Andrea Nahles will und soll die SPD erneuern. Das heißt aber nichts anderes, als dass sie die SPD wieder attraktiver für jene zehn Millionen Wähler machen soll, die die Partei seit 1998 verloren hat. Doch das wird nicht so einfach sein, wie manche Parteitheoretiker sich das vorstellen. Denn die neue SPD-Vorsitzende tritt gleich mit mehreren Handikaps ihr neues Amt an.
Handikap Nr. 1: Die Zerstrittenheit der Partei
Die bescheidenen 66,35 Prozent, mit denen Nahles gewählt wurden, spiegeln die Zerrissenheit der Partei wider. Man hätte sich vorstellen können, dass ein Teil der Delegierten Nahles mit der Faust in der Tasche wählt, um der Partei zu helfen, ein Zeichen der Geschlossenheit zu setzen. Doch ein Drittel der Delegierten wollten lieber der Partei schaden, als der neuen Spitzenfrau zu einem guten Start verhelfen. Soviel zur innerparteilichen Solidarität.
Handikap Nr. 2: Es drohen Richtungskämpfe
Die Partei-Linke, überwiegend deckungsgleich mit den GroKo-Gegnern, wird nichts unversucht lassen, die Partei programmatisch nach links zu rücken: höhere Steuern, höhere Sozialausgaben, höhere Schulden, in Europa mehr „Transferunion“, näher bei Moskau als bei Washington. Dies wird zu heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen führen. Politische Feuilletonisten werden dann die Streitkultur der SPD loben. Aber noch mehr Wähler werden sich abwenden. Denn nichts schätzen die Bürger weniger als zerstrittene Parteien.
Handikap Nr.3: Die Partei steht links von ihren Wählern
Die potentiellen Wähler der SPD sind links von der Mitte zu verorten, die Parteimitglieder stehen jedoch links von ihren Wählern und die Funktionäre links von der Basis. Bei dieser Gemengelage agiert die Partei an ihrem Wählerpotential vorbei. Diesen Widerspruch kann ein starker Spitzenmann, wie Gerhard Schröder es war, kraft seiner persönlichen Ausstrahlung überbrücken. Nahles kann das aber nicht.
Handikap Nr. 4: Die SPD überlässt die Hartz IV-Dividende der Union
Gerhard Schröder hat mit der Steuerreform im Jahr 2000 und der „Agenda 2010“ im Jahr 2003 getan, was notwendig war, um der stagnierenden Wirtschaft wieder neuen Schwung zu verleihen. Weil Schröder seine Politik mit einem kräftigen „Basta“ durchsetzen wollte, statt sie gerade den SPD-Wählern zu erklären, hat das viele Stimmen gekostet. Die SPD hat sich bis heute nicht mit dem damaligen Kurswechsel abgefunden. Die groteske Folge: Die „Hartz IV-Dividende“ in Form einer Rekordbeschäftigung wird von der CDU/CSU kassiert. Doch die SPD-Linke hat immer noch nicht begriffen, dass das Prinzip des „Forderns und Förderns“ den meisten Menschen mehr einleuchtet als Gedankenspiele über ein Grundeinkommen in den Varianten solidarisch, bedingungslos oder sanktionsarm. Mit solchen Spielereien lassen sich Seminare bestreiten, aber keine Wähler begeistern.
Handikap Nr. 5: Die SPD laviert beim Thema Zuwanderung
Die mit dem unkontrollierten Zustrom von etwa 1,5 Millionen Migranten einhergehende Verunsicherung betrifft die „kleinen Leute“ mehr als diejenigen, die auf keine Sozialwohnung warten und ihre Kinder in Schulen schicken, in denen die deutschen Kinder keine Minderheit bilden. Doch bei diesem Thema geben in der SPD unverändert linke Ideologen den Ton an und nicht die pragmatischen und deshalb sehr kritischen Kommunalpolitiker. Man hat den Eindruck, die SPD freue sich geradezu auf einen Koalitionskrach bei Thema Familiennachzug. Da stehen die meisten SPD-Anhänger aber Seehofer näher als sozialdemokratischen Gutmenschen – sofern sie nicht bereits zur AfD abgewandert sind.
Handikap Nr. 6: Nahles begeistert niemanden
Die neue Vorsitzende ist eine gewiefte Politikerin. Sie beherrscht alle Machttechniken, weiß Bündnisse zu schmieden und Seilschaften zu nutzen. Aber beim breiten Publikum ist sie der Inbegriff einer Parteifunktionärin, die als Erwachsene keinen einzigen Tag außerhalb der Politik verbracht hat. Zudem wirkt sie mit ihren infantilen Ausbrüchen à la „Bätschi“, „Kacke“ und „in die Fresse“ nicht seriös. Dennoch: Sie war für die SPD jetzt die beste Lösung. Was eigentlich alles sagt.
Fazit:
Andrea Nahles ist die Vorsitzende einer Partei, die unverändert die „Beschlusslage“ für wichtiger hält als die Wirklichkeit. So etwas geht in der Wirklichkeit selten gut.