Können Sie, lieber Leser, sich noch erinnern, welch eine Euphorie die Wahl des Barak Obama in den deutschen Medien hervorgerufen hatte? Der „erste farbige Präsident der USA“ wurde mit einem schier unerfüllbaren Paket von Zukunftshoffnungen verknüpft. In den USA, insbesondere von der deutschen Linken gern als imperialistischer Rassistenstaat geschmäht, wäre nunmehr eine neue, eine bessere Zeit angebrochen. Mit dem „Schwarzen“ Obama hätten die USA ein neues Kapitel ihrer Geschichte aufgeschlagen, in der Krieg und rücksichtloses internationales Engagement der Vergangenheit angehören würden.
Yes we can – und wie!
Zugegeben – diese Euphorie ergriff nicht nur die Deutschen. Das Friedensnobelpreis-Komitee in Oslo sank ebenfalls in Ehrfurcht dahin und vergab die begehrte Auszeichnung im Vorgriff auf künftige Wohltaten an den 44. US-Präsidenten, welcher darüber in Erkenntnis seiner eigenen Möglich- und Unmöglichkeiten eher nur wenig erfreut war. Das aber mochte die deutsche Begeisterung nicht zu schmälern. Mit einem „schwarzen US-Präsidenten“, da waren sich von Kai Diekmann bis Claus Kleber alle Chefmedialen unserer Republik einig, würde das hässliche Gesicht der USA hübscher werden. Ihnen allen war nicht bewusst, dass sie mit ihrer Euphorie etwas auslebten, was man am besten als „positiven Rassismus“ bezeichnen könnte. Denn in gewisser Weise folgte die Obama-Fancrew alten, nationalsozialistischen Gedanken, indem sie deren Logik folgte, wonach jeder, der kein reinrassiger Weißer ist, ein nicht-weißer Farbiger sei. Dass Obama dank seiner Eltern genetisch als klassischer Mulatte ebenso weiß wie schwarz ist, wurde verdrängt, ließ doch sein afrikanisches Aussehen seinen „weißen“ Anteil gänzlich ausblenden und ihn zu einem „echten“ Schwarzen werden. Als solcher wiederum musste er im Sinne eben dieses positiven Rassismus ein „guter Mensch“ sein und veranlasste bei den doch selbst so gern „gut“ seienden, aber immer wieder so schlecht handelnden deutschen Weißen einen tief im Inneren schlummernden Reflex. „Negern“, die man deshalb auch nicht mehr als solche bezeichnen durfte, war von den weißen „Herrenmenschen“ über eine Ewigkeit bitteres Unrecht angetan worden, sodass die nunmehr nicht minder pauschale Zuweisung des von Natur aus Guten als fast schon zwangsläufiger Akt menschlicher Gerechtigkeit verstanden wurde.
Der kollektive Übermensch der Ursprünglichkeit
Obama – und welchen Nicht-Euphoriker der ersten Stunden vermöchte dieses zu überraschen? – entpuppte sich schnell als das, was er war: Ein US-Präsident, der unabhängig von seiner Herkunft und seiner Hautfarbe den Zwängen des politischen Geschäftes nicht entfliehen konnte und weiterhin arme Völker unterdrücken und die imperialistischen Ziele seiner USA mit Krieg und TTIP voranbringen ließ. Das nun allerdings passte wenig zu der in diese Person hineingedachte messianische Heilsvorstellung – und die Anfangs so euphorischen Deutschen wandten sich enttäuscht ab. Aus Obama, dem Heilsbringer, wurde für viele Nobama, der Weltvernichter. So weit, so mehr oder weniger nachvollziehbar, wenn in der Politik nüchterne Betrachtung durch Glückseligkeit ersetzt wird. Gleichzeitig aber offenbart dieser Hang zur überschwänglichen Euphorie dem Fremdartigen gegenüber eine offenbar sehr deutsche Eigenschaft, die einstmals schon den deutschen Volksschriftsteller Karl May zum Bestseller-Autoren avancieren ließ. Jener Karl May nämlich goss die deutsche Sehnsucht nach dem besseren Menschen, welche Friedrich Nietzsche in etwa zeitgleich auf hohem philosophischen Niveau als „Übermensch“ kreierte, mit seinem „Winnetou“ für die Ewigkeit in die Figur des edlen Wilden. Dieser edle Wilde, der alle Ideale des Deutschen in sich verkörpert und der dazu noch alle gewünschten Eigenschaften des grünen Öko-Fundamentalisten in sich vereint, ist seitdem aus dem kollektiven Unterbewusstsein des Deutschen nicht mehr weg zu bekommen. Ganz im Gegenteil: Je mehr sich der in seinem innersten Kern doch eigentlich so gute Deutsche in Krieg und Vernichtung verstrickte, desto mehr verfestigte sich im Hinterkopf die Vorstellung, dass es eigentlich „die Wilden“ sind, denen, weil als Naturkind besser als die Deutschen, nachzueifern sei. Der Erfolg der Immer-noch-Nachkriegs-Karl-May-Filme der sechziger Jahre steht ebenso für dieses kollektive Ideal der lauteren Ursprünglichkeit wie die nicht minder kollektive Ablehnung unserer am Hindukusch kämpfenden Soldaten, als jene bei einem Angriff auf die Taliban eine Gruppe von Benzindieben unbeabsichtigt in die ewigen Jagdgründe beförderten. Was in jedem anderen kriegführenden Land als Kollateralschaden im Zuge einer Gefahrenabwehr schnell in den Akten gelandet wäre, organisierte in Deutschland einen Massenaufstand gegen die vorgeblich völkerrechtswidrige Behandlung der edlen Wilden – und vernichtete so jede Chance der Bundeswehr, in Afghanistan ihrer eigentlichen Aufgabe des Schutzes der Bevölkerung vor fanatischen Islamfundamentalisten gerecht zu werden. Die Bundeswehr als Deichhelfer beim Oder-Hochwasser 2002 oder Brunnenbauer in Afghanistan – das entsprach der Mentalität des deutschen Kleinbürgers, die Karl May einst so treffend als „deutsche Gemütlichkeit“ zur kuscheligen Grundgemeinsamkeit aller zentralgermanischen Stämme verklärt hatte.
