Meine erste Recherche zu diesem Text verläuft dahingehend, dass ich „Theater im Dritten Reich“ google. Ich hoffe, so etwas zu finden, das mir vorab erzählt, wie Kunst, wie Kunstschaffende in deutschen Diktaturen lebten und wirkten und welche Kunst staatlicherseits finanziert wurde.
Der Anlass dafür ist so traurig wie ekelhaft: Meine ehemalige Kolumnen-Kollegin Birgit Kelle wurde jetzt an der Berliner Schaubühne zu einer Dämonen-Figur im neuen Theaterstück des Regisseurs Falk Richter mit dem bezeichnenden Titel „Fear“. Und gleich mal vorweg, was dieser Richter dort inszeniert, ist der Versuch einer öffentlichen Hinrichtung: fear and loathing.
Versuch einer öffentlichen Hinrichtung
Eine moderne Form der Hexenverbrennung, in dem eine Reihe weiblicher Personen des öffentlichen Lebens zu Unpersonen erklärt werden. Birgit Kelle wird in einen Kontext gestellt mit den Hetzern von Freital und anderen Nazis. In der Vorankündigung des Theaters wird Kelle zum „Ungeheuer (das diese) Ängste gebiert“. Kelle sei eine „christlich-fundamentalistische Hasspredigerin“.
Oder ist mit letzterem Frauke Petry gemeint? Da bleibt man ungenau. Ungenauigkeit als Prinzip der totalen und umfassenden Verunglimpfung. Genüsslich werden an diesen erweiterten BILD-Pranger der Schande Protagonistinnen wie Kelle beispielsweise neben die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe gestellt: „(w)ie Untote, Zombies, Wiedergänger aus der Vergangenheit, kehren längst überkommen geglaubte Kategorien, Denkmuster, eine Rhetorik und ein Vokabular aus Zeiten des Nationalsozialismus zurück.“
Ein Fall für den Staatsanwalt? Nur wer ist Kläger und wer Angeklagter? Und wie handhaben wir es mit der Kunstfreiheit? Oder handelt es sich hier gar um subventionierte Hetze, wie sie die Reichskulturkammer nicht besser hätte inszenieren können? Das sind nur drei der sprengstoffgeladenen Fragen, die einem aus der Empörung heraus im Zusammenhang mit Richters Hetzveranstaltung in Berlin einfallen, wenn man nicht ebenfalls gewillt ist, Andersdenkende wie Birgit Kelle, Frauke Petry usw. in diesem düsteren Keller von Freital zu beerdigen.
Klar, die Sache könnte einem egal sein. Man könnte sogar zu einer Falk-Richter-Verteidigungsrede ansetzen und all das aufführen, was man an traditionell linken Positionen liebt und verteidigen möchte. Aber wo wären wir da gelandet? Dann hätten Menschen wie dieser Richter erreicht, was sie bezwecken, man würde sich obendrein genötigt fühlen, eine vorauseilende Entnazifizierung an sich selbst vorzunehmen oder sich – noch schlimmer – bereit erklären, so etwas wie einen links-liberalen Ariernachweis zu erbringen.
Pranger unter dem Deckmantel Kunst
Also nochmal google: „Theater im Dritten Reich“. Unterdrückung, Drangsalierung, Verfolgung und Verhaftung, schlimmstenfalls KZ und Tod. Erst 1945 konnte man in Deutschland die große Theatertradition von Bertolt Brecht, Erwin Piscator, Frank Wedekind usw. fortführen. Eine Theaterkultur, deren Aufgabe auch darin bestand, sich als Hort der Kunst politischer Einflussnahme erfolgreich zu widersetzen. Brecht, Piscator und Wedekind würden sich im Grabe umdrehen angesichts dieses 2015 unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit installierten Prangers.
Gestatten Sie mir etwas Persönliches: Ich bin mir einer Sache völlig sicher. Wenn wir wirklich einmal wieder Zustände hätten, in denen Minderheiten um ihre Rechte, gar um ihr Leben fürchten müssten, Schwule, Andersdenkende, Ausländer, wer immer; diese Verfolgten Menschen wären, versteckt bei einer Birgit Kelle und ihrer Familie jeder einzelne wohl besser aufgehoben und beschützt, als bei einem dieser selbsternannten Verteidiger der Freiheit, jener politischen Theaterspielleute, die den Skandal nicht etwa provozieren, indem sie Missstände mit den Mitteln des Theaters auf die Bühne bringen, ihnen genügt es die Mittel des Theaters für eine Hexenjagd zu missbrauchen, die man sich so ähnlich am Vorabend der Hexenprozesse von Salem vorstellen muss.
