Aha, die Bundesregierung zeigt sich also verärgert darüber, dass Machthaber Baschar al-Assad in einem neuen „Dekret 10“ den syrischen Staat ermächtigt, für zerstörte Gebiete Bebauungspläne zu erstellen. Bisherige Grundbesitzer müssten danach innerhalb von 30 Tagen Eigentumsrechte nachweisen. Erscheint niemand beim Katasteramt, fällt das Eigentum an den Staat.
Nun hatte Jakob Kern, Leiter des UN-Welternährungsprogramms am Rande der Syrien Geberkonferenz gerade die Einschätzung abgegeben, dass die nach Deutschland geflüchteten Syrer sowieso so bald nicht wieder in ihre Heimat zurückkehren könnten. Grund dafür seien annährend sechs Millionen Binnenvertriebene. Selbst wenn die Häuser noch stehen, dann lebe wahrscheinlich jemand anderes darin, so Kern. Ebenso bestätigte Kern, dass die Frage der Besitzrechte ein großes Problem sei.
Und Günther Grass schreibt in seiner Autobiografie „Die Häutung der Zwiebel“: „Dieser Zwang war üblich, denn freiwillig wurden Flüchtlinge und Vertriebenen selten aufgenommen. Besonders dort, wo keine Schäden sichtbar waren, Haus, Stall und Scheune wie unbekümmert auf Erbrecht fußten, zudem keinem Bauernschädel ein Haar gekrümmt worden war, verweigerte man die Einsicht, den siegreich bejubelten Krieg gemeinsam mit den Geschädigten verloren zu haben. Nur weil von der Behörde gezwungen, hatte der Besitzer des Hofes meinen Eltern den zweigeteilten Raum mit Betonfußboden überlassen: eine ehemalige Futterküche für Schweinemast.“
Das Auswärtige Amt des Heiko Maas bzw. die Bundesregierung hat nun also zutiefst verärgert auf die jüngsten Pläne des syrischen Machthabers reagiert: „Mit großer Sorge sehen wir Versuche des Assad-Regimes, mittels fadenscheiniger gesetzlicher Regelungen die Eigentumsrechte vieler geflüchteter Syrerinnen und Syrer infrage zu stellen“, erfuhr die „Süddeutsche Zeitung“.
Perfide wäre dieses Vorhaben. Die Bundesregierung verlangt gar, dass sich auch die Vereinten Nationen und der UN-Sicherheitsrat des Themas annehmen. Assad würde „Eigentum zur Waffe machen.“ Nun könnte es dem Machthaber möglicherweise auch darum gehen, zunächst einmal die Millionen Obdachlosen unterzubringen, die entwurzelten Binnenflüchtlinge in Syrien, von denen auch der Leiter des UN-Welternährungsprogramms berichtet. Und wenn sich die Bundesregierung nun sorgt, ihrer syrischen Zuwanderer nie mehr los zu werden, ist das zu kurz gedacht. Denn ebenso könnte man behaupten, dass durch diese Obdachgabe Assads weitere Flüchtlingsbewegungen ausbleiben werden. Möglicherweise kämen sonst auch Teile dieser Binnenflüchtlinge auf die Idee, sich auf den Weg zu machen.
Erstaunlich übrigens auch die Kritik der Vereinten Nationen daran, das Assad ein Vetorecht bei der Verteilung humanitärer Hilfe besitze, wenn gleichzeitig festgestellt wird, wie der Spiegel berichtete, das Assad so „in den vergangenen Jahren mehrere von Rebellen kontrollierte Gebiete zurückerobert“ hätte. Was heißt das denn im Umkehrschluss? Das käme doch dem Eingeständnis gleich, das diese humanitäre Hilfe den Rebellen zu gute käme. Die eiskalte Logik kriegerischer Auseinandersetzungen spricht hier also für Assads Steuerung dieser Hilfen.
Das Dekret 10 soll vor allem die Ex-Hochburgen der Rebellen betreffen. Glaubt man nun allerdings den Fernsehbildern des Westens, sind diese Orte völlig zerstört. Wo bitte sollen dann Menschen angesiedelt werden? Wenn dort also nur noch wenige Häuser bewohnbar wären, wird hier ernsthaft angenommen, dieser knappe Wohnraum oder verlassenes bebauenswertes Grundeigentum würde von Assad reserviert werden für möglicherweise irgendwann aus Europa heimkehrende Besitzer, während an Ort und Stelle ausharrende Binnenflüchtlinge weiter unter freiem Himmel campieren? Vor diesem Hintergrund mutet es schon äußerst merkwürdig an, hier von „einem gigantischen Landraub“ Assads zu sprechen. Oder von Seiten der Bundesregierung gar zu behaupten, mit dieser Entscheidungen verhindere das Regime jeden Versuch einer Versöhnung und eines Kompromisses. Das Regime wird aktuell kaum an „Versöhnung oder Kompromisse“ denken, es kämpft ums nackte Überleben.
Übrigens, das Auswärtige Amt und die Bundesregierung haben es bisher unterlassen, in der „Syrienfrage“ diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die sie insbesondere angeht: die Syrer in Deutschland. Das Ergebnis einer solchen Befragung, so sie anonym veranstaltet werden würde, könnte verstörend wirken, wenn eine Zustimmung der „Flüchtlinge” zu Assad jener der hier lebender Türken für Erdogan entspräche. „Flüchtlinge”, weil Syrer, die vor Assad, vor dem Kriegsdienst, vor dem IS, vor Bombadierungen aus der Luft, vor den Rebellen, den Kurden, den Türken usw. geflohen sind, „Flüchtlinge” sind, unabhängig davon, ob sie auf dem Weg nach Deutschland mehrere Grenzen überschritten und somit ebenfalls zu Immigranten wurden. Das allerdings ist eine andere Debatte.