„Wenn Du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis!“ So lautet in Parteien eine alte Regel, die immer dann greift, wenn die geistigen Kapazitäten und kreativen Anlagen der Großkopferten erschöpft sind oder sich widerstreitende Positionen ineinander verhakt haben. Gern auch werden Arbeitskreise begründet, wenn man missliebige Themen aus der Diskussion entfernen möchte. „Beerdigung erster Klasse“ heißt das dann – und endet nach endlos langen und zermürbenden, aber niemanden außerhalb des Arbeitskreises interessierenden Debatten in irgendwelchen Positionspapieren, die auf Nimmerwiedersehen in irgendwelchen Schubladen verschwinden.
Ähnliches erleben wir derzeit ständig auf der Ebene der großen Politik. Da gründet sich auf der einen Seite eine „Werte-Union“ als eine Art unautorisierter Arbeitskreis der CDU – ein Laden, den in der Partei selbst kaum jemand kennt und schon gar nicht ernst nimmt. Von der Berliner Mehltau-Demokratie-Vernichtungspolitik der GroKo angewiderte Bürger bis hin zur AfD-Aussteigerin Frauke Petry versuchen sich mit der Gründung von Kleinstparteien, die sich irgendwo zwischen AfD, FDP und Union in die Parteienlandschaft quetschen wollen – wer aber meint, in großen Zusammenhängen zu denken, der geht den tiefliegenden Frust gleichsam partei- und systemübergreifend an und versucht sich mit einer „Bewegung“.
Oskars Arbeitskreis soll eine Bewegung werden
Eine solche „Bewegung“ versuchen derzeit die Altkommunistin Sahra Wagenknecht und der USPD-Abweichler Oskar Lafontaine ins Leben zu rufen. Als Arbeitstitel haben sich die beiden ganz internationalistisch die socialnetwork-kompatible Bezeichnung „#fairLand“ ausgesucht – zwischenzeitlich allerdings wissen lassen, sich für ihre Bewegung noch etwas Besseres einfallen lassen zu wollen. Wir dürfen also gespannt sein, unter welchem programmatischen Leitmotiv Sahras Eleven (oder auch mehr oder weniger) demnächst die Hochburgen der Deutschen Politik stürmen werden. Immerhin haben sie den Grundriss ihrer inhaltlichen Vorstellungen bereits fixiert. Und auf irgendwelchen, scheinbar mehr oder weniger undurchsichtigen Kanälen dem Hobby-Magazin von Augstein mit dem Namen „Der Freitag“ zukommen lassen.
Wenn aus dem orthodox-kommunistischen Lager nun tatsächlich einmal neue Aufgüsse historisch überholter Systemkritik kommen, so ist dieses nicht nur dem links-unkoordinierten Jakob selbstverständlich eine große Story wert. Da wir dem ständig mit abstrusen Weltsichten jonglierenden, kleinen Augstein nicht das Feld der Linkskritik allein überlassen wollen, haben wir sein Angebot genutzt und das von ihm verlinkte „fairLand-paper“ einmal angeschaut. Fünf Seiten umfasst das Papier, das die Handschrift Oskars nicht verleugnen kann. Immerhin ist es damit deutlich kürzer als des Marxens „Kommunistisches Manifest“. Weshalb allein schon hieran erkennbar wird, dass Sahra und Oskar davon abgesehen haben, wie ihr berühmter Ziehvater den Globus neu drehen zu wollen. Warum auch – der alte Marx rotiert zumindest in ihren Köpfen unverdrossen weiter.
Oskars Gerechtigkeits-Leier
Ganz im Sinne Oskars steht das Sahraistische Manifest unter dem Schlagwort „Für ein gerechtes und friedliches Land“ und eröffnet mit der Feststellung: „Es geht nicht fair zu.“
Oskar, der Erfinder der „Gerechtigkeitslücke“, in der sich nach Bedarf jeder irgendwie wiederfinden konnte, bleibt also bei seinen Leisten. Und wie damals, bevor er von Gerhard Schröder aus der SPD herausgeekelt worden war, denkt er global und welt-gerecht. Meint er zumindest. Deshalb geht es gleich richtig zur Sache: „Macht triumphiert über Vernunft, Gewalt über Völkerrecht, Gier über Gemeinwohl, Geld über Demokratie. Wo nur noch Werte zählen, die sich an der Börse handeln lassen, bleibt die Menschlichkeit auf der Strecke. Dagegen stehen wir auf: für Fairness und sozialen Zusammenhalt, für Frieden und Abrüstung.“
Steh auf, Genosse!
