NRW-Ministerpräsident Armin Laschet erklärte gerade zur Zuwanderungskrise: „Das Ergebnis jeder Maßnahme müsse „die Ordnung der Zuwanderung“ sein.“ IW-Chef Michael Hüther forderte „geregelte Arbeitsmigration“. Die Bundeskanzlerin will zukünftig ebenfalls eine „geregelte Steuerung der Zuwanderung.“ Die deutschen Landräte fordern eine geregelte Einwanderung, und selbst noch die Diözesen melden sich zu Wort, ebenso wie die Handelskammern, die schärferen Stimmen in den Medien wollen eine „geregelte Einwanderung“ und sogar die AfD stimmt dafür. Diese Liste kann fast nach Belieben verlängert werden bis hin zum aktuellen Koalitionsvertrag von SPD und Union.
Aber warum eigentlich? Die Frage muss doch erlaubt sein, welchen Sinn es machen soll, über irgendeine Einwanderung zu diskutieren, wenn weit über eine Million außereuropäischer Ausländer entweder als Flüchtlinge oder aus wirtschaftlichen Gründen in einen überschaubarem engen Zeitfenster zugewandert sind und wenn weitere Monat für Monat folgen, ohne dass ein Ende in Sicht ist.
Grenzen für illegale Zuwanderung zu
Ziel muss es doch jetzt sein, jenen, die aus welchen Gründen auch immer hier bleiben werden, die nicht weggehen oder ausgewiesen werden können, bestmöglich auszubilden und Bleibeperspektiven zu schaffen, wenn sie sowieso bleiben dürfen. Grundvoraussetzung allerdings: Die Grenzen müssen vor weiterer illegaler Zuwanderung geschützt werden.
Erst hat es die Politik über fast drei Jahrzehnte hinweg verpasst, eine irgendwie kinderfreundliche Familienpolitik hinzubekommen. Stattdessen wurde das Jammern immer lauter, es gäbe in Deutschland ein demografisches Problem. Der eingangs erwähnte Armin Laschet gehörte schon 2013 anlässlich eines „Demografiegipfels“ zu den lautesten Verfechtern von „mehr Zuwanderung.“ In absehbarer Zeit würden jährlich eine Million Bürger aus dem Arbeitsleben ausscheiden – diese könnten nicht ohne Zuwanderung ersetzt werden.“
Damals sagte Laschet auch den bezeichnenden Satz: „Wir haben immer die Vorstellung, wir ändern ein Gesetz und dann kommen auch die Menschen – so ist es aber nicht.“ So war es tatsächlich nicht: Angela Merkel musste sich über eine Reihe von Gesetzen hinwegsetzen, als es darum ging, die aktuelle Massenzuwanderung seit Ende 2015 in die Wege zu leiten. „Ist mir egal, ob ich schuld am Zustrom der Flüchtlinge bin, nun sind sie halt da.“, erklärte Angela Merkel schon Ende 2015 fast trotzig. Mitte 2018 scheint es nun parteienübergreifend plötzlich so, dass diese Massen einfach abgeschrieben wurden. Frei nach dem Motto: Sollen sie sich doch in den Sozialsystemen einrichten, bis der Topf dann halt leer ist.
Innereuropäische Arbeitsmigration?
Aber wie sieht es eigentlich mit der innereuropäischen Arbeitsmigration aus? Warum forderte beispielsweise der stellvertretende CDU-Vorsitzende Laschet schon Anfang 2013 qualifizierte Einwanderung aus Nicht-EU-Staaten verbunden mit der Vorstellung diese „Forderung auch ins Wahlprogramm der Union für die Bundestagswahl“ einfließen zu lassen? Warum, wenn im Jahr zuvor doch bereits annährend eine Million EU-Bürger auf der Suche nach Arbeit oder schon mit Arbeitsverträgen ausgestattet nach Deutschland einreisten?
