Wer Merkel verstehen will, dem kann zu zwei Biografien von drei Autoren geraten werden, unter anderem zu Gerd Langguths Biografie, mit dem einfachen Titel „Angela Merkel“. Dieses Werk ist fast vergessen; es ist zu einem Zeitpunkt erschienen, der vor der Machtentfaltung Merkels liegt und sie doch bestens beschreibt, als aktuelle Reportage, welcher der lange Atem fehlt.
Nachrufe sind so eine Sache. Gerd Langguth konnte es egal sein, aber seine Freunde wird gefreut haben, was ein junger Kollege da über ihn aufgeschrieben hat. Gut, ein Haar in der Suppe findet sich immer, so begann auch Daniel Friedrich Sturm damit, an Langguth als „Merkel-Biograf und Ex-CDU-Politiker“ zu erinnern. Hier wird die angenommene Bestleistung wie ein Adelstitel vorangestellt: „Merkel-Biograf“.
Antworten auf heutige Fragen zu Merkel
Immerhin: Die Neue Züricher bescheinigte Langguths Merkel-Biografie 2005 „minutiös der Karriere der „nur begrenzt“ kooperierenden Kanzlerkandidatin nachgeforscht“ zu haben. Und selbst der Rezensent der taz kam nicht umhin, zu attestieren, dass „“wissenschaftliche Akribie“ und die „kluge Analyse des CDU-Insiders“ überzeugt, die in nüchternem und sachlichem Ton voranschreitet.“
Nun mag es auch an der „faktischen Sättigung der Arbeit“ (Zeit) gelegen haben, dass Details der Recherchen Langguths über Merkel, die vor über zehn Jahren kaum Beachtung fanden, 2018 auf einmal hochinteressante Antworten liefern können auf Fragen, die sich damals noch niemand stellen wollte.
Was könnten das für neue Fragen zu Angela Merkel sein? Zum Beispiel solche: Woher kamen diese Bauchentscheidungen vom Atomausstieg bis zur Massenzuwanderung und einer Koalitionsbereitschaft (Jamaika) mit den Grünen?
Ein Glücksfall aus heutiger Sicht, was n-tv 2013 aus Langguths Biografie online stellte. Damals titelte das Magazin: „DDR-Vergangenheit holt Merkel ein. Nichts verheimlicht – nicht alles erzählt.“
«Laut Merkels jüngst verstorbenem Biografen Gerd Langguth hatten sich viele ihrer Freunde und Bekannten aus den 1970er und den 1980er Jahren irritiert darüber geäußert, dass sie letztendlich CDU-Politikerin wurde, da sie eher eine weltanschauliche Nähe zu den Grünen vermuteten. Reuth und Lachmann (Red.: Autoren einer weiteren Biografie) wollen aber nicht von einer Schönung von Merkels Lebenslauf sprechen. Laut „Bild“ dränge sich ihnen aber „zumindest die Vermutung auf, dass Angela Merkels Leben in der DDR nachträglich mit der Erwartungshaltung der christlich-demokratischen Anhängerschaft in Einklang gebracht werden sollte.»
Sinneswandel oder Anpassung um der Karriere Willen?
Wir haben hier also zwei Biografien vorliegen, beide aufgeschrieben und rezensiert lange vor Merkels Atomausstieg (Langguth) und lange vor ihrer Massenzuwanderungspolitik (beide Biografien). Biografische Arbeiten, die unabhängig voneinander zu einem ähnlichen Urteil über die Kanzlerin kommen: Angela Merkel ist nicht grün geworden. Im Gegenteil: Eine immer schon weltanschauliche Grüne machte eine erstaunlich steile Karriere in der CDU. Und ihre Partei scheute keine Mühen, diese innere Haltung Angela Merkels mit der Erwartungshaltung der christlich-demokratischen Anhängerschaft in Einklang zu bringen. So jedenfalls ihre Biografen.
Natürlich, Weltanschauungen verändern sich bisweilen, seltener jedoch bei einer 35 Jährigen. Wo beispielsweise ein Otto Schily den viel kürzeren Weg von den Grünen zur SPD sogar noch zu einem Karrieresprung nutzen konnte, gab es diese Option für Merkel jahrzehntelang nicht. Sie hätte, ihrer Weltanschauung geschuldet, einen Dreisprung im Spagat wagen müssen: Von der CDU über die SPD hin zu den Grünen. So erklärt sich dann allerdings einiges: die abwartende Haltung, die oft unterstellte Haltungslosigkeit und diese viel gelobte wissenschaftliche Nüchternheit der Physikerin.
