Die Fünf Sterne-Bewegung und die Lega Nord führen seit Donnerstag letzter Woche Verhandlungen zur Regierungsbildung in Italien. Forza Italia will nicht in eine solche Regierung und sie im Parlament nicht unterstützen. Sterne-Chef Luigi Di Maio machte für ein Bündnis mit der Lega zur Bedingung, dass Berlusconi aus der Mitte-Rechts-Allianz der Lega ausscheidet.
Fünf-Sterne und Lega suchen einen Ministerpräsidenten. “Wir haben beträchtliche Schritte nach vorne in puncto Regierungschef und Ministerliste gemacht. Wir wollen Italien in kurzer Zeit eine politische Regierung geben”, sagten in einer gemeinsamen Presseerklärung Sterne-Chef Luigi di Maio und Lega-Vorsitzender Matteo Salvini. Präsident Sergio Mattarella baten die beiden um mehr Zeit, die kriegten sie.
Um die Gespräche zu erleichtern, erklärten die beiden Vorsitzenden ihren persönlichen Verzicht auf das Ministerpräsidentenamt. Mögliche Kandidaten sind die “Nummer zwei” der Lega, Giancarlo Giorgetti – für Fünf Sterne der Wirtschaftsexperte und frühere Leiter des Statistikamts Istat, Enrico Giovannini. Als dritten Kandidaten nennen Medien den Präsidenten des Staatsrates, den Sizilianer Alessandro Pajno.
Fünf Sterne und Lega wollen nach einem Entwurf für ein Koalitionspapier die EZB bitten, Italien Schulden von 250 Milliarden Euro zu erlassen. Neuverhandlungen von Italiens Beitrag zum EU-Budget und das Ende der Russlandsanktionen werden dort ebenfalls genannt. Und dass die EU Vorkehrungen treffen soll, die den Austritt aus der Währungsunion ermöglichen. Fünf Sterne und Lega sagen, dieser Entwurf vom 14. Mai sei überholt, der Euro werde nicht infrage gestellt.
Aber das sind alles Details und noch steht nicht fest, ob die Regierungsbildung zwei so entgegengesetzter Kräfte gelingt. Doch allein die Tatsache, dass sie als möglich gesehen und ernsthaft versucht wird, ist eine Novum, das nicht nur in Italien einen politischen Wendepunkt setzt, sondern noch viel mehr in der EU. Die Zeit der gewohnten Konstellationen und Wege ist vorbei.
Die EU-Kommission und die Regierungen in Paris wie Berlin schweigen tosend. Machen sie die Augen zu wie die Kinder und hoffen, dass es in Italien doch zu Neuwahlen kommt und die Sache damit ein paar Monate aufgeschoben wird? Oder haben sie noch gar nicht gemerkt, was sich hier abzeichnet? Dass beim Zustandekommen des Versuchs in Rom eine Regierung antritt, deren einzige wirkliche Gemeinsamkeit ist, die Politik der EU in zentralen Fragen abzulehnen? Ist Brüssel, Paris und Berlin nicht klar, dass sich daran nach Neuwahlen in Italien nur eines ändern kann, eine Verstärkung dieser Gemeinsamkeit von Fünf Sterne und Lega?
In der zweiten Jahreshälfte führt Österreich den Ratsvorsitz in der EU. Sebastian Kurz will weniger EU-Zentralismus. Damit ist er beileibe nicht allein. Und das kann mit und ohne Neuwahlen in Italien der Zeitraum sein, in dem den Brüsseler EU-Kurs nur noch Emmanuel Macron will und als sein Anhängsel Angela Merkel, sieht man vom Vorort Luxemburg ab. Wenn nicht alles täuscht, überschreitet die EU in Italien den Rubikon, allerdings in umgekehrter, in Fluchtrichtung: auf einem erzwungenen Rückzug.