Der große gesamtgesellschaftliche Konsens über geregelte Zuwanderung aus dem außereuropäischen Ausland scheint sich auch aus einem kollektiven Gedächtnisverlust zu nähren. Schon vergessen wurde, dass es vor dem Beginn der Massenzuwanderung große Debatten darüber gab, ob nun im Rahmen der Freizügigkeitsreglung in Deutschland Arbeit suchende Europäer auch von Sozialleistungen profitieren dürften. Eine hitzige Auseinandersetzung, die beispielsweise bei der CSU darin gipfelte, dass die Partei Seehofers zu Beginn des Doppelwahljahrs 2014 eine Kampagne gegen Armutsmigration aus Osteuropa startete mit dem Slogan: „Wer betrügt, der fliegt.“
Alles vergessen? Dabei muss sich EU-Europa keineswegs verstecken, was beispielsweise die sogenannten tertiären Bildungsabschlüsse angeht. 2015 lagen Großbritannien, Litauen, Irland, Schweden, Dänemark, Niederlande, Finnland, Estland, Frankreich, Belgien, Lettland, Spanien, Griechenland, Österreich, Ungarn und sogar Polen teilweise mit weitem Abstand vor Deutschland. Die hochqualifizierten Europäer sind also durchaus in Massen vorhanden. Und sie würden kommen, wenn die zu erwartende Entlohnung entsprechend ausgestaltet wäre. Worum geht es hier also eigentlich?
Leider ist es tatsächlich so: Der wirtschaftliche Erfolg dieses Landes basiert keineswegs ausschließlich auf deutschen Tugenden, der hohen Innovationskraft der Unternehmen und einer exzellenten Forschungs- und Entwicklungsarbeit. Er basiert eben auch auf einem im europäischen Vergleich gerade einmal durchschnittlichen Lohnniveau. Deutschland ist in vielen Bereichen längst ein europäisches Billiglohnland. Warum also sollten gut ausgebildete Europäer den Weg in dieses Land wählen? Wer also laut nach einer geregelten außereuropäischen Zuwanderung schreit und gleichzeitig immer wieder an die großartige Idee „Europa“ appelliert, spricht mit gespaltener Zunge und hat wohl etwas ganz anderes im Blick: „Europa bietet deutschen Unternehmen einen großen einheitlichen Markt. Fast zwei Drittel ihrer Produkte exportieren deutsche Unternehmen in die EU.“
Fachkräfte kommen nur bei guter Bezahlung
Nein, was wir aktuell dringender als alles andere benötigen, ist ein couragierter Einwanderungsstopp einer außereuropäischen Zuwanderung gekoppelt an eine intensive Werbung um innereuropäische Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte und Akademiker. Die allerdings kann nur funktionieren, wenn sie vernünftig bezahlt werden. Wenn entsprechende Anreize geschaffen werden. Ein Mindestlohn für unqualifizierte Arbeit ist nur das eine, eine anspruchsvolle Bezahlung für qualifizierte Arbeit das andere.
Wer „Europa“ sagt – was sowieso immer EU meint – und dabei nur an den Absatzmarkt denkt, denkt letztlich in nationaleren Kategorien als jene, welche die Europäische Union heute ablehnen und dafür als Nationalisten bezeichnet werden.
Käme nun aber dieses verheißungsvolle europäische Fachkräfte- und Akademikerkarussell endlich einmal in Fahrt, dann hätte EU-Europa eine echte Chance, endlich zu einer Einheit zusammenwachsen, die in der Lage wäre, in der Welt zu bestehen, sowohl wirtschaftlich wie auch mit einem attraktiven kulturellen Selbstbewusstsein. Aus dieser Perspektive betrachtet ist Angela Merkels Zuwanderungsagenda und ihr Multilateralismus antieuropäisch. Europa lässt sich nur dann einen, wenn Europa für Europäer begehrenswert erscheint und nicht lediglich Instrument sein soll, „die globalen Probleme unserer Zeit (zu) bewältigen.“