Kostenhochrechnungen für sozialpolitische Leistungen sollte man nie den Sozialpolitikern überlassen, die systematisch untertreiben. Die wahre Rechnung wird dem Volk aber manchmal schnell präsentiert. Gesundheitsminister Jens Spahn musste jetzt verkünden, dass der Pflegebeitrag im Januar 2019 um 0,3 Prozentpunkte steigen wird. Sein Vorgänger Hermann Gröhe hatte die Ausgaben für die Pflegereform um 2 Milliarden Euro pro Jahr unterschätzt. Auch Andrea Nahles verschätzte sich als damalige Arbeitsministerin bei der Rente mit 63. Statt mehrerer Hunderttausend langjährig Versicherter, haben inzwischen rund 1 Million Arbeitnehmer die abschlagsfreie Rente in Anspruch genommen. Mehrkosten für die Rentenversicherung bis zum Jahr 2020: 20 Milliarden Euro.
Sozialpolitische Folgekostenberechnungen sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt stehen. Deshalb haben die Ausgaben für konsumtive Leistungen die Investitionen in den Haushalten von Bund, Ländern und Gemeinden seit Jahren systematisch verdrängt. Weil einmal gewährte soziale Leistungen so gut wie nie wieder abgeschafft werden, streichen Politiker am Ende lieber die Investitionen zusammen, als Einschnitte in den üppigen Sozialstaat vorzunehmen. Kürzungen sozialstaatlicher Leistungen sind auch für die meisten Wähler tabu. In allen demoskopischen Erhebungen gibt es nie Mehrheiten für weniger Sozialstaat. Entsprechend bieten die Wahlprogramme der Parteien immer neue sozialstaatliche Leistungsversprechen. Man will das Wahlvolk ködern – mit Baukindergeld, Mütterrente, höheren Renten, mehr Pflegeleistungen.
Diese Wahlversprechen von Union und SPD sind jetzt im Koalitionsvertrag enthalten und sollen schnellstmöglich abgearbeitet werden. Das sollten wir Beitrags- und Steuerzahler aber als Drohung empfinden. Denn jetzt, wo die Folgekosten der letzten Großen Koalition offenbar werden, will die heutige kleinste Große Koalition aller Zeiten noch eine Schippe drauflegen. Statt ihren unbezahlbaren Irrsinn zu stoppen, will sie ohne Rücksicht auf Verluste weiter Vollgas beim Ausbau des Sozialstaats geben. Dabei treibt der demographische Wandel ohnehin mittel- und langfristig die Ausgaben und reduziert gleichzeitig die Zahl der Beitragszahler.
Auch aus konjunkturellen Gründen wäre ein Ausgaben-Moratorium in der Sozialpolitik geboten. Denn die Anzeichen für eine Rezession verstärken sich. Der wachsende Protektionismus, der aus Donald Trumps „America First“-Politik resultiert, schaukelt sich zu einem kapitalen Risiko für die exportorientierte deutsche Wirtschaft hoch. Außerdem geht kein Konjunkturzyklus ewig. Wir befinden uns in Deutschland inzwischen im 9. Jahr (!) eines Aufschwungs.
Doch die Bundesregierung scheint von allen guten Geistern verlassen. Vorsorge für ein Krisenszenario wird nicht getroffen. Dabei wird ein Rückgang der Wirtschaftsleistung über kurz oder lang zu mehr Arbeitslosigkeit und damit geringeren Beitrags- und Steuereinnahmen führen. In einen möglichen Abschwung hinein zu sparen, wäre in der Tat kontraproduktiv. Aber vor einem immer wahrscheinlicher werdenden Abschwung ohne Not konsumtive Leistungen massiv zu erhöhen, scheint mir geradezu aberwitzig.