, Einbruch, Raub, Hehlerei, Menschenhandel, Prostitution und illegales Glücksspiel“.

„Schlagkräftige Vermögensabschöpfung“

Oberstaatsanwalt Storck: „Auch unterschwellige Delikte, wie das Fahren ohne Fahrerlaubnis oder Beleidigung durch Personen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität sollen konsequent verfolgt und zur Anklage gebracht werden. Wie das mit einer kaputtgesparten Polizei und Justiz vollzogen werden soll, verriet der gute Mann nicht, denn in Berlin werden meistens nur noch Haftsachen verhandelt währenddessen andere Verfahren jahrelang vor sich hin schmoren. Aber immerhin hat man seit 2017 ein „Pilotprojekt“ und zusätzliches Personal, das dafür an anderen Stellen neue Löcher aufreißt. Innensenator Behrend (Bündnis 90/Grüne) will 42 zusätzliche Stellen zur Bekämpfung der „Organisierten Kriminalität“ (OK) bereitstellen, vor allem zur „schlagkräftigen Vermögensabschöpfung“ (am Ende das eigentliche Ergebnis? Kohle für den Senat?).

Ob das am 19.07.2018 in der Pressekonferenz von Berliner Staatsanwälten verkündete Ermittlungsverfahren gegen 16 Beschuldigte aus einer Großfamilie bzw. des „näheren Umfeldes“ etwas mit diesem Projekt zu tun haben, ist gegenstandslos, denn die Polizei ist von Amtswegen verpflichtet, Straftaten zu verfolgen.

Am letzten Freitag hatten 40 Beamte 13 Orte in Berlin und Brandenburg durchsucht. Ausgangspunkt der Ermittlungen soll ein Sparkasseneinbruch gewesen sein, bei dem 100 Schließfächer aufgebrochen und ein Geldautomat gesprengt wurden. Die Beute betrug 9,16 Millionen Euro und  bis heute verschwunden. Einer der Täter wurde verurteilt.

77 Grundstücke eingezogen

Die jetzigen Beschuldigten stehen im Verdacht mit dem Raubgut Immobilien erworben zu haben, um das Geld reinzuwaschen. So unter anderem auch ein Familienmitglied, dass von Hartz IV lebte, jedoch damit auffiel, da er 2015 eine Eigentumswohnung erworben hatte. Die aufwendigen Folgeermittlungen ergaben 77 Grundstücke, die gem. § 111a StPO im Ermittlungsverfahren nunmehr vorläufig eingezogen wurden. Medienangaben, wonach es sich um Mehrfamilienhäuser, Einfamilienhäuser, Wohnungen und sogar eine ganze Kleingartenkolonie handelt, wollte die Staatsanwaltschaft nicht bestätigen, ebenso wenig, dass es sich um einen libanesischen Familienclan handeln soll.  Angehörige der Sippe stehen auch im Verdacht, die 100 Kilogramm schwere Goldmünze „Big Maple Leaf“, mit einem Materialwert von 3,7 Mio. Euro, aus dem Berliner Bode-Museum geraubt zu haben.

Der Berliner Stadtrat Falko Liecke berichtet: „Applaus und Bravo für das beherzte Durchgreifen der Staatsanwaltschaft. Das Konzept der Staatsanwaltschaft vor Ort greift.“ Auf die Familie würden hunderte Straftaten gehen, er führt an:

Allerdings weiß man noch nicht genau, ob das vielgepriesene „Konzept“ greift. Denn selbst die federführende Staatsanwaltschaft räumt ein, dass die Ermittlungen wegen Geldwäsche und Vermögenssicherstellung noch nicht abgeschlossen sein können, damit steht auch noch nicht fest, ob die Beweise ausreichen werden, um Anklage zu erheben. Keine der beschuldigten 16 Personen befindet sich gegenwärtig in Untersuchungshaft. Ein Fingerzeig auf den tatsächlichen Stand des Verfahrens.

Pressekonferenz ohne belastbare Ermittlungsergebnisse

In sichtliche Verlegenheit kam Staatsanwalt Dr. Bernhard Mix auf die Frage eines Journalisten, warum man heute eine Pressekonferenz ansetze, obwohl gegenwärtig noch keine ausreichend belastbaren Ermittlungsergebnisse vorliegen. Sein Kollege musste einspringen und beantwortete die Frage damit, weil ein „mediales Interesse vorliegt“. Öffentlichkeitsarbeit scheint ein wesentlicher Punkt des „Pilotprojektes“ bzw. „Konzeptes“ zu sein. Dabei werden Bezeichnungen wie beispielsweise „mafiahafte Strukturen“ vermieden, stattdessen spricht man üblicherweise lieber von „Organisierter Kriminalität“.

„Zwischen 12 und 20 kriminelle Großfamilien soll es in Berlin geben”, schreibt die Berliner Zeitung und präsentiert eine Chronologie der bekannten Taten. Sie nennt den hier in Frage stehenden Clan die aus dem Libanon stammende Großfamilie R..

Vermutlich wird sich der Eindruck auf die verbleibenden 984 kriminellen Clanmitglieder in Neukölln in Grenzen halten, jedoch scheint ein öffentlichkeitswirksamer Anfang gemacht zu sein. Die Frage bleibt bestehen, wie es zu derartigen langjährigen und faktisch ungestörten Auswüchsen an Clan-Kriminalität kommen konnte, offensichtlich ist, dass heruntergesparte und überlastete Behörden und ein vorangegangener suboptimaler politischer Wille zur Bekämpfung von Mafiastrukturen, der Nährboden für eine Hydra sind, der man zwar einen Kopf abschlagen kann, man aber damit leben muss, dass zwei Köpfe nachwachsen.

MDR-Redakteur Axel Hemmerling schreibt in einem etwas anderen Zusammenhang im „Buch Schlussakkord Deutschland: Wie die Politik unsere Sicherheit gefährdet und die Polizei im Stich lässt“ von „paradiesischen Zuständen“ für die Aktivitäten der Mafia- die sich einst auch als „Familie“ bezeichnet hat. Das Kapitel lautet: „Kein Kampf gegen die Mafia: Mafiaparadies Deutschland“, Seiten 149 bis 169. Vergleiche zu schwerkriminellen arabischen Familienclans sind keinesfalls abwegig.

 

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