Umfrageinstitute weisen in der Regel darauf hin, dass sie keine Prognosen präsentieren, sondern Momentaufnahmen. Das ändert nichts daran, dass die Medien sie offen oder versteckt als Prognosen einsetzen.
Medienanalytiker wissen, dass Umfragen meist das mit dem Zeitabstand von 14 Tagen wiederspiegeln, was Massenmedien (Schröder: Bild und Glotze) berichten. Das ist aber nicht immer so. Unterscheiden sich die persönlichen Eindrücke der Leute zu dramatisch von der veröffentlichten Meinung, öffnet sich die Schere zwischen dem Bild der Massenmedien und der Befragten.
In der Frage nach der Wahlabsicht bewegt sich in den aktuellen Umfragezahlen außer dem kleinen Anstieg bei der AfD nichts. Ob es so weit vom tatsächlichen Wahltag entfernt überhaupt sinnvoll ist, nach der Wahlabsicht zu fragen, ist zweifelhaft. Vor allem aber sind die veröffentlichten Zahlen nicht die sogenannten Rohdaten – also die Antworten der Befragten 1:1. Alle Institute „gewichten“ ihre Rohdaten. Die Forschungsgruppe Wahlen (FGW) macht das transparenter als andere. Sie unterscheidet zwischen „politischer Stimmung“ und ihrer „Projektion“. Die Formel für die Umrechnung gibt die FGW wie Spitzenköche ihre ganz speziellen Ingredienzen nicht bekannt.
So kommt es zustande, dass die FDP in der Stimmungsfrage zwei Prozent kriegt und in der Projektion vier. Das halte ich – höflich formuliert – für kühn. Bei der AfD rechnet die Geheimformel von sechs auf sieben hoch, bei der Union von 43 auf 41 runter, bei der SPD von 25 und bei den Grünen und Linken von jeweils neun gar nicht. Bei den anderen Instituten bleibt uns dieser Prozess verborgen, wir dürfen davon ausgehen, dass ganz verschiedene Faktoren dabei wirken. Einer von ihnen ist die Erfahrung der Institute mit zurückliegenden Umfragen und tatsächlichen Wahlergebnissen. Prognosen hier wie bei den Wirtschaftsinstituten haben den Geburtsfehler, dass sie die Linien von gestern ins morgen verlängern. Deshalb treffen sie nur in ruhigen Zeiten zu, in denen sich nichts von Bedeutung ändert. In einer solchen Zeit befinden wir uns offenkundig nicht.
Eine Stimmungsveränderung ermittelte die FGW bei der Frage nach der Verkraftbarkeit der Zuwanderung. Hier weichen die Antworten der Befragten vom dominierenden Tenor der Berichterstattung in den Meinungsführer-Medien ab.
51 Prozent verneinen das Merkel-Wort „wir schaffen das“ zum ersten Mal, 45 Prozent bejahen es. In der Grafik nicht sichtbar: Die Befragten mit Wahlabsicht Grüne stimmen Merkel zu 80 Prozent zu, mit Wahlabsicht Linke zu 55%, die mit Wahlabsicht Union zu 54 und mit Wahlabsicht SPD zu 53 Prozent – mit Wahlabsicht AfD zu 10%.
Nach dem Auftritt von Angela Merkel bei Anne Will haben sich die überregionalen Medien fast vollständig hinter die Kanzlerin gestellt. Am 23. Oktober gibt es das nächste ZDF-Politbarometer. Dann werden wir sehen, ob sich die veröffentlichte Meinung und die der Befragten wieder annähern oder weiter von einander entfernen.
Von der „Schweigespirale“ ein andermal: von der Frage, in welchem Umfang die Befragten antworten, was sie meinen, oder wovon sie denken, dass sie es meinen sollen.