So ein Untersuchungsausschuss auf Bundesebene ist ja nicht einfach nur eine oppositionelle Gemeinheit. Solche Ausschüsse erfüllen in der parlamentarischen Demokratie eine wichtige Funktion: Sacherhalte im Verantwortungsbereich der Regierung, die auf Missstände hindeuten – wie das BAMF – , werden untersucht und damit wieder der parlamentarischen Kontrolle übergeben.
Warum sich nun die Fraktion der Grünen im Bundestag so ziert, wenn es um einen Untersuchungsausschuss zu den massenhaften und offensichtlich bandenmäßig organisierten Betrügereien in Außenstellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge geht, kommentiert der FDP-Chef Lindner gegen über dem Spiegel so:
„Es kann nicht sein, dass die Grünen zu den Chefverteidigern von Angela Merkel und den Herren Altmaier, Seehofer und de Maizière werden.“
Lindner beklagt hier, es sei ein „Trauerspiel“, dass die Grünen sich bisher weigern würden, einem Untersuchungsausschuss zuzustimmen, aus Sorge, damit der AfD eine politische Grundlage zu liefern. Für Lindner würde so ein Ausschuss aber Positives bewirken: Konsequente Aufklärung anhand von Fakten. Damit würde man der AfD ganz umgekehrt die politische Grundlage entziehen, fügt Lindner noch pflichtschuldig an.
Aber was für ein Spagat ist das eigentlich? Ist die AfD verantwortlich für den GAU im Bundesamt, dort, wo die Verwaltung der Massenzuwanderung an ihrer neuralgischsten Stelle angekommen ist? Warum macht es Lindner nicht mit der AfD alleine? Zunächst deshalb, weil für einen Untersuchungsausschuss nach Art 44 des Grundgesetzes ein Viertel der Abgeordneten den Antrag zum Ausschuss stellen müssen, diese 25 % sind aber nicht erreicht, wenn lediglich AfD und FDP beantragen würden.
Gegenüber dem Spiegel stellt Lindner der Regierung ein vernichtendes Zeugnis aus in Sachen Massenzuwanderung und BAMF-Versagen, das kaum weniger scharf ebenso aus den Reihen der AfD hätte kommen können bzw. längst gekommen ist:
„Die Vorgänge im Bamf werfen ein Schlaglicht auf die gesamte Flüchtlingspolitik der vergangenen vier Jahre. Die eine Hand weiß bis heute nicht, was die andere tut. Beim Bamf gibt es gravierende Mängel – nicht nur in der Außenstelle Bremen.“
Nun ist so ein Untersuchungsausschuss für Lindner doppelt wichtig. Die Grünen können dabei nur verlieren, die FDP nur gewinnen, denn die Liberalen sind in den Bundestag eingezogen mit dem Versprechen, „einen Untersuchungsausschuss zur Flüchtlingspolitik einzusetzen.“ Sie haben dem Wähler gegenüber eine Bringschuld. Der Ausschuss zum BAMF könnte hier als die Einhaltung des Wahlversprechens über Umweg verstanden werden.
Für Christian Lindner gibt auch in der neuen Regierung keine Anzeichen für eine „neue, geordnete, weltoffene Zuwanderungspolitik“. Sagt die AfD zwar durchgehend, aber Lindners Einschätzung hat hier beim Bürger mehr Gewicht als die der AfD. Schon alleine deshalb, weil die Liberalen um den Themenkomplex bisher herumgeschlichen sind, wie die Katze um den heißen Brei.
Für Lindner soll die Migrationsfrage jetzt eine der größten Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft sein, der sich die FDP offensiv stellen müsste. Ja, so kann man das natürlich alles begründen, der Blickwinkel ist deshalb aber nicht neu, erkennbar ist lediglich die Umetikettierung. Und diese Herausforderung ist nicht erst aktuell, seit das BAMF unter Verdacht steht, gesetzeswidrig im großen Stil illegale Migration auch noch zu befördern. Nein, hier geht es um ein Ringen um die Hoheit solcher Themen, die den Bürger ungebrochen an erster Stelle beschäftigen.
Und hier wirkt dann in besonderem Maße die Schrumpfung der Großen Koalition, denn in der vergangenen Legislaturperiode hatten SPD und Union zusammen eine Mehrheit von rund 80 Prozent. Die Opposition wäre also quantitativ überhaupt nicht in der Lage gewesen, die nötigen 25 Prozent der Abgeordneten zusammenzubekommen für einen Untersuchungsausschuss. Ein Demokratie-Defizit, das nun vom Wähler bereinigt wurde. Der Vorwurf an die Grünen, „Chefverteidiger“ der Merkel-Regierung zu sein, ist also berechtigt, wenn diese sich einem Antrag verweigern. Denn dann wären die Grünen nicht mehr als die Regierungsstimme innerhalb der Opposition. Aber die Angelegenheit ist noch kniffliger, denn in der letzten Legislatur wurde die erforderliche Stimmenzahl auf 20 Prozent gesenkt. Diese Sonderregelung gilt nun aber nicht mehr, Artikel 44 ist wieder vollumfänglich wirksam.
Wenn nun aber der so bezeichnete „Tagesschau-Faktenfinder“ im September 2017 feststellte: „Mit ihrem Wahlergebnis von rund 13 Prozent kann die AfD allein keinen Untersuchungsausschuss durchsetzen.“, dann gilt das für die noch schmaleren Grünen, für die Linke und die FDP allemal.
Verweigern die Grünen und/oder die Linke nun so einen Untersuchungsausschuss ihre Stimme, boykottieren sie also eine erforderliche Abgeordnetenzahl, dann schadet das in erheblichem Maße der Demokratie. Verhindert, dass die Fakten auf den Tisch kommen, öffentlich werden und die Verantwortlichen zwingen, Verbesserungsvorschläge für die Zukunft zu machen. Das wäre aber unbedingt nötig, wenn man sich nur an den internen Mailverkehr im BAMF erinnert, der auf erschreckende Weise aufzeigte, mit welchen Mitteln diese Fakten bisher unter den Tisch gekehrt werden sollten.
Dieses „unter den Tisch kehren wollen“ hat im BAMF offensichtlich Methode bis hinunter in die kleinsten Einheiten in der Bewältigung der Krise, dann, wenn wir uns ebenfalls daran erinnern, wie beispielsweise die Braunschweiger Landesaufnahmebehörde Akten gleich stapelweise im Keller verschwinden lassen wollte, die dreihundertfachen Sozialbetrug von Asylbewerbern hätten belegen können.