Noch ein Beitrag zum leidigen, von allgemeiner Begriffsverwirrung – Flüchtlinge, Asylbewerber, Geflüchtete, Schutzsuchende, Migranten, Immigranten, Zuwanderer, Einwanderer – geprägten Thema – muss das sein? Ja, denn das Thema wird uns auch noch nach den Landtagswahlen im Oktober, in Hessen und Bayern, auch nach weiteren EU-Gipfeln und Kontroversen mit und zwischen unseren EU-Partnern, beschäftigen. Richtig, soeben hat der in den Medien weithin angefeindete Innenminister Seehofer davon gesprochen, dass die – nach langem Hickhack – im Koalitionsvertrag vereinbarte „Obergrenze“ von 220.000 Asylsuchenden auch in diesem Jahr mutmaßlich überschritten wird. Man muss die Zahl nur hochrechnen, um zu erkennen, wie „dieses Land“ in zehn Jahren und danach aussehen wird.
Fraglos löst diese Nachricht in der Moral- und Sozialindustrie Freude aus. Sie bekräftigt das Bewusstsein moralischer Überlegenheit gegenüber den „völkischen Dumpfbacken“ und sonstigen Verdächtigen und sichert staatlich alimentierte und/oder „zivilgesellschaftlich“ kreierte Arbeitsplätze, liefert philosophisch und theologisch überforderten – oder geistig bequemen – Pastoren und Pastorinnen Füllmaterial für ihre Sonntagspredigt.
Es geht längst um prinzipielle Fragen: „Open borders“ („links“ – links?) oder „Festung Europa“ („rechts“ – rechts?), somit nicht minder um simplifizierende, untaugliche Begriffe. Man kann das Thema auf peinlich naive Weise behandeln – wie in einer Karikatur, die mir eine Freundin übermittelte: Ein europäischer („weißer“) Lkw-Fahrer, der eine Ladung Waffen nach Süden transportiert, ruft einem (schwarz-afrikanischen) Mann, der aus der Abschiebehaft die Rückreise zu Fuß bewältigen muss, grinsend zu, ob er ihn ein Stück Wegs mitnehmen soll. Die Komplexität der schwarzafrikanischen oder nahöstlichen Realität wird auf simple Moral reduziert. Das soll auch noch komisch sein.
Was die Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland ist oder sein soll, wissen – aus historischen Gründen – die wenigsten Vertreter der politischen Klasse in Deutschland. Immerhin gehört zur deutschen Staatsräson – aus unzweifelhaften Gründen – die Erinnerung an eine bittere, schlimme Vergangenheit. Dass diese Erinnerung – und die daraus abgeleitete unsichere Staatsräson – die Mehrzahl der Millionen Neubürger nicht im mindesten berührt, erleben wir tagtäglich auf den Straßen, in den „Problemvierteln“, in den Sozialämtern – zuletzt auch in der nur an der Oberfläche lustigen Auseinandersetzung über das Debakel „unserer“ Fußballhelden.