Failed mission und unerfüllte Sehnsucht nach Winnetou
Eine erste, brutale Konsequenz des kollektiven Kuschelns auf der Suche nach dem edlen Wilden traf die Bewohner des langjährigen deutschen Stützpunktes Kundus, als ihn dieser Tage die radikalislamischen Taliban überrannten. „Failed mission“ kann man so getrost mit Blick auf den rund 8,8 Milliarden teuren Ausflug unserer Soldaten in das zentralastische Hochland feststellen. Doch das berührte kaum noch jemanden in unserer Republik, denn die medial gelenkte Aufmerksamkeit hatte des Deutschen Sehnsucht nach dem edlen Wilden längst in neue Bahnen gelenkt. Der neue edle Wilde lief nun nicht mehr als Winnetou durch die Rocky Mountains oder suchte bei gestohlenen deutschen Tanklastern nach Benzin – nein, er stand ganz plötzlich und unvermittelt direkt in der Tür. Die Refugee-Welcome-Euphorie, von der offenbar ebenfalls Karl-May-geprägten Bundeskanzlerin zur gesamtvölkischen Aufgabe erklärt, schenkte uns ein neues Objekt unserer Träume von den edlen Wilden: Arme, von der Flucht vor dem Bösen mit letzter Kraft nach Deutschland gekommene Heroen, die allein schon dadurch, dass sie Deutschland als das Ziel ihrer Träume auserkoren hatten, den Beweis antraten, jedes Potential zu haben, nun endlich die besseren, weil durch die Nazi-Vergangenheit unbelasteten Deutschen zu werden. Wieder einmal schwebte das Ideal des edlen Wilden, der eigentlich ein noch besserer Deutscher als die Deutschen selbst ist, über Allem. Wieder reflektierte die deutsche Sehnsucht nach der perfekten Symbiose deutscher Tugenden mit der Naturverbundenheit des von der Technik unbeleckten Eingeborenen, die schon immer das Erfolgskonzept der grünen Bewegung prägte, sich in der getriebenen Unschuld nicht-arischer und damit guter Menschen. Was allerdings geschieht, wenn sich herausstellen wird, dass viele dieser edlen Wilden nichts anderes sind als ganz normale Menschen, von denen es Gute wie auch Böse gibt – das kennen wir schon vom endlosen Fall des einstigen Messias Obama.
Die deutsche Sehnsucht ist gnadenlos
Die deutsche Sehnsucht ist gnadenlos. Wer als edler Wilder versagt, der hat jeden Anspruch nicht nur auf Zuwendung, sondern auch auf Toleranz für immer verwirkt. Denn dann kehrt sich der positive Rassismus des Deutschen zu dem, was er eigentlich schon immer war: Zum wahren Rassismus, der in der Karikatur auch nicht davor zurückschreckt, einem US-Präsidenten mit überdimensionalen Ohren und geschürzter Oberlippe die Attitüde eines Affen zuzuschreiben. Dabei könnte der Deutsche in seiner unentwegten Suche nach dem Edlen seinen Blick beispielsweise in Richtung Vatikan lenken. Denn dort sitzt derzeit mit Franziskus jemand, dessen Versuch, den Menschen ein neues Bild von Moral und Miteinander zu geben, manche der so tief sitzenden Sehnsüchte bedienen könnte. Aber nicht nur, dass auch dieser Mensch schon menschliche Schwächen offenbart hat – er ist leider auch kein indigener Argentinier, sondern das Kind böser weißer Kolonialisten und noch dazu ein Mann der Kirche, die in der frühen Neuzeit die edlen Wilden massenhaft vernichtet hatte. Als solcher ist Franziskus für die Rolle, der edle Wilde, einfach unbrauchbar – und der Deutsche schaut weiter sehnsuchtsvoll in die ihm exotischen Sphären einer hoffnungsfrohen Offenbarung, in der er dann endlich doch irgendwann noch einmal hervortritt: Der fleischgewordene Winnetou, der eben nicht nur edler, sondern auch noch deutscher als die Deutschen selbst ist.