Tichys Einblick
"Es geht um Freiheit und Demokratie"

DER SPIEGEL Nr. 17 – Wer rettet den Westen?

Die Karikatur von Patrick Chappatte zeigt den echten Präsidenten: mit der En-Marche-Fahne im Laufschritt an den Streikenden vorbei, nur dass Macon auf einem Laufband auf der Stelle läuft.

Oh je, oh je! Wieder einmal geht im Spiegel die zivilisierte Welt unter. Unter dem irrlichternden Donald Trump, so die These, die es für den Spiegel zu bearbeiten gilt, sei die Welt ein gefährlicher Ort geworden. Der französische Präsident Macron brauche dringend Hilfe, um das Weltenfeuer zu löschen, doch Deutschland versage durch den Rückzug in eine außenpolitische Nische. Dabei wäre das Problem doch laut Spiegel einfach zu lösen: Angela Merkel und Olaf Scholz müssten sich einen Ruck geben und die EU mit deutschem Geld fluten, damit Macrons Pläne umgesetzt werden könnten. Mir erschließt sich nicht, warum der ESM in einen EU-Währungsfonds umbauen soll. Und warum das derart hoch gespielt wird. Aber Macron sieht halt gut aus, glänzt mit eleganten Wortspielen wie: Die Antwort auf die – wie er es ausdrückt – „illiberale Faszination“ sei „nicht die autoritäre Demokratie, sondern Autorität durch Demokratie.“

In der Titelgeschichte „An der Seitenlinie“ breiten sich Julia Amalie Heyer und acht Kollegen zwar lang, breit und schwärmerisch über Macron aus, der als Leuchtturm ganz im Gegensatz zum drögen deutschen Politalltag zu stehen scheint. Was ich massiv vermisse, ist eine Einordnung aus der Wissenschaft oder Einschätzungen anderer europäischer Regierungen zu Macrons Ideen. Europa ist mehr als Macron und Merkel. Zudem ist Frankreichs Präsident zurzeit ganz anders gefordert. Man muss sich bis Seite 93 der aktuellen Ausgabe vor-lesen, bis man auf eine Karikatur von Patrick Chappatte stößt, die sein derzeitige Situation realistisch zusammenfasst: mit der En-Marche-Fahne in der Hand im Laufschritt an den Streikenden vorbei, nur dass Macon auf einem Laufband auf der Stelle läuft.

Laut aktueller Focus-Ausgabe in dieser Woche hat künftig die Nation das Sagen, die über die beste KI verfügt. Statt Geld in einen Europäischen Währungsfonds zu stecken, sollte man in die Zukunft investieren: mit einem europäischen Zentrum für Künstliche Intelligenz und einer gemeinsamen Cyber-Abwehr.

Mit „Uiuiui“ von Veit Medick stimmt der Spiegel auf die Zeit ein, wenn Andrea Nahles in der SPD das Sagen hat. Ob damit die Chancen auf eine Wiederauferstehung der SPD zunehmen, wissen die Hamburger auch nicht
Horst Seehofer kündigt im Interview „Ich bin für mehr Härte“ einiges an, von dem er vermutlich wieder nur einen Bruchteil umsetzen kann.

In „Eine unheilvolle Allianz“ berichten Frank Dohmen, Simon Hage und Martin Hesse über Verstrickungen des Autozulieferers Bosch in den Dieselskandal. Wenn man sich vor Augen hält, dass in der Dieselfertigung weltweit Bosch der tonangebende Zulieferer ist, dann wundert es nicht. VW habe, so berichten die Autoren, von einer Monopolstellung des Bosch-Konzerns gesprochen und die Kartellbehörden zu Untersuchungen aufgefordert.

Markus Brauck präsentiert mit „Die Digitalisierung bedroht alles, was ist“ ein lesenswertes Interview mit dem Philosophen Richard David Precht über die Visionen des Silicon Valley, die digitale Gesellschaft und Zukunftsangst.

An Julian Reichelt, seit Februar 2017 Vorsitzender der Bild-Chefredaktionen und Chefredakteur Digital der Bild, scheiden sich die Geister. Jung, meinungsstark und streitlustig, versiert auf der Klaviatur der sozialen Medien spielend, sticht er aus der Riege der Damen und Herren in den Chefredaktionen markant hervor und hat Bild herausgeholt aus dem Abdriften in ein Mainstreammedium. Als Typus zeigt er, wie das virtuose Spiel der verschiedenen Medien heute gespielt werden muss, um auf allen Kanälen unverwechselbar wahrgenommen zu werden. Das wirkt: Kein Chefredakteur ist zurzeit in andere Medien gefragter. Das als solches ist keine Qualität, erst recht nicht unter Beachtung der Phantasielosigkeit der Talkshowredaktionen bei der Besetzung der Gästerunden. Reichelt ist Journalist durch und durch, in einer Komplettheit, die andere Redaktionen sich wünschen würden. Isabell Hülsen und Alexander Kühn haben sich an seine Fersen geheftet. Herausgekommen ist das lesenswerte Portrait „Im Stahlgewitter“.

Verzaubert hat mich die Leseprobe aus Hans Magnus Enzensbergers „Überlebenskünstler – 99 literarische Vignetten aus dem 20. Jahrhundert“. Darin geht Enzensberger der Frage nach, wie viele Kompromisse nötig waren, um als Schriftsteller im 20. Jahrhundert zu überleben. Der Spiegel hat vier der ausdrücklich subjektiven Portraits (Ricarda Huch, Curzio Malaparte, Gustav Regler, Nadeschda Mandelstam) „von Glückssuchern, Taumelnden und Helden“ für den Vorabdruck ausgewählt („Überlebenskünstler“).

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