Tichys Einblick
Vom Aufstieg und Niedergang einer Nachsilbe

Wortmüll als Wohlstandsverwahrlosung

Während sich der Streit um Kurskorrekturen in der Migrations- und Asylpolitik dramatisch zugespitzt hat, scheuten Sprachwissenschaftler weder Zeit noch Mühen, nach einer politisch korrekten Alternative für das Wort „Flüchtling“ zu forschen.

Ja, sind wir denn von allen guten Geistern verlassen?! Statt die Menschen, die zu uns kommen, würdig zu versorgen und unterzubringen, ihnen klipp und klar zu sagen, was unsere Kultur leitet, was man bei uns darf und was nicht, und all die, die unbegründet, kriminell und rechtswidrig hier sind, schleunigst wieder abzuschieben, streiten wir um Begrifflichkeiten. Zu den meistdiskutierten Kolumnen meines Buches »Finger weg von unserem Bargeld! – Wie wir immer weiter entmündigt werden«, immer noch ein Bestseller, gehört der Text über das »Wort des Jahres 2016«: Flüchtling. Da haben es diese ideologisch aufgeheizten »Sprach-Forscher« doch glatt fertiggebracht, ihr Wort gleich wieder zum Unwort zu erklären. Realsatire! Denn die Endung – ling – würde negativ empfunden. Ich fragte bekanntlich, wie es denn dann um den »Liebling« bestellt sei, und ob die »Zwillinge« dann »doppelt Geborene« heißen sollen und die »Säuglinge« »säugende flüssig zu Ernährende«. Loriot pur!

Jetzt scheint man den Stein der Weisen gefunden zu haben, nachdem man zunächst, quasi als verbale Zwischenstation, von Geflüchteten sprach. Migranten geht nicht, das sind ja eigentlich Migrierende. Ich erlaubte mir anzumerken, ob es denn keinen Unterschied mehr zwischen denen, die schon hier sind (also: Geflüchtete), und denen, die noch unterwegs sind (also: Flüchtende), geben müsse. Schließlich seien Flüchtende noch keine Geflüchteten, während jedoch Geflüchtete einmal Flüchtende waren. Völlig verwirrt über diesen – inzwischen auf fast allen Gender- und Political-Correctness-Gebieten angewandten – deutschen Sonderweg ist die UNO. Denn es heißt nun einmal Genfer Flüchtlingskonvention, und nicht Genfer Flüchtende- und Geflüchtete-Konvention.

Alle, die es aus begründeter Angst vor Verfolgung aus ihrem Land vertrieben hat, sind im Genfer Sinne Flüchtlinge. Selbst wenn sie in dem Land, in das sie geflohen sind, juristisch noch gar nicht diesen Status haben. über allem steht das seit Jahrhunderten bekannte und anerkannte, weltumspannende Wort »Kriegsflüchtling«. Jeder weiß Bescheid, wenn davon die Rede ist. Doch am deutschen Wesen soll leider auch unter heutigen Ideologen die Welt mal wieder genesen. So gibt es auch keine Flüchtlingskrise, sondern eine Asylbewerbendenkrise. Und Flüchtlingshelfer (Genf!) müssten sich konsequenterweise umbenennen in Schutzsuchendenassistierende, Fliehendenhelfende oder Geflüchtetenunterstützende.

Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen!
Herr*in schick Hirn*in!
 Aber da man »Flüchtlinge« gesinnungsdiktatorisch per Sprachpolizei in den Orkus des Wortmülls entsorgte und zwischen Flüchtenden und Geflüchteten nicht richtig unterscheiden konnte, leuchtet am Gutmenschen-Himmel die strahlende Ankunft eines erlösenden Begriffs: Schutzsuchende! Sofort griffen die Nachrichtenredaktionen beseelt zu, selbst die renommierte Deutsche Presseagentur (dpa) übernahm das Erlösungswort. Allenthalben gab es für Ohr und Hirn schwer erträgliche Satzkonstruktionen mit »Schutzsuchenden«, wobei jeder normale Hörer ohnehin das Wort »Flüchtlinge« im Hinterkopf hatte und assoziierte. Aber man hatte endlich ein reines, sozusagen erlöstes Gewissen: Positiver kann man es gar nicht ausdrücken, vor allem nicht antidiskriminierender, weil ja niemand mehr unter den Verdacht gestellt wird, illegal und kriminell hier zu sein. Dass es diesen Wachhunden unserer Gesinnung in der Tat nicht »nur« um Gender geht, offenbart unverhohlen das Monitum der feministischen Germanistin Luise Pusch. Sie stört es (natürlich), dass es von Flüchtling kein Femininum gibt. Stattdessen schlägt sie die Wörter Vertriebene oder Willkommene vor. Nur wer seinen Kopf ausschließlich zum Essen hat, merkt nicht, wie uns da unter der Hand zwei völlig andere, natürlich Kritik verbietende Begriffe untergejubelt werden! Das ist übrigens eine der perfiden Strategien der ach so menschenfreundlichen Genderpolitik: über Sprache die Inhalte teils radikal umzukehren.

