Nehmen wir nur mal das Redaktionsnetzwerk Deutschland der Madsack-Gruppe. Das stellte seinen angeschlossenen Redaktionen gestern einen Text zur „Syrien-Konferenz“ in Brüssel zur Verfügung, mit folgendem Einstieg: „Heiko Maas ging mit gutem Beispiel voran. Der zweite Tag der Brüsseler Syrien-Konferenz hatte am Mittwoch noch gar nicht begonnen, da legte der Bundesaußenminister schon mal eine Milliarde Euro auf den Tisch.“
Was nun so sportlich klingt, als wäre der Klassenprimus im Unterricht aufgestanden und hätte freiwillig einhundert Kniebeugen gemacht, ist zunächst einmal Ergebnis einer nüchternen Rechenaufgabe, die David Beasley, Chef des Welternährungsprogramms fast erpresserisch klingend Richtung Deutschland formuliert hatte: „Es kostet uns 50 Cent am Tag, einen Syrer in Syrien oder der Region zu ernähren. Wenn dieser Syrer aber nach Deutschland flüchtet und dort untergebracht und versorgt werden muss, koste dies rund 50 Euro pro Tag.“ Er meinte natürlich „kostet es Deutschland 50 Euro pro Tag.“
Wo diese Fünfzig-Cent-Berechnung herkommt, erklärt das ZDF, das berichtete, das Welternährungsprogramm (WFP) hätte für die Versorgung von drei der sechs Millionen Syrer außerhalb Syriens ein Budget von 900 Millionen US-Dollar pro Jahr veranschlagt. Das wären 300 Dollar pro Person und Jahr. Also geringfügig mehr, als die benannten 50 Cent pro Tag. Wo und wie die restlichen drei Millionen Syrer versorgt werden, wird nicht explizit genannt. Werden vom Welternährungsprogramm auch Syrer in der Türkei versorgt? Aber was passiert dann mit den drei Milliarden, die im Zuge des Türkei-Deals an Erdogan gezahlt werden? Etwas mehr als zwanzig Millionen Syrer lebten vor den Kampfhandlungen in Syrien.
Jakob Kern, Leiter des UN-Welternährungsprogramms spricht von dreizehn Millionen Syrern, die momentan in Syrien auf humanitäre Hilfe angewiesen seien. Denn in friedlicheren Gebieten des Landes gäbe es Flüchtlingslager, wo sich Binnenvertriebene sammeln würden, die aus den umkämpften Gebieten geflüchtet seien. Auch diese Menschen werden, so weit das möglich ist, versorgt. Kern berichtet außerdem, dass Einkäufe von Versorgungsgütern eine Vorlaufzeit von vier Monate hätten. Wissen Sie das, Herr Maas?
Interessant auch eine weitere Einschätzung Kerns, die wenig Hoffnung darauf macht, dass die nach Deutschland geflüchteten Syrer bald wieder in ihre Heimat zurückkehren könnten: „Sehr bald sicher nicht. Schon gar nicht bei sechs Millionen Binnenvertriebenen. Selbst wenn die Häuser noch stehen, dann lebt wahrscheinlich jemand anderes darin. Die Frage der Besitzrechte ist ein großes Problem.“ Nun bestätigt Kern auch, dass Assads Administration intakt sei. „In Syrien gibt es eine funktionierende Verwaltung.“ Und mit der müsse man zusammenarbeiten, wenn man also Unterstützung bei der Versorgung der Binnenflüchtlinge anbieten würde.
Kern berichtet, er sei vor einiger Zeit von Qamishli im kurdischen Nordosten nach Aleppo gefahren. Auf dem Weg sah er russische und amerikanische Soldaten, Hilfstruppen aus dem Iran und der Türkei sowie örtliche syrische und kurdische Gruppen. „Das alles innerhalb von acht Stunden.“ Das sage doch schon alles, ergänzt der Leiter des UN-Welternährungsprogramm und will damit verdeutlichen, dass es sich hier längst um keinen regionalen Konflikt handelt. Aber das bestreitet auch niemand. Diese Aussage stützt nur die Verpflichtung hinter der humanitären Hilfe der internationalen Organisation.
Heiko Maas hat also in Brüssel eine deutsche Milliarde für das Welternährungsprogramm der UN auf den Tisch gelegt. Im Juli sollen weitere 300 Millionen hinzukommen. Im Vorjahr waren insgesamt sieben Milliarden zusammengekommen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Hilfsgelder sowohl von der EU wie der UN laut EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini nicht als „Blankoscheck“ verstanden werden sollen. Die Hilfe ist also an politische Bedingungen geknüpft, an die Erwartung eines demokratischen und vereinten Syriens. Also an eines ohne Assad? Oder, Herr Maas?
„Wir können nicht einfach aufbauen, wenn nicht der Frieden einigermaßen gesichert ist und das Risiko besteht, dass das, was wir gerade aufgebaut haben, gleich wieder zerstört wird.“
Nun sind das Welternährungsprogramm (WFP) sowie das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) Generalunternehmen, die zwar Flüchtlingslager aufbauen, dann aber für dessen Bewirtschaftung wieder andere Hilfsorganisationen als Subunternehmer verpflichten müssen. Hier kommen dann wieder Nichtregierungsorganisationen (NGO) zum Einsatz, die wiederum jede für sich eine ganz eigene politische Agenda verfolgen. Kennen Sie die alle, Herr Maas?
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete beispielsweise 2011 aus Kenia, aus dem damals größten Flüchtlingslager der Welt, das vom UNHCR gemanagt wird, das alleine dort zwanzig Hilfsorganisationen tätig wären, die ihrerseits wiederum etliche lokale Organisationen verpflichtet hätte, die eigentliche Arbeit zu erledigen. Und die Zeitung kam damals zu einem wirklich deprimierenden Schluss: „Diese Praxis geht soweit, dass ein einziges Hilfsprojekt bis zu sieben Mal delegiert wird, wobei jedes Mal Gebühren einbehalten werden. Das führt im Extremfall dazu, dass von der ursprünglich vorgesehen Summe bestenfalls 10 bis 20 Prozent tatsächlich ankommen.“