Auf beiden Seiten der Front wird gelogen. Den Schlachtenbummlern und Wählern sollen bestimmte Narrative aufgeschwätzt werden. Die meisten Medien plappern sie pausenlos unreflektiert nach. Narrativ – kommt das von Zum-Narren-halten?
I.
Erste Lüge: Es geht um die die Sache, um die Sache, um nichts als die Sache (CSU). „Es geht nicht um Frau Merkel.“ (CDU-Bouffier).
Richtig ist: Die Sachfrage, wieso an den Grenzen noch immer gültiges EU- und deutsches Recht gebrochen wird, ist eine absurde Scheinsachfrage. Es ist das klassische Symbolthema. An diesem einzelnen Aspekt aber steht der ganze, falsche Kurs der Migrationspolitik zur Debatte. Die Parteien, die diesen Zustand gemeinsam zu verantworten haben, wissen, dass es so nicht weitergehen kann. Ihre Motive aber unterscheiden sich. Die einen handeln aus Einsicht, Merkel und die anderen reagieren nur, um sich selbst zu retten. Die CSU kann den Fehler nicht korrigieren, AM wider besseres Wissen als ihre Kanzlerkandidatin akzeptiert zu haben. Verpasstes Momentum. Wäre da nur nicht die Angst vor der eigenen Courage, die Angst der Merkel-Gegner, für Putschisten gehalten zu werden. Ist aber schon egal. Die Haltungsnote bei diesem grunddemokratischen Machtwechsel ist vergeben. Merkel ist aber nicht das Opfer, sondern der Gordische Knoten.
II.
Zweite Lüge: Deutschlands Demokratie hängt an dieser Kanzlerin.
Richtig ist das Gegenteil. Sie hat mit ihrer Willkommenspolitik einen Klimawandel in Deutschland herbeigeführt. Sie verschafft nach wie vor der AfD Auftrieb. Merkel für ein Bollwerk gegen den Rechtspopulismus zu halten, bedeutet, den Elefanten zum Gärtner zu machen und den Bock zum Porzellandesigner. Merkel hat jahrelang dieses Land systematisch zu entpolitisieren versucht und am Ende das Gegenteil geschafft. Sie wiederholt gerade den schlimmsten Fehler Kohls. Der hat für die Wiedervereinigung die D-Mark geopfert, ungeeignete Volkswirtschaften in die Eurozone gelotst. Merkel will ein ähnliches Junktim. Wenn Macron ihr hilft, im Kanzleramt zu bleiben, bezahlt sie mit den Milliarden deutscher Steuerzahler obskure, demokratisch nicht kontrollierte EU-Fonds. Was ist das überhaupt für ein autoritäres Verständnis von Demokratie zu glauben, niemand anderer als sie könnte dieses Land regieren?
III.
Dritte Lüge: Wir können deutsche Interessen nur vertreten, wenn Deutschlands Regierung stabil, also Merkel im Amt bleibt. Europa zerfällt ohne die einzige Kraft, die das noch verhindern kann.
Wiederum ist das schiere Gegenteil richtig. Niemand in der Geschichte der europäischen Vereinigung hat diesem Ziel mehr geschadet als Merkel. Schon die alles andere als alternativlose „Eurorettung“ hat die EU beschädigt. Der Brexit hat sie definitiv gespalten – ohne Merkel-Deutschlands Alleingang wäre es in Großbritannien nicht so weit gekommen. Rücksichtslos gegenüber den Partnern hat sie Grenzen geöffnet. Sie hat nationalistisch gehandelt, um heute mit Krokodilstränen über nationale Alleingänge zu lamentieren. Abgesehen davon hat sie bis heute keine wirkliche Vorstellung von Europas Zukunft entwickelt, sie folgt lediglich Macron. Europa bedeutete ihr nüscht – gäbe es da nicht den EU-Kommissions-Präsidenten, ihren ergebendsten Fahnenjunker.
IV.
Vierte Lüge: Die Union zerfällt, wenn Merkel gestürzt wird. CDU und CSU zerstören damit ihr historisches Bündnis, treten danach in ganz Deutschland gegeneinander an.
Richtig ist: Ein Bruch der Großen Koalition wäre nicht identisch mit dem Bruch des Unionsbündnisses. Merkels Rücktritt würde nicht einmal zwingend das Ende der Koalition bedeuten. Bis zur Wahl könnte Wolfgang Schäuble das Amt übernehmen. Merkel könnte zwar auch ohne CSU, dafür mit den Grünen regieren, aber sie wird das nicht mehr entscheiden. An diesem Punkt würden ihr die CDU-Abgeordneten mehrheitlich die Gefolgschaft verweigern, zum Beispiel jene, die fürchten müssten, ihren Wahlkreis zu verlieren, wenn CDU und CSU sich gegenseitig die Stimmen wegnehmen. Wird der Gordische Knoten Merkel durchschlagen, kommt die CDU endlich dazu, sich zu erneuern. Die Vergrünung der CDU und die Betäubung der innerparteilichen Demokratie werden der CDU zwar noch lange nach Merkel zu schaffen machen; aber durch diesen schmerzlichen Prozess muss sie ohnehin durch. Die CSU wird am Tag nach Merkels Rücktritt in sämtlichen gemeinsamen Gremien konstruktiv mitwirken. Und wenn doch nicht?
V.
Fünfte Lüge: Bayern geht unter ohne die Herrschaft der CSU.
Richtig ist: Bayern hat schon ganz anderes überlebt – und von allem profitiert. 1.000 Jahre Wittelsbacher. Ergebnis: Identität aus Granit. Napoleon. Ergebnis: Die beste Verwaltung der Republik. Eine Regierung unter SPD-Ministerpräsident Wilhelm Högner. Ergebnis: Unter ihm (!) stimmte der Bayerische Landtag gegen das Grundgesetz; eigenwilliger und eigenständiger war Bayern nie mehr danach unter CSU-Führung. Wie auch immer das Endspiel ausgeht, es wird keine absolute Mehrheit für Söders CSU geben. Söder ist so wenig die CSU wie die CSU Bayern. Auch dieses Narrativ ist ein PR-Märchen.
VI.
Sechste Lüge: Sie handelt. Sie bewegt. Sie macht.
Richtig ist: Mit aller Sturheit verteidigt Merkel noch immer ihr Versagen im Jahr 2015 als alternativlose Großherzigkeit. Sie ist es, die daraus eine Machtfrage macht. Sie droht Seehofer mit der Richtlinienkompetenz. Sie wird, was die Sache angeht, zum Jagen getragen, oder besser: getrieben. Dies als selbstbestimmtes Handeln zu verkaufen, ist ihre Spezialität. Es geht ihr nicht um Deutschland, sondern um ihren Platz in der Geschichte – also um die Gestaltung ihres Abgangs. Ich werde nicht gegangen, ich gehe. Deshalb spielt sie auf Zeit. Sie will den richtigen Augenblick selbst bestimmen.