Bei solch markigen Sätzen muss einem jeden früheren Barrikadenkämpfer doch sofort die Gicht aus den Knochen weichen! Wie formulierte es Walter Dehmel so revolutionär zur Melodie von „Avanti Popolo“? „Steht, auf, ihr Arbeiter! Steht auf Genossen! / Die rote Fahne weht siegentschlossen. / Steht auf, ihr Arbeiter! Steht auf Genossen! / Die rote Fahne erkämpft die Macht.“
Nun ist es also wieder so weit: Sie stehen auf – zumindest der Oskar und die Sahra. Und vielleicht der Rudolf Dreßler, jener heute 77-jährige Sozialist, der seinerzeit den Genossen Gerd wegen der Agenda des Verrats an der Arbeiterschaft zieh. Die anderen bislang angefragten – gleichsam die klassische Klientel von Fistelbarde Konstantin Wecker über Autor Ingo Schulze bis zur stets weinerlichen Ex-BT-Vizechefin Antje Vollmer – sind, so berichtet der Tagesspiegel, noch nicht entschieden, ob sie sich mit Sahra und Oskar bewegen wollen. Absagen haben sich die Bewegten von der Saar bereits bei den früheren Genossen von den linksflügelnden Regierungssozis geholt. Aufrührer Kevin von den Juso-Genossen ließ wissen: „Nicht meine Bewegung!“
Oskars Kampfauftrag
Doch zurück zum Kampfauftrag der „Bewegung“. Da findet sich gleich zum Einstieg all das, was die Sahra regelmäßig für ein Handgeld in den Propaganda-Schauen der Öffentlich-rechtlichen Medien erzählen darf.
„Während Konzerne ihre Aktionäre in Dividenden baden, streiten die Ärmsten an den Tafeln um abgelaufene Lebensmittel“, wissen Oskar und Sahra – doch leider muss ich sie enttäuschen. Da wie immer im Mai die Dividenden-Mitteilungen ins Haus flattern: Die Kapitalverzinsung über Dividende bewegt sich derzeit mit Chance bei schlappen zwei Prozent. Das ist zwar etwas mehr, als dank Draghis EZB-Politik beim Festgeld lockt – darin zu baden, dürfte allerdings beim Benetzen der Unterschenkel enden. Aber so ist er eben, der Oskar: Immer feste druff auf den Neidkomplex der Verlierer – die Revolution braucht menschlichen Schmierstoff, und der kommt nun einmal aus dem Bodensatz der Gesellschaft.
Sahras nationalistische Attitüde
Liest man nun ein wenig weiter, dann wird jedoch auffällig, dass auch Sahra ein wenig mitgestrickt hat. Die mit ihrer stets ausgesuchten Kleidung dem Begriff der Salon-Kommunistin alle Ehre machende Dame hatte ja schon häufiger unter Beweis gestellt, dass ihre internationalistische Grundausrichtung gelegentlich Affinitäten zu der innerfamiliären Konkurrenz der nationalistischen Sozialisten durchblicken lässt. Was unter dem Strich nach dem historischen Totalausfall jener nationalistischen Genossen Sinn macht zumindest dann, wenn man seine Klientel auch in den Restanten real-sozialistischer Überlebenskünstler aus dem untergegangenen Arbeiter- und Bauernstaat zu finden sucht.
