Tichys Einblick
Deutschlands erste Bischöfin

Was man von Margot Käßmann lernen kann

Ihre Karriere war von frühen Erfolgen ebenso geprägt wie von Abstürzen aus höchsten EKD-Ämtern, ihre Positionen fanden unter Protestanten sowie reformkatholischen Kreisen irritationsfrei Zustimmung. Über das fragwürdige Erbe der Margot K. Von Heinrich E. Bues.

© Miguel Villagran/Getty Images

Ende Juni ist Margot Käßmann als Kirchenfunktionärin, ehemalige EKD-Ratsvorsitzende, Ex-Landesbischöfin und Luther-Botschafterin in ihren verdienten oder unverdienten Ruhestand getreten. In der „Bild am Sonntag“ schalt sie Papst Franziskus, in puncto Ehe, Abtreibung und Familie „engstirnig“ zu sein. Trotz ihrer von Abstürzen aus höchsten EKD-Kirchenämtern und Häresien geprägten Karriere, blieben ihr viele Protestanten sowie reformkatholische Kreise irritationsfrei und treu verbunden. Nun tritt die „Königin des Mainstreams“ von der medialen Bühne ab und hinterlässt ein fragwürdiges Erbe.

Anfang der 1980er Jahre hörte ich Frau Käßmann zum ersten Mal in einem Vortrag, als die damalige junge Mitarbeiterin des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) als große Hoffnungsträgerin für liberale, protestantische Kirchenreformen von lutherischen Kirchenverantwortlichen präsentiert wurde. Der Kampf gegen Rassismus und Krieg, gegen Ungerechtigkeit und Zerstörung der Schöpfung, das waren bereits damals ihre Hauptthemen. In einer Zeit, in der es noch keine lutherischen „Bischöfinnen“ gab, kämpfte Käßmann für feministische Anliegen.

Rangliste der Irrungen und Wirrungen

Es fällt schwer, eine Rangliste ihrer Irrungen und Wirrungen in der langen Karriere dieser lutherischen Kirchenfunktionärin aufzustellen. Meist kam sie mit ihrer Wortgewandtheit gut bei ihren Zuhörern an, weil sie es verstand, ihre hintergründigen Anliegen als gute Neuerung zu präsentieren.

Die drei Spitzenplätze ihrer Irrungen und Wirrungen besetzen erstens ihr Kampf für die „Weltverbesserung“, zweitens die „Vielfalt der Kirchen“ und drittens die Untergrabung der protestantischen Bibel-Gläubigkeit. Diese drei Punkte beinhalten für die katholische Christenheit am meisten Sprengstoff: „Wir wollen Weltverbesserer sein!“, schleuderte sie beim Ökumenischen Kirchentag 2010 in München ihren Zuhörern entgegen, als sie wegen ihrer politischen Äußerungen zum Afghanistan-Krieg in der Kritik stand. Mit Blumen und Gebeten wollte sie „Frieden schaffen ohne Waffen“. Die in Bochum über „Armut und Reichtum“ promovierte Theologin wiederholte mit ihren Weltverbesserungsappellen die schon Anfang des 20. Jahrhunderts kreierte Irrlehre des „Sozialen Evangeliums“, wonach sich Christen in erster Linie politisch und sozial engagieren sollten.

Irrlehre im Namen der Nächstenliebe

Mit dieser Irrlehre, die vornehmlich im Rahmen von Nächstenliebe propagiert wird, rückt verhängnisvollerweise die transzendentale Ebene, das Erreichen des „Himmelreiches“, aus dem Blick. Wo das Reich Gottes nur noch auf der Erde gebaut, der irdische Friede vorangebracht werden soll, wird letztlich das ganze Evangelium seines Inhaltes beraubt. Das von Jesus und den Aposteln verkündete Himmelreich oder Reich Gottes hat mit Weltverbesserung ziemlich wenig zu tun. Vor Pilatus angeklagt, erklärte Jesus, dass „sein Reich nicht von dieser Welt“ ist. Das Reich Gottes sei auch nicht irgendwo geographisch, sondern „mal hier und mal dort“ aufzufinden, erklärte er bei anderer Gelegenheit. Das Leben einzelner Christen und ihre Umgebung mag durch den Glauben „besser werden“, aber letztlich kann man auch, „wenn man die ganze Welt gewinnt“, die eigene Seele für das Himmelreich verlieren, so Jesus in der Bergpredigt.

