Der Aufschrei in Deutschland ist gewaltig. Fast wie gleichgeschaltet fallen Politiker aller Couleur, Medien, Wirtschaftsverbände und selbsternannte Nahostexperten über US-Präsident Donald Trump her. Er hat es tatsächlich gewagt, den Iran-Deal aufzukündigen und damit Sanktionen gegen Teheran wieder zu aktivieren.
Vorgegangen wird nach einem altbewährten Grundsatz: es kann nicht sein, was nicht sein darf. Tatsachen werden nicht berücksichtigt, sie stören eher. Und niemand fällt auf, dass Berlin und Brüssel unversehens in einem Boot sitzt mit China, Erdogan und Putins Russland. Nicht gerade Aushängeschilder für Demokratie und Rechsstaatlichkeit. An Sanktionen gegen Russland wird beinhart festgehalten. Und was ist mit dem Iran?
Zur Erinnerung: Das Mullah-Regime hat 2017 mehr Todesstrafen aus vergleichsweise nichtigen Gründen vollzogen als jemals zuvor und ist der größte Unterstützer des internationalen Terrorismus, mitverantwortlich für das tägliche Töten in Syrien seit sieben Jahren mit mindestens 500.000 Opfern und elf Millionen Flüchtlingen. Iranische Truppen unterstützen Diktator Assad und haben ein umfangreiches Raketen-Arsenal aufgebaut, das auch Israels Zentren im Visier hat. Und Teheran liefert Waffen und Geld in den Libanon in einem Ausmaß, dass die Terrororganisation Hisbollah zum Staat im Staat gedeiht. Hamas, die andere Terrororganisation, hält seit 2007 den Gazastreifen im Würgegriff. Ohne die Hilfe des Iran wäre das alles nicht möglich. Wenn sich Israel gegen die Gefahren an seiner Grenze verteidigt, wird es als Aggressor an den Pranger gestellt oder zumindest der Überreaktion geziehen. Die regelmäßig wiederholte Drohung aus Teheran, Israel werde demnächst von der Landkarte getilgt werden, bietet für Brüssel und Berlin keinen erkennbaren Grund, sich um Israel zu sorgen. Der DIHK sorgt sich lieber um „das zarte (Iran-Geschäfts-)Pflänzchen, das sich da zuletzt entwickelt hat.“
Deutschlands Focus im Umgang mit Israel liegt eher in der Vergangenheit. Das offizielle Deutschland, Bund und Länder, bemühen sich redlich, alle Holocaust-Gedenktage regelmäßig zu pflegen. Am 27. Januar eines jeden Jahres wird im Bundestag der Opfer gedacht, kein Jahrestag der Befreiung eines Konzentrationslagers wird vergessen, Minister, Staatssekretäre pflegen den ersten Termin bei Israel-Besuchen: eine Kranzniederlegung in Yad Vashem, der Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem. Der dunkle Anzug, die schwarze Krawatte gehört zur Standard-Ausrüstung, wenn deutsche Politiker sich im Kondolenz-Buch mit den Worten verewigen: „Never again, so etwas darf nie wieder geschehen“.
Deutsche Politiker haben eine ausgeprägte Neigung für Holocaust-Gedenktage, hier bewegen sie sich auf sicherem Terrain, die eingeübte Körperhaltung mit verneigtem Haupt ist Teil ihrer Identität geworden. Und damit kein Zweifel besteht: das ist gut so und verdient Respekt. Kein anderes Volk hat seine jüngste, schamvolle Geschichte derart sorgfältig aufgearbeitet wie Deutschland nach dem 2. Weltkrieg. Und der Lernprozeß ist längst nicht abgeschlossen.
Kakophon wird das offizielle Deutschland, wenn es um die aktuelle Politik Israels und die Lage in Nahost geht. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat 2008 zum 60. Jahrestag der Neugründung Israels vor dem israelischen Parlament die hehren Worte gesprochen: Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson. In den Positionen der Bundesregierung zur aktuellen nahöstlichen Auseinandersetzung Iran inbegriffen ist davon wenig zu erkennen. Zum Glück ist Israel auf die Bundeswehr nicht angewiesen.
Israels Netanyahu demgegenüber am 30. April in Tel Aviv: „ich bin heute hier, um Ihnen zu zeigen, der Iran lügt“. Seit kurzem ist der Judenstaat im Besitz von 110.000 Seiten, die sich bis vor kurzem in einem schlichten Warenlager in Shorabad, einem südlichen Stadtteil von Teheran befanden. Nur einige Iraner wußten davon, jetzt haben auch einige Israeli Kenntnis und inzwischen auch die USA. Es wird Monate dauern, bis alle Details ans Licht der Öffentlichkeit gelangen. Netanyahu und US-Aussenminister Mike Pompeo, die die Unterlagen seit Januar sichten, sind sich sicher:
Diese Dokumente belegen, dass Teheran nach der Atommacht strebte und dieses Ziel nie aufgegeben hat. Tausende von Zentrifugen zur Herstellung von bombenfähigem Uran befinden sich nach wie vor tief unter der Erde im Norden des Irans. Geplant war und ist, die iranische Shahab-3-Rakete mit einem atomaren Sprengkopf auszustatten, der die fünffache Zerstörungskraft von Hiroshima besitzt. Damit will der Iran die Vorherrschaft im Nahen Osten erreichen, mit den Großmächten USA, Russland und China auf Augenhöhe verhandeln und zuallererst Israel als Land physisch zerstören – wie wiederholt angekündigt.
Diese Details sind inzwischen allen zugänglich, die am 30. April zugehört haben und nachlesen können. Aber für EU, Berlin und IAEA ist das kein Grund, zumindest nachdenklich zu werden und die Dokumente „made in Iran“ nachhaltig zu überprüfen, bevor endgültige Entscheidung getroffen werden.
Schnell ist man dagegen mit Kritik am ohnehin ungeliebten israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu bei der Hand: mit der „Geheimdienstshow“ wolle er von Korruptionsvorwürfen ablenken. Da kommt auch sehr gelegen, dass Palästinenserchef Abu Masen vor dem Nationalrat der PLO in Ramallah verkündigt: die Juden sind am Holocaust durch ihr „soziales Verhalten in Finanzangelegenheiten“ selbst schuld. Sie seien „Wucherer“.
Zwar kritisierten EU und Außenminister Heiko Maas den Vorsitzenden der PLO, aber sie sehen partout keinen Zusammenhang. Abu Masen hat seine Rede am gleichen Tag gehalten, an dem Netanyahu Beweise dafür vorlegte, dass der Iran auch nach 2015 alles unternimmt, um in den Besitz der A-Bombe zu kommen. Zufall? Der Palästinenserchef hat sich vier Tage danach in einer schriftlichen Stellungnahme für seine antisemitische Äußerung entschuldigt. Wie schon so oft – natürlich in englischer Sprache, aber nicht in arabischer.
Godel Rosenberg lebt seit 20 Jahren in Israel, davor 50 Jahre in München, war 10 Jahre (1978 – 88) Pressesprecher von Franz Josef Strauß und Repräsentant der Daimler AG in Israel, PNA und Jordanien (1998-2009).