Braunschweig war die erste Station für den neuen Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung. Jedenfalls erwähnt die Braunschweiger Zeitung in ihrer Samstagsausgabe nicht ohne Stolz, dass Felix Klein seinen ersten öffentlichen Auftritt an der Oker hatte. Genau dort, wo der Österreicher Adolf Hitler einst eingebürgert wurde. Davon aber weiß der neue Beauftragte nichts: „Ausgerechnet, das wusste ich nicht.“ Klein war bisher Sonderbeauftragter für Beziehungen zu jüdischen Organisationen und Antisemitismusfragen im Auswärtigen Amt, ist also kein Quereinsteiger.
Auf der Titelseite stellt die Braunschweiger Zeitung das Interview im Inneren vor. Die Überschrift des mehrzeiligen Teasers lautet: „Judenhass ist nicht importiert.“ Und der Artikel im Inneren beginnt mit dem Satz: „Der neue Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, kritisiert die AfD. Die Partei habe dazu beigetragen, dass der Judenhass in Deutschland unverhohlener geworden sei.“ An anderer Stelle hatte Klein der AfD bereits vorgeworfen, den Erinnerungskonsens aufzukündigen.
Das ist ein deutlicher Einstieg des neuen Beauftragten. Noch deutlicher, wenn immerhin ein von der Bundesregierung angeregter unabhängiger Expertenkreis Antisemitismus eben diese Kriminalstatistik in Frage stellt und damit die „Gefühlslage“ der Juden in Deutschland zu dem macht, was sie auch sein könnte oder in Wahrheit ist: eine echte Bedrohungslage und keine gefühlte. Dann, wenn der Expertenkreis befindet, dass fremdenfeindliche und antisemitische Straftaten generell immer dann dem Phänomenbereich „Politisch motivierte Kriminalität Rechts“ zugeordnet werden, „wenn keine weiteren Spezifika erkennbar“ und „keine Tatverdächtigen bekannt geworden sind“.
Weitere Stimmen widersprechen Klein. So bemängelt der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, gegenüber der Augsburger Allgemeinen explizit die genannte Statistik: „An der Art, wie diese Straftaten bisher erfasst werden, sind erhebliche Zweifel angebracht.“ Es sei von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, was von Muslimen begangene antisemitische Taten betrifft.
Aber die Braunschweiger Zeitung belässt es nicht bei Teaser und AfD-Bezug im Einleitungssatz zum Artikel. Als Nachricht im räumlichen Kontext zum Interview wird von einer 89Jährigen Holocaust-Leugnerin berichtet, die ihre Haftstrafe in der JVA nicht angetreten hat, und die Samstagskarikatur sieht folgendermaßen aus: Eine Tür mit Aufschrift „Flüchtlingsheim Ellwangen“ und davor ein Präsentkorb „Liebe Asylbewerber, wir danken Euch, macht weiter so! Herzlich Eure AfD.“ Ist das witzig? Wäre es vielleicht noch witziger, wenn da gestanden hätte: „Liebe antisemitische Asylbewerber …“? Offensichtlich ist es zu Klein wie zu den Redakteuren noch nicht durchgedrungen: Die europäische Rechte ist seit Jahren auf Pro-Israelkurs.
Nun ist die Braunschweiger Zeitung als Tageszeitung in etwa so auflagenstark wie der Spiegel. Von Wolfsburg über Salzgitter bis Wolfenbüttel wird die Region mit individualisierten Ausgaben nach Baukastensystem bedient. Die aktuelle Spiegel-Ausgabe hatte zwar nicht Felix Klein zum Gespräch, dafür stellte sich Günter Morsch über drei Seiten einem Interview. Der 65Jährige Historiker ist Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen. Vom Spiegel auf Mobbing gegen jüdische Schüler angesprochen, den Gürtelangriff auf Kippaträger, Übergriffe, die eine neue Antisemitismusdebatte ausgelöst hätten, antwortet Morsch: „Wir hatten nach der Einheit schon einen massiven Schub an Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus …“ Und er erinnert an eine Reihe antisemitischer Straftaten von Rechts. Die hat es nun zweifellos gegeben. Und sicher gab es in der DDR einen Mangel an Aufklärung, denn was es nicht geben durfte, wurde nicht öffentlich. Aber was haben diese Vorfälle mit den Auslösern dieser neuen Antisemitismus-Debatte zu tun? Der Debatte über einen importierten Antisemitismus von Muslimen?
Aber Morsch dreht die Schraube einfach weiter in die verkehrte Richtung: „Die Flüchtlingskrise ist wie ein Ventil für die Aversionen gegen alles, was die moderne, offene, tolerante, freiheitliche Gesellschaft ausmacht.“ Also Aversionen von Rechts. Darf man das? Auf diese Weise die besondere Verantwortung Deutschlands am Wohlergehen der Juden instrumentalisieren? Die Verleugnung von importiertem Antisemitismus in Deutschland als Pendant zur Verleugnung eines rechten Antisemitismus in der ehemaligen DDR? Frei nach dem Motto: Was nicht sein darf, gibt es auch nicht?
Morsch erinnert daran, Umfragen hätten ergeben, dass 15-20 Prozent in Deutschland Antisemiten seien. Und die Hemmungen diesen Antisemitismus auch zu äußern, hätte nachgelassen. Hat Morsch einmal nachgeforscht, welche Bevölkerungsteile hier genau gemeint sein könnten?
„Es hilft nichts, jetzt mit dem Finger auf Syrer zu zeigen. Die antisemitischen Bilder, die sie im Kopf haben, sind dem schon sehr ähnlich, was auch Deutsche als Antisemiten kennzeichnet.“, meint Historiker Morsch. Aber was bitte soll das für eine Handlungsanweisung sein? Es hilft nichts, mit dem Finger auf Syrer zu zeigen? Das muss man sich einmal vor Augen führen: importierter Antisemitismus stößt eine Antisemitismus-Debatte an, ein Beauftragter nimmt seine Arbeit auf, der importierte Antisemitismus darf dann aber getrost wegfallen, weil die Rechten, weil die AfD eine willkommene Projektionsfläche für Antisemitismus bieten, die durch nichts getrübt werden darf?
Zum Schluss dann noch die Bitte von Morsch, doch mehr finanzielle Mittel zu bekommen. Und in Richtung von AfD-Parlamentariern, die sich für einen Besuch in der KZ-Gedenkstelle angemeldet haben, lautet seine Botschaft via Spiegel-Interview: „…wir haben mit unseren Guides besprochen, dass es klare Linien gibt und wir bei Überschreitungen vom Hausrecht Gebrauch machen.“ Morsch unterstellt den AfD-Abgeordneten hier nicht weniger Potenzial als jenes: „Geschichte zu leugnen, Verbrechen zu relativieren, Sachsenhausen zu relativieren, indem man etwa nur auf das sowjetische Speziallager abhebt, das hier von 1945 bis 1950 bestand.“ Aber auf was hebt Morsch eigentlich ab?
Zwei Zeitungen, zwei Interviewpartner: Der eine hat sein Amt gerade angetreten, der andere geht in Kürze in Ruhestand. Beiden gemeinsam ist leider die eklatante Verweigerung, eingewanderten Antisemitismus von Muslimen in Deutschland bekämpfen zu wollen. Zuwanderer dürfen nicht kritisiert werden, denn damit macht man das Geschäft der AfD. Da muss man Prioritäten setzen. Auf Kosten der jüdischen Gemeinde in Deutschland?