Plädoyer für eine Kirche der Freiheit
Geht der Kirche der Glaube aus?
Das Käßmann’sche Programm der Weltverbesserung entnimmt starke Anleihen aus dem sozialistischen „Paradies der Arbeiter und Bauern“. Dass der ÖRK massiv von Kommunisten im 20. Jahrhundert unterwandert war, ist heute bekannt. Die Umdrehung der Werte und Worte nach Marx’schem Muster, die „Umwertung der Werte“, hat Margot Käßmann, ähnlich wie Angela Merkel, meisterhaft betrieben. Schön klingt es, wenn „Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung“ gefordert werden; doch längst sind diese biblischen Worte ihres Inhaltes beraubt und mit einem anderen Geist gefüllt worden.
„Vielfalt der Kirchen“ statt spiritueller Verschiedenheit

Auf Platz zwei der Käßmann’schen Irrungen und Wirrungen wäre ihre Rede von der Vielfalt und dem Plural der „Kirchen“ zu nennen. Würde „allein die Bibel“ gelten, so einer der wichtigsten Leitsätze der Reformatoren, dürfte man von „Kirche“ nur im Singular sprechen. Das geht sowohl aus den altkirchlichen Bekenntnissen wie dem Apostolischen und Nicänischen Credo, wie auch aus den entsprechenden biblischen Passagen hervor. Jesus spricht beim Petrus-Bekenntnis (Matthäus 16) von „meiner Kirche“, der heilige Apostel Paulus schreibt immer vom „Leib Christi“ und nie von den Leibern Christi. Auch der heilige Apostel Petrus kennt nur einen „Tempel aus lebendigen Steinen“ und nicht viele. Eine gewisse Verschiedenheit kann es zwar in der Spiritualität unter Christen und kirchlichen Gemeinschaften geben, aber die vom ÖRK propagierte „Vielfalt in Verschiedenheit“ ist eine Utopie und Irrlehre.

Weit entfernt von Luthers Grundsatz: sola scriptura

Auf den dritten Rang ist Käßmanns Haltung zur „Heiligen Schrift“ zu setzen, mit der sie systematisch den einzigen Ast absägt, auf dem die reformatorischen Gemeinschaften sitzen. Vom Sola-Scriptura-Glauben Luthers ist in der von Käßmann bearbeiteten „Bibel in gerechter Sprache“ nicht mehr viel zu finden. Um sie zeitgeistkonform zu machen, eliminierte man entsprechend feministische Diktion, vermeintlich männliche Titel wie der „Herr“. Aus dem Heiligen Geist wird die „heilige Geistkraft“. Das Petrus-Bekenntnis lautet: „Du bist der Messias, der Sohn Gottes, der (!) Lebendigen“, muss der Leser entgeistert feststellen.

Pastorale Animateure
Fröhliches vom Lutherjahr
Die Tragik dieser so sprachgewandten Kirchenfunktionärin zeigte sich auch als „Luther-Botschafterin“ für das Reformationsgedenken 2017. Sie blieb in dieser Rolle merkwürdig blass, konnte Luther nicht viel Positives abgewinnen und verlieh dem Jubiläum mit seinen hoch gesteckten Erwartungen keinen Schwung. Für linksorientierte Reformkatholiken, die mit Käßmanns „Glauben“ an die „Weltverbesserung“, die vielen „Kirchen“ und der zur Disposition gestellten Heiligen Schrift liebäugeln, bleibt die Frage, ob sie jetzt die Chance zu konvertieren ergreifen oder doch lieber zur bewährten katholischen Lehre zurückkehren.

