Tichys Einblick
Es geht um die Spalterin

Das Spiel der Spiele ist angepfiffen.

Es geht nicht um ein strengeres Grenzregime, sondern um Merkels Regime, um ihre pervertierte Vorstellung von Demokratie als Diktatur vermeintlicher Moral. Um die dreifache Spaltung, die sie zu verantworten hat: Europa, Deutschland, Union.

Die CSU kämpft um Revanche. Sie will ihren größten, ihren historischen Fehler korrigieren. Sie ist 2015 Merkel gefolgt. Sie hat sie noch einmal zur Kanzlerin gemacht. Deshalb geht es nur vordergründig um ein strengeres Grenzregime. Es geht um Merkel. Um ihr Regime, um ihre pervertierte Vorstellung von Demokratie als Diktatur vermeintlicher Moral. Um die dreifache Spaltung, die sie zu verantworten hat: Europa, Deutschland, Union.

I.

„Noch nie hat sich nach einer Regierungserklärung … eine solche Atmosphäre geistiger Öde verbreitet“ schrieb ein Parteifreund des Kanzlers. Und auch der wichtigste Koalitionspartner sah die Bundesrepublik am „Scheideweg“. Hört sich alles sehr heutig an, ist es aber nicht. Wir schreiben das Jahr 1982. Die geistige Öde beklagte Erhard Eppler, das „Wendepapier“ verfasste Graf Lambsdorff, in dem er den Reformstau kritisierte. Kanzler Schmidt verlor den Rückhalt der eigenen Partei wie des Koalitionspartners FDP. Und dann? Veranstaltete er Krisensitzungen? Schlug er Kompromisse vor, die keine waren? Bat er Willy Brandt um Vermittlung? Er stellte fest, dass die FDP die Grundlagen der Koalition verlassen hat und entließ die FDP-Minister aus seinem Kabinett. Er feuerte sie, kam ihrem Rücktritt zuvor – auch wenn es das Ende seiner Kanzlerschaft bedeutete. Aber Schmidt hatte Statur, hatte Ehre im Leib. Eine Eigenschaft, die nur noch in alten Romanen zu finden ist, wie es scheint.

II.

Und heute? Dass die CSU die Revision von Merkels Flüchtlingspolitik fordert, ist weitaus gravierender als das, was damals SPD und FDP entzweite. Gegen die „Achse der Willigen“ war das Wendepapier einst ein versöhnliches Angebot. Merkel hätte Seehofer auf der Stelle entlassen müssen. Aber es geschah nicht. Anders als Schmidt verliert sie lieber ihr Gesicht als ihr Amt.

III.

Wer nimmt Merkel noch die Notlüge ab, sie kämpfe um eine EU-konforme Lösung? Die regierungstreuen Medien nehmen es ihr immer noch ab. Abgesehen davon, dass es nicht gelingen kann: Niemand hat den europäischen Konsens schamloser ignoriert als Merkel. Irgendwann wird es hoffentlich ein europäisches Asylrecht geben. Schon, weil es die einzige Möglichkeit ist, die Willkommen-im-besten-Sozialstaat-der-Welt-Kultur auf ein vernünftiges Maß zu begrenzen. Bis es soweit ist, muss Deutschland allein handeln, so recht und schlecht es eben geht. Auch mit der Korrektur der verhängnisvollen Grenzöffnung.

IV.

Spieltheoretisch handelt es sich um das klassische Chickengame. Zwei fahren aufeinander zu. Wer ausweicht, hat verloren. Weicht keiner aus, sind beide hin. Den größten Nutzen hat der Spieler, der kaltblütig weiterfährt, während sein Mitspieler Angst bekommt und ausweicht. Der Ausweichende hat zwar die Mutprobe nicht bestanden, jedoch sein Leben (sein Amt) behalten. Weichen beide aus, haben sie beide verloren und überleben dennoch. Das ist es, was wir gegenwärtig beobachten.

V.

Auch Seehofers Mitgliedschaft in jener Vereinigung, die Merkel anführt, ist nur noch spieltheoretisch zu verstehen. Wenn er glaubt, Merkel halte stur Kurs, müssen die CSU-Minister zurücktreten. Sie hat aber das Lenkrad schon eingeschlagen. Wir wissen nur noch nicht, ob es eine Finte ist. Rechts antäuschen und links Kurs halten. Seehofers Ausharren im Amt ist nur zu verstehen, wen man annimmt, dass er Merkels Regime aus der Regierung heraus beenden will. Dann muss er es jetzt tun. Jetzt sofort. Eine bessere Gelegenheit kommt nicht mehr. Dann gibt es keinen Kompromiss mehr.

VI.

Es geht nicht um eine Krise der deutschen Demokratie. Noch nicht einmal um ein Ende der CDU/CSU-Union. Das Ende von Merkel ist keine historische Katastrophe. Die Einheit der Union ist nicht in Gefahr. Im Gegenteil. Diese Einheit kann es nur noch ohne Merkel geben. Ist sie erst einmal gestürzt, wird sich die Union schnell wieder zusammen fügen. Merkels Macht ist schon heute verschlissen. Die CDU würde ihr niemals gestatten, eine Regierung ohne die CSU (aber mit den Grünen) zu bilden. Das können sich ihre Bewunderer aus dem Kopf schlagen. Weil Seehofer das weiß, kann er Kurs halten.

VII.

Betrachten wir also die Lage emotionslos. Merkel benutzt zwar Gefühle, hat aber keine. Sie will die Sache in die Länge ziehen. Vielleicht setzt sie auf die WM und hofft, dass nun jener Wahnsinn alles in den Schatten stellen wird, den wir Fußball nennen. Es könnte eine Fehlkalkulation sein. Denn selbst der Fußball ist infiziert von Merkels Politik. Nicht die Dummheit zweier Kicker mit türkischen Namen versaut die Stimmung in und außerhalb der „Mannschaft“. Vielmehr ist es ein Resultat von Merkels irrationaler Politik, wenn die Dummheit zweier Nationalspieler dafür herhalten muss, dass Integration gar nicht möglich sei. Merkel hat das Klima geschaffen, in dem diese Affäre zur Staatsaffäre werden musste. Niemand anderes als Merkel hat das zu verantworten. Sie bewirkte das Gegenteil des Beabsichtigten. Jetzt versaut sie den Deutschen auch noch den Spaß am einzigen, das sie eint. Ein zweites Sommermärchen muss schon deshalb ausfallen, weil Deutschland heute ein von Merkel gründlich verändertes Land ist. Mit dem Deutschland vor vier Jahren hat es nicht mehr viel zu tun.

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