Also formulieren die beiden richtig knackige Sätze wie: „Für nicht wenige bedeuten innereuropäische Freizügigkeit und Zuwanderung vor allem: mehr Konkurrenz um schlecht bezahlte Arbeitsplätze. Aber auch für osteuropäische Arbeiter in deutschen Schlachthöfen und auf deutschen Feldern ist vor allem die Ausbeutung grenzenlos geworden.“
Apropos deutsche Felder! Vielleicht hätten sich Oskar und Sahra, bevor sie sozialistische Plattitüden nationalistisch in die Welt blasen, einmal mit deutschen Spargelbauern ins Benehmen setzen sollen. Die haben es nämlich Saison für Saison immer wieder versucht, deutschen Arbeitern die Chance zum Geldverdienen zu geben. Das Problem: Der Job ist denen zu anstrengend – und die Stütze kommt auch ohne über Feldern gebeugte Dauerhaltung. Aber sorry – darum geht es ja auch nicht in diesem #fairLand-Papier. Wenn interessieren Fakten, wenn es um die Revolution, wenn es um „die Bewegung“ geht!
Die Plattitüden aus hundert Jahren
Und so geht es absatzweise weiter. Hier werden all die Plattitüden aufgelistet, mit denen die Alt-Kommunisten seit nunmehr über hundert Jahren ihre Weltsicht dokumentieren. Die unleugbare Tatsache, dass die sozial Schwachen in alten Sozialwohnungen leben müssen, während mittlerweile massenhaft neue Sozialwohnungen gebaut werden – Schuld der bösen Spekulanten. Dass diese neuen Sozialwohnungen überwiegend an die Neubürger mit der Bezeichnung „Flüchtling“ gehen – das darf man ja auch nicht laut sagen. Aber die Betroffenen verstehen der beiden Altrevolutionäre Feststellungen schon richtig, denn: „Die Flüchtlingskrise hat in Deutschland zu großer Verunsicherung geführt.“ Wer wollte das bestreiten?
Folglich gibt es dann sofort einen klassischen Ja-Aber-Satz aus dem Hause Lafontaine: „Wir lehnen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit ab. Aber wir halten die Art und Weise, wie die Regierung Merkel mit den Herausforderungen umgegangen ist, für unehrlich und inakzeptabel.“ Denn: „Am Ende leiden vor allem die ohnehin Benachteiligten. Wenn die Politik dann noch zuschaut, wie Hassprediger eines radikalisierten Islam schon 5jährigen Kindern ein Weltbild vermitteln, das Integration nahezu unmöglich macht, wird das gesellschaftliche Klima vergiftet.“
Das könnte ebenso in einem Positionspapier der AfD stehen – wodurch die Feststellung an sich dadurch nicht falscher wird. Aber in einem Papier von Kommunisten, die sich doch angeblich der internationalen Solidarität verschrieben haben – zumindest grenzwertig.
Ohne Feindbild kein Widerstand
Selbstverständlich darf auch das klassische Feindbild nicht fehlen. So bedauern die #fairLander, dass überall auf der Welt „rücksichtslos Kriege geführt werden, um Zugang zu begehrten Rohstoffen zu erhalten oder geopolitische Einflusszonen auszuweiten“ – zwar gelte „das für alle großen Militärmächte dieser Welt, besonders aber für die Vereinigten Staaten“. Denn zum großen Bruder Russland „herrscht Eiszeit“, wird bedauernd festgestellt.
Nun – diese sogenannte Friedenspolitik lebte vom Kontext des Kalten Krieges, vom globalen Konflikt zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion, vom nationalen Konflikt zwischen BRD und DDR. All das ist Geschichte. Heute laufen die Konfliktlinien einerseits zwischen dem Rückfall in die Denkwelt des Mittelalters, wenn pseudoreligiöse Glaubenssätze die politische Vernunft ersetzen – und gleichzeitig entlang noch ungeahnter Linien unter dem Aspekt einer künftigen Supermacht China, die für Oskar und Sahra offenbar immer noch in früh-maoistischer Unterentwicklung verharrt, weshalb man sie schlicht ausblenden kann.
Die elf Punkte der Barrikadenkämpfer
Gleichwohl wären die beiden Altkommunisten keine echten Barrikadenkämpfer der sozialistischen Revolution, würden sie ihre im Denken des 19. Jahrhunderts verharrende „Analyse“ nicht mit einem elf Punkte umfassenden Forderungskatalog abschließen. Es sind dieses Forderungen, denen man in manchen Positionen sogar geneigt sein könnte zuzustimmen. Denn sie sind wunderbar populistisch, sprechen die innersten Bedürfnisse an, wenn Renten gefordert werden, die „den Lebensstandard im Alter sichern“, wenn „exzellente Bildung bessere Lebenschancen“ bieten müssen, wenn „mehr Sicherheit im Alltag“ durch mehr Polizei erreicht werden soll.
