Tichys Einblick
Wetter-geschädigt?

Der Spiegel Nr. 24 – Ich bin das Volk – Das Zeitalter der Autokraten

Im Gegensatz zu früher legt der Spiegel, Titel als ausgedehnte Leitartikel an, bei denen man seinem Wissen und seiner Archivrecherche freien Lauf lässt, aber keine weiteren Quellen benennt, keine Experten auftreten lässt.

Der Titel formuliert eine starke These, macht neugierig, hat aber meinen Anspruch an das Thema nicht annähernd erfüllt. Aber vielleicht wollen die Leser bei der Hitze das auch gar nicht. So kommt in „Sehnsucht nach dem starken Mann“ kaum mehr heraus, als ein Zusammenschnitt der Schnipsel, die sechs Redakteure zu Wladimir Putin, Donald Trump, Recep Tayyip Erdoğan und Xi Jinping zusammengetragen haben. Ich frage mich schon seit Längerem, ob es Methode ist, die Titelgeschichten im Spiegel – im Gegensatz zu früher – als ausgedehnte Leitartikel anzulegen, bei denen man seinem Wissen und seiner Archivrecherche freien Lauf lässt, es aber nicht darauf ankomme, weitere Quellen zu benennen, Experten auftreten zu lassen.

Angesichts der Tatsache, dass es große Magazingeschichten desselben Titels schon mehrfach gab, ist diese Titelgeschichte ein müder Abklatsch. Warum die Fokussierung auf diese vier Redaktionslieblinge? Es hätte auch andere gegeben und jeder Aufstieg ist anders verlaufen. Warum laufen die Leute alle paar Jahrzehnte einem redegewandten und überzeugend auftretenden Anführer hinterher und küren ihn zu ihrem Regenten? Warum hat sich das Staatsmodell Demokratie nach dem Ende des kalten Krieges nicht durchgesetzt? Warum gibt es eigentlich keine Autokratin? Was hindert Autokraten daran, dynastisch zu denken?

Typisch Spiegel: „Vermögende sollen mehr zur Pflegeversicherung beitragen“, heißt es im Inhaltsverzeichnis auf Seite 4, mit Verweis auf die Deutschland-Newsseiten. Was hinter dieser Zeile steckt, lese ich unter der Frage-Überschrift „Pflegebeiträge aus Kapitaleinkünften?“. Andreas Westerfellhaus, Pflegebeauftragter, Regierungsbevollmächtigter und Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium und Adlatus von Gesundheitsminister Jens Spahn, fordert eine grundlegende Finanzreform der gesetzlichen Pflegeversicherung und will für die Pflegebeiträge auch die Kapitaleinkünfte, wie Mieten, heranziehen.

Ich finde es unsäglich, dass der Staatssekretär nicht weiß oder verschweigt, dass das teilweise schon geschieht. Nämlich bei all denjenigen, die freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, nicht den pauschalen Höchstsatz zahlen, weil die Einkünfte deutlich unter der Beitragsbemessungsgrenze liegen, und auch bei Rentnern, solchen, die selbst pflegebedürftig sind und für die Lebensnachteile jeden zusätzlichen Cent gebrauchen würden. Und jetzt an die Adresse der Spiegel-Redaktion: Die wenigsten derer, die davon heute schon betroffen sind, sind vermögend! Das sind kleine Renten, das sind Handwerkereinkünfte, das sind Einkünfte von Journalisten, deren Redaktionen geschlossen wurden und die jetzt für wenig Geld viel schreiben müssen, um über die Runden zu kommen. Und: In dem gesamten Bericht kommt gar nicht vor, dass der Staatssekretär die „Vermögenden“ im Auge hat. Um die geht es auch gar nicht, vielmehr geht es um den Zugriff auf alle Einkünfte. Vor welchen Karren lässt sich die Redaktion, die ja nicht müde wird, ihre ach so große Unabhängigkeit vor sich herzutragen, da spannen?