Ein Mädchen wird geknetet – aber nur scheinbar
Dutzende Psychologen haben sich in noch mehr Artikeln jahrzehntelang die Zähne ausgebissen an Angela Merkels merkwürdiger Haltungslosigkeit. Dabei fand sich doch vieles schon in diesen beiden Biografien: Freunde und Bekannte aus den 1970er und den 1980er Jahren waren irritiert darüber, dass Merkel CDU-Politikerin wurde, da sie eher eine weltanschauliche Nähe zu den Grünen vermuteten. Vermuteten? Nein, sie werden darüber gesprochen haben. Freunde schätzen Freunde ein auf der Basis von langen Gesprächen und Zusammenkünften.
Parteifreunde der CDU, die sie in ihren frühen CDU Jahren kennengelernt hatten, waren bereit, sich ihr „Mädchen“ aus Mitteldeutschland hinzukneten, indem getan wurde, was nötig war, Angela Merkels grüne Seele nachträglich mit der Erwartungshaltung der christlich-demokratischen Anhängerschaft in Einklang zu bringen. Es hat nur scheinbar gut geklappt, tatsächlich gar nicht – echte Dialektik eben, damit kennt sich Merkel bestens aus.
Blumenmuster in der Saumagen-Zeit
Dabei wird übersehen: Sie hat eine lange Lehrzeit hinter sich – 1991 bis 1994 war Merkel Bundesministerin für Frauen und Jugend im Kabinett Kohl IV und 1994 bis 1998 Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit im Kabinett Kohl V. Sie war damals die doppelte Quote: Ossi UND Frau, das war selten. Geradezu eine Idealbesetzung für die Schwachstellen der CDU.
Und ja, Helmut Kohl soll sie „Mädchen“ genannt haben; sie hat keine tragende Rolle in seinen Kabinetten gespielt. Sie war eben – Quote, nicht Qualität. Es war die Zeit, in der Kohl männerbündlerisch regierte: Mit vielen Humpen Pfälzer Wein und Saumagen, den er auch dem verzweifelt dreinblickenden Mitterand zumutete – wie ein Beweis, dass die deutsch-französische Freundschaft auch das aushält.
Merkel hat es auch ausgehalten, still. Duldsamkeit, Anpassungsfähigkeit bis hin zur Tarnung der eigenen Meinung, das darf man ruhig als überlebensnotwendige Erstausstattung für zwangsangelernte DDR-Bürger verstehen, die nicht in die innere oder äußere Emigration oder gar Widerstand gingen.
Merkel war nie widerständig, immer angepasst. Bei Honnecker, wie bei Kohl – und sie hat ein langes Gedächtnis. Dabei war sie als Frauen- und Umweltministerin ganz bei sich. Jesuslatschen und geblümte Schlabberröcke bei offiziellen Terminen waren ihre Grundausstattung statt dunklem Karrierekostüm. Kohl ertrug das vermutlich nur als notwendiges Opfer an den Zeitgeist und nutzte den Aufzug, der eher lächerlich wirkte, aber damals mit schlechten, heute mit qualitativ besseren Stoffen von Claudia Roth, harmonierte. Es war eine Übereinstimmung, bis ins Blumenmuster. Aus den anständigen Politikerinnen wurden Machtinhaberinnen, gut bezahlt allemal.
So nahm das „Mädchen“ stoisch hin, wie sie benutzt wurde. Sich bis zur Selbstverleugnung benutzen lassen – auch das hat sie früh gelernt. Aber innerlich war sie nie das Mädchen, das die blinden CDU-Granden vor sich sahen. Sie hat sich bekanntlich an Kohl bitter gerächt. An seinen Saumagen-Gefährten auch. „Erneuerung“ nannte man das damals, rückblickend mit Gerd Langguth könnte man sagen: Mit jedem Schritt zur Macht hat sie ihr verborgenes Inneres nach außen gekehrt. Die CDU ist jetzt da, wo Merkel immer war.
Ihre immer noch so irritierende Nähe oder Freundschaft zu Grünen, wie Claudia Roth und Katrin Göring-Eckardt, ist da tatsächlich nur noch nachgereichter Beleg der Recherchen der so akribischen Arbeit ihrer Biografen. Eine Folgerichtigkeit. Ein Outing mit weitreichenden Folgen für ein Land und seine Menschen, die in großer Zahl christdemokratisch wählten und grün bekamen. Eine Täuschung.