Tichys Einblick
Möwen in Hamburg und Istanbul

Tatort mit Schweiger: Action ohne politische Volkserziehung

Til Schweiger wagte sich an einen Kino-"Tatort". Seit Jahren schon wird am Krimi-Methusalem Tatort experimentiert, diesen aus der Reihenhaus-Wohnzimmeratmosphäre zu führen: Und wenn das nun beste Unterhaltung war, dann ist Schimanski jetzt irgendwie Geschichte, oder?

© Alexander Wallasch

Alexander Wallasch war im Februar 2016 mit dabei, als Til Schweiger seinen Kino-Tatort in einem kleinen Vorführkino für die Kinobetreiber in einer Vorab-Fassung über die Leinwand laufen ließ. Die Kino-Betreiber griffen zu, der Tatort floppte allerdings. Gestern dann nach zweieinhalb Jahren der Tatort im Fernsehen. Schweiger beschwerte sich zuvor noch über den Sendezeitpunkt, aber da sein Tatort Überlänge hat, war nur eine Ausstrahlung in einer Anne-Will freien Zeit möglich, argumentierten die Programmmacher.

Das Magazin Spiegel wird diesem Tatort später vier von zehn Punkten geben. Die neuen politischen Tatorts, die AfD und Co aufs Korn nahmen, bekamen zwischen acht und zehn Punkte. Nun hatte sich Schweiger auch auf dem politischen Feld versucht, als er Ende 2015 ein Vorzeige-Flüchtlingsheim im Harz bauen wollte, aber in seinem Tatort ist davon nichts zu spüren. In den Istanbuler-Szenen gibt es ein paar Anspielungen auf Erdogans Regime ebenso, wie in Moskau Putins Art zu regieren Nadelstiche abbekommt. Ja, dieser Tatort kommt viel herum. Aber er ist weit davon entfernt, ein politischer zu sein.

Til Schweiger wagt sich an einen Kino-„Tatort“. Seit Jahren schon wird am Krimi-Methusalem experimentiert. Man will Reihenhaus-Wohnzimmersätze wie „Guten Tag Herr Kommissar, mein Mann ist ermordet worden.“ eliminieren. Aber ins Wagnis gehen darf dabei nur, wer mit künstlerischen Ambitionen antritt. Macht auch nichts, wenn man dann so grandios scheitert wie zuletzt dieser in wirren Anspielungen abgesoffene Wiesbadener Tatort mit Ulrich Tukur.

Schweiger darf das nicht. Der steht unter Generalverdacht. Der steht für diese schleichende US-Amerikanisierung, für die Popcornisierung des deutschen Films. Selbst sein Deutsch-Sprech klingt so, wie diese Bubblegumer Englisch sprechen. Das bringt die deutschen Tatortreiniger auf den Plan. Das deutsche Feuilleton wünscht sich mehr deutsche Ernsthaftigkeit. Deutsche Ernsthaftigkeit, darum geht’s also. Um den nahtlosen Übergang hin zu Günther Jauch, der jetzt wieder Anne Will heißt. Ernsthaft?

Tschillers Tochter auf Abwegen

Licht aus im Warner Bros. Minivorführkino. Ein letztes Stoßgebet: Til Schweiger, bitte, bitte, lass es gut werden. Los geht’s mit schnellen Schnitten, vorantreibenden Beats wie in der Bourne-Trilogie. Smartphone-Textnachrichten rattern so schnell über startende Flugzeuge hinweg, dass man kaum mitkommt. Menschen eilen vorbei, Koffer werden hastig hinterher gezogen, Pässe am Check-In vorgelegt – auch von einer attraktiven zwar, aber offensichtlich hypernervösen Blondine, die nach Istanbul will.

Schweiger, Drehbuchautor Christoph Darnstädt und Regisseur Christian Alvart haben sich einiges einfallen lassen. Zuviel auf einmal? Man kennt das aus Horrorfilmen: Nach Schreck kommt die Beruhigung – in die hinein dann das nächste „Buh!“ umso überraschender knallt. Ein Doppelbuh gewissermaßen. „Tschiller: Off Duty“ ist voll gestopft mit Doppel- sogar Dreifachbuhs.

So eine Verfolgungsjagd irgendwo im nächtlichen Nirgendwo vor Moskau ist dann nicht einfach eine wilde Ballerei von Auto zu Auto. Hier mischt gleich noch ein mächtiger Mähdrescher mit, der den schäbigen Miet-Lada der Kommissare krachend durchs Feld schiebt.

Russische Prostituierte an Bord

Zwischenzeitlich ist noch eine russische Prostituierte mit an Bord gekommen, Typ „Pretty Woman“, die gleich mit verschoben wird. Ein Mähdrescher in Russland. Symbol des Bauernstaates. Sozialistischer Realismus. Eine groteske Simplifizierung. Noch dazu, wenn Tschiller den Claas-Giganten kapert, weil der Lada hinüber ist und den dann mitten auf dem Roten Platz zwischen parkt, als hätten wir 1987 und er wäre Matthias Rust. Toll!