Da haben die Pflegekassen die richtige Marionette im Ministerium untergebracht. Die Krake GKV/PKV wird nicht müde, die Hände nach immer mehr Beiträgen auszustrecken, die am Ende nur einen Effekt haben: die Verwaltungen fett machen. Es sollte im Gesundheitsministerium inzwischen als Tatsache angekommen sein, dass Pflege die betroffenen Familien arm macht. Wer jetzt hingeht und wie Westerfellhaus Erbe gegen Pflege ausspielt, ist auf einem gefährlichen Pfad unterwegs. Den Familien und potenziellen Erben fehlen am Ende die Finanzmittel, um im Pflegefall Notsituationen auffangen und ein menschenwürdiges Lebensumfeld ermöglichen zu können. Wer die Familien in der Pflege stärken will, weil nicht darüber hinweggesehen werden kann, dass die institutionelle Pflege flächendeckend nicht finanzierbar (und bestimmt auch nicht wünschbar) ist, sollte den Ast nicht absägen, auf dem er sitzt. Und noch eines: Wer über Kontrollmitteilungen der Finanzämter– und nur darum geht es – Zugriff auf alle Einkünfte haben will, sollte im Gegenzug verpflichtet werden, bei der Berechnung der Beiträge für freiwillig Versicherte in der GKV, die tatsächlichen Einkünfte für die Berechnung der Beitragshöhe zugrunde zu legen und auch zuviel gezahlte Beiträge anrechnen zu lassen bzw. zu erstatten.

Was mich zudem massiv stört: Warum versteckt sich Spahn hinter seinem Adlatus Westerfellhaus? Wenn der Gesundheitsminister nach vorne will, muss er seine Absichten offen auf den Tisch legen und sich nicht hinter Subalternen verstecken.
Wo wir schon auf der Suche nach neuen Einnahmequellen sind: Finanzminister Olaf Scholz erzählt Christian Reiermann und Michael Sauga im Interview „Deutschland hat eine besondere Verantwortung“, dass er am liebsten mit einer Finanztransaktionssteuer und dazu vielleicht noch einer datenabhängigen Digitalsteuer, eine europäische Arbeitslosenversicherung ins Leben rufen würde. Ein erster Schritt zu mehr europäischer Souveränität sei das. Und man müsse ja die Lücken füllen, die der Brexit gerissen habe. Verstanden: Olaf Scholz sucht nach Mitteln, wie der Ausfall Großbritanniens im EU-Haushalt nicht zu stark am Großsponsor Deutschland hängenbleibt. Andererseits werden mit eigenen EU-Steuern Schleusen geöffnet. Und die daraus folgenden Mechanismen sind allzu bekannt.

Christoph Hickmann prüft in „Trümmerknabe“, ob der coole und redegewandte Kevin Kühnert zum Heilsbringer und Retter der SPD taugt. In dem Beitrag kommt Kühnert allerdings doch allzu leichtgewichtig rüber. Kühnert sollte sich zudem fragen, ob er nicht besser Abstand zur Spiegel-Redaktion halten sollte. All diejenigen, die sich zuletzt auf ihrem Karriereweg zu sehr der Nähe des Magazins bedienten, sind am Ende gescheitert.

Erstaunlich klare Worte findet Steve Wozniak, Mitgründer von Apple, zur Frage, ob irgendwann denkende Maschinen möglich sind. Wozniaks Antwort: „Nein, ich glaube nicht. Wir werden manche Voraussetzungen schaffen können, etwa Maschinen zu bauen, die Informationen genauso schnell wie ein menschliches Gehirn prozessieren können. Aber nur, weil man manche Merkmale nachbauen kann, hat man noch kein funktionierendes Gehirn geschaffen.“ Damit unterscheidet sich Wozniak erfrischend von der bisher wahrgenommenen Sprache im Silicon Valley, wo sich CEOs und Gründer geradezu darin überbieten, das neue KI-Zeitalter herbeizureden. Neulich las ich, dass es schon Maschinen mit neuronalen Verbindungen gebe. Da hat jemand den Ausgang aus einem Science Fiction nicht mehr gefunden.

Manfred Dworschak gibt in seinem Interview, mit der am Frankfurt Institute for Advanced Studies forschenden Physikerin, Sabine Hossenfelder „Warum gerade die, und warum 25?“ einen interessanten Einblick in die irregeleitete Suche nach neuen Elementarteilchen und der Weltformel.

Dank Julia Koch und ihrem Beitrag „Gut gelaufen“ weiß ich jetzt, dass Promenadologen die Zwecke und Ziele menschlicher Spaziergänge erforschen.
Und dann wurde ich auf Seite 119 mit dem schönes Satz des Wochenendes belohnt: „Poesie ist das, was in unseren Köpfen spazieren geht.“ Charles Aznavour („Ich hatte auch nichts gegen die Präsidenten vor 1940“).

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