Was man von Margot Käßmann lernen kann

Glosse von Georg Blüml

Es ist, ach, eine schwere Kunst – die Kunst des Rücktritts von Amt und Würden! Zu oft doch nagt an den bedeutsamen Entscheidungsträgern (und auch -innen) die Hybris der eigenen Unersetzlichkeit: „Wer soll’s denn machen? Man ist doch alternativlos!“

Unter den Handverlesenen, welche die hohe Kunst des Zurücktretens beherrschen, ragt eine Lichtgestalt wie keine andere hervor: Dr. Margot Käßmann. Am 24. Februar 2010, nur vier Tage nachdem sie mit einem Alkoholpegel von 1,54 ‰ eine rote Ampel übersehen hatte, trat mit ihr erstmals eine Landesbischöfin von allen Ämtern zurück.

Öfter schon war sie in ihrer Karriere die erste gewesen: Mit 25 Jahren wurde die streitbare Theologin als Jüngste in den Weltkirchenrat gewählt und als Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentags war die damals 36-Jährige die erste Frau in diesem Amt. Mit 41 erklomm sie gar die Spitze der Hannoverschen Landeskirche und wurde Deutschlands erste Bischöfin. Sterbebegleitung, Behindertenförderung, arm und reich, Krieg und Frieden – die prominente Protestantin widmete sich einem bunten Strauß an Themen; bedarfsweise moralisierend oder populistisch dargereicht.

Käßmanns besonderes Steckenpferd aber blieb die Ökumene – von Papst Benedikt erwartete sie hierzu von vorneherein nichts. In Sorge um die Einheit der Christen wagte sie auch ungewöhnliche Brückenschläge. Beherzt griff sie zum Holzhammer, um die Pfeiler hierfür in den Grund zu rammen: Inmitten des Münchner Liebfrauendoms pries sie die Anti-Baby-Pille als Gottesgeschenk. In Sachen Ehe, Abtreibung und Familie gilt der geschiedenen Mutter von vier Töchtern selbst Papst Franziskus als zu engstirnig. Dass der Sekretär der evangelisch-lutherischen Kirche Russlands ihre Wahl zur EKD-Ratsvorsitzenden als „Krisenzeichen westlicher Gesellschaft“ kommentierte, nahm „Miss Ökumene“ mutig in Kauf.

So kometenhaft Käßmanns theologische Karriere auch verlief, in ihrem Rücktritts-Management griff sie nach den Sternen: Umstandslos und ohne die übliche Salami-Taktik – nach welcher man scheibchenweise nur jenes eingesteht, was irreparabel nachweisbar ans Licht kam – räumte sie die polizeilich festgestellte Trunkenheit am Steuer ein.

Es bleibt bedauerlich, dass ihr inspirierendes Beispiel bei nachfolgenden Generationen rücktrittsreifer Politiker keine sonderliche Beachtung fand. Aber Theologie und Tagespolitik bleiben nun einmal zwei völlig unterschiedliche Brotgewerbe und von der jeweils anderen Seite größtenteils unverstanden.

Mit ihrer Methode aber bewies Margot Käßmann, dass ein Rücktritt nicht das Ende sein muss. Bald schon startete sie zu einer nachbischöflichen Karriere durch und entdeckte in sich weitere wahre Berufungen. Die Gottesfrau schillerte als Bestsellerautorin, Talkshowgast und -masterin sowie als gefragte Referentin über Gott, Welt und letzte Dinge: beim „Bestattungen.de-Award“ suchte sie Deutschlands schönste Urne.

Zuletzt war Käßmann Jubiläumsbotschafterin der EKD. Als solche wurde sie nun – nach 500 Jahren Reformation – in den Ruhestand verabschiedet. Es dürfte ein unruhiger werden. Käßmanns Kompetenz: Sie kann Rücktritte. Ob man in Berlin noch eine Beraterin sucht…?


Der Artikel „Die Königin des Mainstreams tritt ab“ von Heinrich E. Bues und die Glosse „Was man von Margot Käßmann lernen kann“ von Georg Blüml sind zuerst erschienen am 5. Juli 2018 in DIE TAGESPOST. Katholische Wochenzeitung für Gesellschaft, Politik und Kultur.

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