Birgit Kelle ist keine Linke. Soviel steht fest. Birgit Kelle ist, was man heute als konservativ oder liberal-konservativ bezeichnet. Obwohl ich dieses Stereotyp aus dem privaten Kennenlernen heraus nicht bestätigen kann. Meine konsequent atheistische Grundhaltung und meine Nähe zu den politischen Positionen von beispielsweise Ottmar Schreiner oder Lafontaine und Wagenknecht waren nie ein Hinderungsgrund, uns auszutauschen, über unterschiedliche Positionen angeregt miteinander zu streiten – ja, es wurde auch laut dabei – wie wir es auf dem gemeinsamen Portal The European oft getan haben. Kontrovers, aber immer menschlich und herzlich zugeneigt. Als Menschen, die diesen einen gemeinsamen Konsens haben, der über allen Differenzen steht, einen Wertekonsens, den wir nicht einmal näher hätten besprechen müssen: Freiheit und Gleichheit. Antifaschistisch und antitotalitär.
Ich kann mir ehrlich gesagt auch nicht vorstellen, dass die politische Linke mit ihrem Fokus auf Empathie und einer existenziellen Sensibilität hier etwa ein politisches Lagerdenken über ihre Grundwerte stellen würde. Ich bin sogar sicher, hier wird es auf die eine oder andere Weise eine konsequente Ablehnung und Verurteilung dieser üblen Schweinerei an der Berliner Schaubühne geben. Die Linke war und ist immer empfindlich, wenn es um totalitäre Mechanismen geht. Und die Linke ist intelligent genug, zu erkennen, wann sich Akteure wie dieser Richter hinter ihrem bewusst missbräuchlichen Verständnis von Kunstfreiheit zu verstecken versuchen aus niederen Beweggründen.
Und das ich nun aus Selbstschutz bald ein paar Freundschaften vor der Öffentlichkeit verbergen muss, zeigt das Auftauchen meines alten Homies Matthias Matussek in „Fear“. Matthias, dieser eigentlich links-libertäre Freigeist, dem immer mal wieder dieser herrlich ambivalente katholische Kinderglauben in die Queere kommt. Ja, auch Matthias sitzt auf der Schaubühne auf der Anklagebank neben Frau Zschäpe. In diesen Tagen ist wohl niemand sicher vor den Inquisitoren, besonders innerhalb der Subventionskultur. Schon gar kein Matussek, der jüngst zwar für Chestertons Modell der gerechten Güterverteilung und für’s Kiffen geschrieben hat, aber früher auch ebenso leidenschaftlich für das Demonstrationrecht der Pegida-Leute. Flapp: Richter setzt ihn ebenfalls mit Fahndungsfoto auf die Anklagebank im Programmheft.
Krawall statt Geist
Was eine weitere Motivation hinter diesem Tun ist, erklärte Jens Hillje, von 1999 bis 2009 Mitglied der künstlerischen Leitung und Chefdramaturg der Schaubühne, schon 2000 dem Magazin Brand eins. Es geht wie immer um Geld und um Geld und noch einmal Geld. „Die Schaubühne hat immer in der Ersten Liga gespielt. Doch zuletzt ist sie abstiegsgefährdet gewesen. Zuletzt ist an der Schaubühne zu wenig Relevantes passiert.“ Und na klar: Ohne Relevanz keine Subventionen, ohne Subventionen kein Theater, schlussfolgert richtig das Magazin.
Hier geht es auch nicht darum, dass moderne deutsche Theater zu verunglimpfen. Hier geht es schon überhaupt nicht um die Verteidigung einer rechten Position eines behaupteten Verfalls einer bürgerlichen Kultur – schlimmer als Richter an der Schaubühne kann man bürgerliche Kultur kaum noch verunglimpfen.
Laut Hillje geht es um die unbedingte Relevanz. Und zweifellos ist rechtsradikale Gewalt gegen Andersdenkende und Ausländer immer relevant. Aber relevant ist auch ein neuer Faschismus, den Jakob Augstein mitten im Volk identifiziert haben will, als er in erstaunlicher Klarheit feststellte: „Der Neoliberalismus hat die Menschen glauben gemacht, ein natürliches Gesetz zu repräsentieren, eine objektive Vernunft. Aber er ist eine totalitäre Ideologie.“ Und wo kann Augsteins gruselige These besser bestätigt werden, als 2015 an der Berliner Schaubühne? Berlin feiert Halloween.