Also Schutzsuchende. Problematisch wurde es, als man sich fragen musste: Die, die auf Volksfesten junge Frauen angrapschen, sexuell nötigen, vergewaltigen oder mit dem Messer angreifen – vor wem haben die eigentlich Schutz gesucht? Sind das denn wirklich noch Schutzsuchende oder nicht eher Flüchtlinge? Weil -ling ja bekanntlich etwas Negatives ist, könnte man denen doch wieder das alte Etikett ankleben. Schutzsuchender wäre echt eine Mogelpackung …

Der darf das!
Psychotherapie für die Westentasche - Peter Hahnes neues Buch
 Beispiel Hamburg im Hochsommer 2017: Ein islamistischer Terrorist aus den Vereinigten Arabischen Emiraten ersticht einen Mann und verletzt fünf weitere Menschen schwer. »Er war als Schutzsuchender in unsere Stadt gekommen«, erklärt der Hamburger Innensenator im politisch-korrekten Duktus verbaler Naivität, und dpa schrieb, fast noch lächerlicher (für Vorzeigejournalisten, deren Artikel weltweit nachgedruckt werden!): »Er ist im März 2015 nach Deutschland gekommen, in jenem Jahr also, in dem eine beispiellos hohe Zahl von Schutzsuchenden einreiste.« Und dann krönt der Text sich quasi in gutmenschlicher Selbsterhöhung: »Der Fall weist einige traurige Parallelen zu den Geschehnissen des vergangenen Jahres auf. Auch die Attentäter von Würzburg, Ansbach und vom Berliner Weihnachtsmarkt kamen als Schutzsuchende und entluden hier ihren Hass.«

Liebe Leute! Täglich sterben 18.000 Kinder weltweit an Hunger und Krankheit, mehr als eine Million Babys pro Jahr überleben den Tag nach ihrer Geburt nicht, Millionen leiden unter Verfolgung, Diktatur, Völkermord und Bürgerkrieg. Millionen und Abermillionen bis in unsere westlichen Gesellschaften hinein wissen nicht, ob sie am nächsten Tag noch Obdach, Arbeit und Nahrung haben, selbst deutsche Rentner haben Angst vor der nächsten Mieterhöhung … Und wir befassen uns mit semantischem Wortmüll, nur damit bitte schön alles korrekt und natürlich gendergerecht zugeht. Haben wir denn den Verstand verloren? Merken wir nicht, dass das Luxusprobleme einer verwahrlosten Wohlstandsgesellschaft sind, die offensichtlich keine anderen Probleme hat?! Genauso wie die Frage, wie viele Toiletten ein öffentliches Gebäude haben muss, damit alle Geschlechter beziehungsweise Gender sich würdig entleeren können? Hohlköpfiger Hohn gegenüber allen, die ums (Über-)Leben kämpfen …

Die FAZ kommentiert cool, nüchtern und in immer noch allgemeingültiger deutscher Satzkonstruktion, die kein interpretatorisches Hintertürchen offenlässt, klipp und klar: »Dass jemand, der nach Deutschland kommt, um hier seinen Hass zu entladen, Attentate zu begehen und Menschen zu töten, wohl schwerlich als ›Schutzsuchender‹ bezeichnet werden kann, sollte sich eigentlich von selbst verstehen.« Punkt!


Quelle: Peter Hahne, Schluss mit euren ewigen Mogelpackungen. Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen. Bastei Lübbe, 128 Seiten, 10,00 €.

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