Der Brenner ist keine Sprachgrenze und keine ethnische, wie die Faschistische Bewegung Italiens einst behauptete. Geht es um das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft, verläuft die Grenze zwischen den Einstellungen der Bürger und ihrer Zusammenschlüsse in der Gesellschaft einerseits und den Institutionen des Staates andererseits noch unübersichtlicher.
Immer wenn von Regierungskrise in Rom außerhalb Italiens die Rede war und jetzt erst recht die Rede ist nach dem Wahlsieg von Lega und Fünf Sterne sowie dem illegitimen Akt des Staatspräsidenten, fehlt Politikern, Journalisten, aber auch ganz normale Bürgern im Norden Europas ein grundlegendes Wissen um Italien. Sizilianer und Toskaner, Lombarden und Apulier, Friulaner und Neapolitaner und so weiter finden Regierungskrise in Rom wunderbar: Sie sagen, dann können sie in Rom nichts anstellen, was wir ausbaden müssen. Ein Hauch davon wehte aus Berlin durch Deutschland in den Monaten der geschäftsführenden Regierung.
Was nördlich des Brenners als Polit-Chaos eingeordnet wird, ist ein Zustand, der sich täglich ändern kann. Ob die Übergangsregierung Cottarelli überhaupt ins Amt kommt, ist durchaus fraglich. Dass Lega und Fünf Sterne ohne Neuwahlen an die Regierung kommen, ist genauso möglich wie nach Neuwahlen unausweichlich.
Ein Amtsenthebungsverfahren gegen Mattarella ist „vom Tisch“, weil die Lega das nicht will, sagte Sterne-Chef Luigi Di Maio gestern abends (womit er ein Wahlkampf-Argument gegen die Lega kultiviert). Aber entscheidend für die Stimmung in Italien ist sein Satz zu Deutschland: „Wir müssen entscheiden, ob über die italienischen Regierungen die Wähler entscheiden oder die Ratingagenturen und Deutschland.“ Die halb zurückgenommene Aufforderung des deutschen EU-Kommissars Oettinger, die Italiener sollten Lega und Fünf Sterne nicht wählen, war der deutsche Elefant im italienischen Porzellanladen – wie im Bilderbuch.
Es gilt als nahezu sicher, dass Cottarelli von keiner Partei Unterstützung im Parlament bekommt: eine solche Niederlage für Präsident Mattarella kann seinen eigenen Stuhl zum Wackeln bringen. Jedenfalls ist alles wieder offen. Aber das finale Ergebnis steht so oder so fest. Die Zeichen gegen die zentralistische EU mehren sich.