Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Über ein geordnetes Ausstiegsszenario für Staaten der Eurozone, die alle anderen in ihre Probleme mitreißen können, wird nicht einmal diskutiert. Dabei wäre das notwendiger denn je.
Wer heute fürs Alter vorsorgen will, hat es schwer. Nicht weil er zu wenig Auswahl hat oder es keine attraktiven Anlagen mehr gibt. Nein, es ist der Wust an Bürokratie. Wer sich heute bei einer Sparkasse, Volksbank oder Privatbank beraten lässt, um beispielsweise 5.000 Euro anzulegen, braucht viel Geduld. 180 Seiten Basisinformationen über Wertpapiere und weitere Kapitalanlagen, dann 30 Seiten Kundeninformationen zu Geschäften mit Wertpapieren und weiteren Finanzinstrumenten, anschließend 33 Seiten Basisinformationen über Vermögensanlagen in Investmentfonds und zusätzlich sind Geschäftsbedingungen, Preis- und Leistungsverzeichnis sowie Datenschutzhinweise durchzuarbeiten. Dafür sollte man schon mal zwei Tage Urlaub nehmen.
Doch das war noch nicht alles. Der Berater händigt dem Kunden auch noch das Verkaufsprospekt der Investmentgesellschaft aus. Das sind auch schnell nochmal 100 Seiten Papier. Anschließend muss der Kunde noch nachweisen, dass er überhaupt geeignet für die Kapitalanlage ist. Dazu muss er die Hosen runterlassen und seine Vermögensverhältnisse, das Einkommen und seine Anlageerfahrung offenbaren. Das sind dann auch nochmals 10 Seiten. Summa summarum rund 400 Seiten eng bedrucktes Papier. Doch es kommt noch besser. Kommt er nach vier Wochen auf die schlaue Idee, in die gleiche Anlage einen Sparplan von 50 Euro monatlich zu sparen, muss der Sparkassenberater ihm die ganzen Unterlagen nochmals aushändigen. Das ist wirklich irre.
Man könnte meinen, das sei zum Wohle des Kunden. Doch weit gefehlt. Die Rechtsabteilungen der Banken haben sich soweit abgesichert, dass Banken und Sparkassen kein Risiko mehr tragen. Und auch der Gesetzgeber, meist aus Brüssel initiiert, kann sich im Zweifel immer zurücklehnen. Er hat ja geliefert. Auf der Strecke bleibt der Kunde. Er wird entmündigt. Ihm traut man kein eigenverantwortliches Handeln zu. Alle werden über einen Kamm geschoren. Der Anlageprofi ebenso wie die Rentnerin, die ihren Notgroschen verwaltet.
Doch warum ist das so? Es hat viel mit einer Illusion zu tun. Mit der Regulierungsillusion. Sie suggeriert, der Staat müsse seine Bürger vor allen Lebensrisiken schützen. Das kann die Regierung, das Parlament oder ein Abgeordneter nicht. Denn sie kennen nicht die Risiken der Zukunft. Das alles ist letztlich ein Kollateralschaden der jüngsten Finanzkrise. Der Insolvenz von Lehman Brothers und der anschließende Ausfall der Lehman-Zertifikate 2008 folgte eine Unmenge an Gesetzesinitiativen zum Verbraucherschutz. Wie so häufig wurde das Kind aber mit dem Bade ausgeschüttet.
Der gleichen Regulierungsillusion unterliegt die Regierung auch bei der Bewältigung der Euro-Krise, die jetzt über Italien wieder zurück kommt. Dort haben die Wähler anders entschieden als in Brüssel und Berlin erhofft. Nach der gescheiterten Regierungsbildung drohen jetzt für den Herbst schon wieder Neuwahlen. In der Erwartung eines erneuten Wahlsieges der Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung steigen die Renditen der Anleihen des überschuldeten italienischen Staates wieder auf das Krisenniveau von vor fünf Jahren.
Die gigantische Euro-Krise
Damals war man mehrheitlich der Auffassung, die bisherigen Regeln seien nicht brauchbar. Sie müssten angepasst werden, damit so etwas nie wieder passieren kann. Neben dem Schuldenschirm „Europäischer Stabilitätsmechanismus“, der im Zweifel 500 Mrd. Euro ins Schaufenster stellen kann, sollte eine Bankenunion für Stabilität an den europäischen Finanzmärkten sorgen. Zwei von drei Pfeilern sind inzwischen realisiert:. Die Bankenaufsicht wurde bei der Europäischen Zentralbank angesiedelt. Zusätzlich wurde dort ein Bankenabwicklungsregime angedockt. Jetzt fehlt nur noch eine einheitliche Einlagensicherung im Euroraum. Kurzum: die EZB soll feststellen, wenn eine Bank pleite ist, soll sie abwickeln, und jetzt sollen auch noch die Einlagen von allen Sparern im Währungsraum gegenseitig garantiert werden. Das alles soll verhindern, dass der Währungsraum buchstäblich auseinanderfliegt. Doch ist diese Gefahr wirklich gebannt? Hat das alles geholfen?
Italien hat heute eine Verschuldung von 2.300 Milliarden Euro. Seit März 2015 kauften die EZB und die nationalen Notenbanken Staatsanleihen. Bisher wurden dafür fast 2.000 Mrd. Euro aufgewandt. Alleine 341 Milliarden Euro entfallen auf italienische Anleihen, die von der italienischen Notenbank gekauft wurden. Doch auch die Risiken in den Bilanzen ausländischer Banken sind nicht unerheblich. So haben französische Banken 63 Mrd. Euro Staatspapiere Italiens in ihren Büchern, deutsche Banken 39 Mrd. Euro.
Money makes the World go round
Hat diese Regulierung die aktuelle Krise verhindert? Hat sie das Euro-Währungssystem stabiler gemacht? Sind die Banken weniger systemrelevant? Nein. Es ist nur eine Regulierungsillusion. Es ist eine Beruhigungspille, die suggeriert, man habe alles im Griff. Im achten Jahr der Euro-Schuldenkrise ist das erschreckend wenig. Die Verschuldung in der Eurozone ist gestiegen, die Wirtschaftskraft fällt im internationalen Vergleich zurück und die faulen Kredite in den Bankbilanzen Südeuropas sind viel zu hoch. Das, was notwendig ist, wird nach wie vor tabuisiert. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Über ein geordnetes Ausstiegsszenario für Staaten der Eurozone, die alle anderen mitreißen können, wird nicht einmal diskutiert. Dabei wäre das notwendiger denn je.