Tichys Einblick
Moralisch verbrämter Asylmissbrauch

Zur „Flüchtlingskrise“: Stationen einer Zirkel-Debatte

Diejenigen, die sich am lautesten als Protagonisten (vermeintlich) humanitärer Flüchtlingspolitik hervortun, verschlimmern den Teufelskreis, indem sie vorgeben, ihn zu durchbrechen.

© Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Wir sind Zuschauer eines wieder aufgelebten – offenbar realen, nicht nur fürs Publikum vor den Landtagswahlen in Bayern inszenierten – Machtkampfes zwischen Merkel und Seehofer. Der Machtkampf ist der vorläufige Höhepunkt einer unendlich – nicht erst seit dem dem Eklat im Herbst 2015 – geführten Debatte über die Asyl- und Flüchtlingsproblematik.

Das Thema „Asyl“ ist vom Begriff her nicht identisch mit Migration (auch nicht mit Flucht vor Krieg), wird indes – von interessierter Seite unter dem Schlagwort „Festung Europa“ – mit diesen Prozessen vermengt. Asyl und Migration berühren grundlegende Fragen politischer Ethik sowie individueller moralischer Sensibilität. Letztlich geht es gemäß Max Webers Abstraktion um die Divergenz – zugespitzt: um die Antithese – von verantwortungsethischem und gesinnungsethisch motiviertem Handeln. Beide Grundhaltungen implizieren ein dezisionistisches Moment, welches als Machtfrage zum Vorschein kommt. Den Beleg finden wir derzeit erneut in der „Flüchtlingskrise“: in den Auseinandersetzungen zwischen Merkel und Seehofer, zwischen Sahra Wagenkecht und Katja Kipping bei der „Linken“, zwischen Boris Palmer und Karin Göring-Eckardt bei den Grünen, der Partei mit dem deutschen Monopolanspruch auf Weltmoral.

Kennen Politiker keine Fakten und Zahlen?
Wie viele aus Afrika wollen nach Europa?
Nüchtern betrachtet, stellt sich angesichts zahlloser Kriege, Konflikte, Menschenrechtsverletzungen in der Welt, erst recht angesichts der Demographie und der ökonomischen Bedingungen auf dem afrikanischen Kontinent und anderswo die Frage nach Möglichkeit und Grenzen ethisch begründeter Politik. Das Bestreben nach Humanität kollidiert mit der Quantität inhumaner Realität.

Die Problematik ist nicht neu. Bereits 1989 erklärte der Sozialist Michel Rocard (1930-2016), Premierminister unter Präsident Mitterand: „Wir können nicht das ganze Elend der Welt aufnehmen.“

Was die anhaltende Kontroverse um die von Kanzlerin Merkel im September 2015 ausgelöste, bis heute ungelöste „Flüchtlingskrise“ betrifft, so dreht sich der aktuelle Streit zwischen Seehofer und Merkel um die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Sicherung der nationalen Grenzen (Seehofer) oder um eine “europäische Lösung“ (Merkel) des Andrangs von illegalen Immigranten.

Dass sich die Debatte im Kreise bewegt – eine „Lösung“ ist bis dato aufgrund der bestehenden Rechtslage und des umfassenderen Problemgeflechts blockiert – ist einer Kolumne des früheren SPD-Politikers Ernst Eichengrün zu entnehmen. Eichengrün, von 1982 bis 1991 Vizepräsident des Gesamtdeutschen Instituts, kritisiert die Vorstellung von der „Europäisierung“ des Asylproblems wir folgt:

„Doch gerade bei der geplanten Europäisierung liegt der Hase im Pfeffer: Worauf wollen/können die EU-Staaten sich denn überhaupt einigen?

Die aufgeführten Punkte erhellen die inneren Widersprüche des von Merkel – nur rhetorisch? – angestrebten Verfahrens. Der Autor hätte noch weitere Aspekte der „Flüchtlingskrise“ hinzufügen können: die verbrecherische Rolle der „Schlepper“, das indirekte – und direkte – Zusammenspiel von Schlepper- und Helferorganisationen, die juristisch betriebene Verschleppung von Asylverfahren, last but not least die spezifisch deutsche „Willkommenskultur“ als pull-Faktor.

Die seit Jahren anhaltende Debatte um Asyl, Flucht, Migration – und Integration – bewegt sich im Kreise. Diejenigen, die sich am lautesten als Protagonisten (vermeintlich) humanitärer Flüchtlingspolitik hervortun, verschlimmern den Teufelskreis, indem sie vorgeben, ihn zu durchbrechen.

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