Gleichzeitig aber atmet dieses Papier unter Marxens Haaren den sozialistischen Mief von über hundert Jahren. Verstaatlichung statt unternehmerische Eigeninitiative; unter Berufung auf Keynes ein Ende der Globalisierung und Rückkehr zur Binnenwirtschaft; Erhalt technisch-ökonomisch unsinniger Arbeitsplätze. Und dann – ganz unmarxistisch – sogar ein Europa der Vaterländer – keine Europäische Union (wofür Oskar und Sahra auf der Barrikade sicherlich einigen Beifall einheimsen werden).
Oskar mit Marxens Federkiel
Zusammengefasst: Diese Neuauflage eines Kommunistischen Manifests enttäuscht auf ganzer Front. Es verbreitet hier und da populistische Plattheiten, die einerseits dem gesunden Menschenverstand nicht zwingend fremd sein müssen, andererseits und gleichzeitig derart fest in den historisch überholten Denkschemata der Sozialrevolutionäre von 1850 verankert sind, dass sie eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Anforderungen der Zeit nicht einmal im Ansatz erahnen, geschweige denn einfordern lassen.
Das, was Oskar und Sahra hier zu Papier (oder Datensatz) gebracht haben, wirkt wie bei Kerzenlicht mit Marxens Federkiel auf brüchigem Pergament verewigt. Nicht zu einer der zukünftigen Fragen wird auch nur der Versuch einer Antwort unternommen.
Wohin mit den explodierenden Menschheitszahlen?
Wie die Rohstoffabhängigkeit der deutschen Wirtschaft bei ständig knapper werdenden Ressourcen entweder abbauen – oder aber den Zustrom zur Veredelung in deutschen Industrien gewährleisten?
Wie die Arbeitsplätze sichern, die vom globalen Markt abhängig sind?
Wie die ständig größer werdende Schere zwischen Rentenempfängern und Sozialbeitragszahlern decken?
Wie dafür sorgen, dass die Konflikte dieser Welt um Nahrung, kleinen Wohlstand und leider auch Herrschaft der Ideologie aufhören?
Wie dem beharrlichen Abbau der Freiheitsrechte durch staatliche Restriktion begegnen?
Wie die globale Umweltvernichtung als Folge ungehemmter Vermehrung in den Griff bekommen?
Nicht einmal SDAJ-Niveau
Nein, dieses #fairLand-Papier erfüllt nicht einmal das Niveau, auf dem sich in den Siebzigern die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend bewegt hat. Hier hat Oskar seine sozialistische Bandschleife in Senilität mit den überholten Rezepten von Vor-Vorgestern zusammengebastelt. Und Sahra, die in den Sprech-Schauen immer so klug daher schwätzt, hat es mit ein bisschen Klientel-gerechtem Nationalismus gewürzt. Und vermutlich dann auch den Begriff der „Bewegung“ eingebracht.
Das, was die beiden hier zu Papier gebracht haben, lohnt nicht einmal für orthodoxe Kommunisten zur Diskussion. Das hatten Marx und Engels vor über 150 Jahren schon mit mehr Intellekt und Tiefgang beschrieben. Das ist tatsächlich nur etwas für outgesourcte Sozialromantiker wie jenen bislang einzigen Bekenner Rudolf Dreßler.
Da wird es mit Sahras Eleven wohl nichts werden. Und falls doch, dann wissen wir zumindest, an welcher Stelle sich die linke Desintellektualität versammelt hat. Was vielleicht auch erklärt, warum die Autoren es ausgerechnet über Jakob Augstein haben in die Öffentlichkeit lancieren lassen. Aber lassen wir das. Über dessen Ergüsse zu philosophieren, fällt ohnehin mangels philosophierbarem Inhalt aus. Insofern: Passt schon, das mit dem Jakob, dem Oskar und der Sahra.