Überhaupt sind solche Übersteigerungen tragende Elemente. „Tschiller: Off Duty“ zitiert sich im Vorübergehen frech durch die großen Actionfilme der letzten Jahrzehnte. Da taucht die Adrenalin-Spritze ins Herz aus Tarantinos „Pulp Fiction“ wieder auf. Und die Szenen im türkischen Knast erinnert an Oliver Stones Knastdrama „Midnight Express“.

„Ganz schön Klischee, oder?“

Alles ist Action. Aber alles ist auch ein großer Regiespaß. Eine deftige Spielerei mit dem Genre, die so wunderbar implodiert, wenn sich Yalcin Gümer in einem echt üblen KGB-Folterknast – plötzlich wieder als Fahri Yardim – nicht etwa an Tschiller, sondern direkt an den Kumpel Til Schweiger zu wenden scheint, wenn er grinsend meint: „Schon ganz schön Klischee, oder?“

„Tschiller: Off Duty“ lässt den Sack immer ein stückweit offen. Dann reisst der Himmel wieder auf und der Druck entweicht. Dann laufen diese Hamburger Kommissare schon mal tollpatschig durch die Fremde wie Tom Gerhardt und Hilmi Sözer auf Malle in Ballermann 6. „Ich sprech kein Fleischklops“, sagt Tschiller, als er von einem Dicken auf türkisch angesprochen wird. Und die Suppe im Knast sieht für Tschiller aus wie „Pferdewichse“. Mann, wie die sich selbst auf die Schippe nehmen!

Schweiger selbstironisch

Til Schweiger kann auch selbstironisch: Dann zeigt er seinen schärfsten Kritikern die lange Nase und lässt Fahri Yardim splitternackt auftreten wie eine überdrehte Kopie seiner eignen Kult-Nackt-Szene in „Der bewegte Mann“. Alles ein großer überbordender Fun-Dreh. Und ehrlich: 135 Minuten durchgehend Action, das wäre auch erschöpfend.

Aber zwischendurch wird nicht einfach das nächste Bond-Girl im nächsten Hotelbett bespielt: Tschiller bekuschelt im Zugabteil den Nächstbesten: den Kollegen Gümer! Was dann klingt wie ein Keinohrhasen-Zitat ist auch eines: „Trotzdem wollte ich mal sagen, dass ich Dich lieb hab“.

Der Motivationssatz, die Überleitung wieder zur nächsten Actionszene ist denkbar einfach: „Ich habe Isabelle verloren, Leni verliere ich nicht.“ Klar, warum auch viel Zeit verlieren, grinst man hoch zur Leinwand und fühlt sich immer besser aufgehoben bei Schweiger, der mit Guy Ritchie im Bunde scheint: „Bube, Dame, König, As“ oder „Snatch – Schweine und Diamanten“ – die selbe lockere Marschrichtung auch in „Tschiller: Off Duty“. Til Schweiger at his best!

Die Action läuft ungebremst weiter

Was gibt es noch zu berichten? Fatih Akin, na klar. So wie der Hamburger in „Crossing the Bridges“ sein Istanbul zeigt, so schaut auch „Tschiller: Off Duty“ auf diese explodierende Stadt am Bospurus. Nur dass hier die Action einfach ungebremst weiter läuft. Es ist ein Wahnsinn: Man schaut über dieses verschachtelte, übereinander aufgeschichtete Häusermeer hinweg auf das türkisblaue Wasser und es knallt dabei aus allen Rohren. Tschiller vollführt ein „Freerunning“, einen „Parcour“ über die Dächer Istanbuls hinweg, wie direkt ausgeschnitten aus einem dieser hunderttausendfach geklickten, waghalsigen Youtube-Videos. Mehr Action wäre Körperverletzung.

Wo Hamburg bleibt? Das fragte sich Schweiger vielleicht auch. Also setzt Tschiller kurzerhand mit der Fähre über den Bosporus, schaut hinauf in den Himmel über Istanbul, hinauf zu den gierigen Möwen und dann lächelt er kurz mal zufrieden, als befände er sich mitten im Hamburger Hafen an irgendeinem Imbiss bei Bier und gebackenem Kabeljau. Dann ist das Fremde ganz zu Hause. Dann ist „Tatort“-Hamburg-Zeit. Nur ganz anders. Ganz Schweiger. Dann sind, als das Licht wieder angeht im Warner Bros Vorführstudio in Hamburg, auch diese mulmigen Bauchgefühle ganz weg. Dann war das „Geile Unterhaltung!“
Dann ist Schimanski jetzt irgendwie Geschichte, oder?

Die Rezension erschien erstmals im Februar 2016 auf Focus Online

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