Justizministerin Barley: Frontalangriff auf Meinungsfreiheit und Pluralismus
Alexander Wallasch
Wer wie Barley im digitalen Zeitalter eine „Pluralismus-Pflicht“ fordert, der hat das Gegenteil im Sinn: Der will den polit-medialen Komplex entscheiden lassen, was zum Pluralismus gehört und vor allem was nicht. Mit der Freiheit wäre es dann ganz vorbei.
Das Justizministerium in der Berliner Mohrenstraße 37 gehört auch nach dem Wechsel von Heiko Maas ins Außenministerium und bezogen auf das Demokratieverständnis, weiterhin zu den außerordentlich kontaminierten Institutionen der Regierungshauptstadt. Denn was Katarina Barley, SPD-Nachfolgerin des saarländischen Sozialdemokraten, gerade auf einer öffentlichen Veranstaltung äußerte, gibt Anlass zu ernsthafter Sorge.
Eine Forderung, die doch auf jeden noch einigermaßen Geistesgegenwärtigen verstörend wirken muss. Dann, wenn man davon ausgehen darf, dass die leidvollen Erfahrungen aus Nationalsozialismus und DDR-Diktatur ausreichend im deutschen Kollektivgedächtnis eingegraben sind. Was die Justizministerin da vorschlägt – so etwas muss man sich erst einmal trauen, überhaupt öffentlich zu äußern.
Nun ist man von etablierten Machtstrukturen in Demokratien mittlerweile einiges gewöhnt, aber hier ist eine Steigerung in einer Wucht erkennbar, mit der das Justizministerium den von Heiko Maas gesetzten Frontalkurs gegen das demokratische Wertesystem noch einmal eskaliert. Eine tatsächlich einmal sprachlos machende Entwicklung. Eine, die man ohne Übertreibung als direkte Kampfansage gegen die außerparlamentarische Opposition bezeichnen darf. Eine Eskalation in atemberaubender Geschwindigkeit und in Kontinuität von Maas hinüber zu Barley.
Denn wer wie Barley im digitalen Zeitalter eine „Pluralismus-Pflicht“ fordert, der muss etwas anderes im Sinn haben, stehen doch die mit der Digitalisierung einhergehenden Veränderungen im besonderen Maße für eben das: Einen Meinungspluralismus, wie es ihn zuvor nie gegeben hat. Einen, der die mit dem politischen System der Bundesrepublik eng verwobenen etablierten Medien auf besondere Weise herausgefordert hat. Nie zuvor war die Opposition so meinungsstark aufgestellt. Das System einer Opposition nach Leitmedien-Gnaden hat ausgedient. Eine Vielzahl regierungskritischer Publikationen findet in den sozialen Netzwerken und zunehmend auch an den Kiosken in Printformat ihr Publikum. Selten zuvor wurden die Machtzentralen der Republik so in Alarmbereitschaft versetzt wie in den vergangenen Jahren.
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) war der bisher stärkste Angriff der Regierung gegen ihre Kritiker. Immer klarer wird: Hier geht es nicht zuerst um einen effektiven Filter gegen gesetzeswidrige Beleidigungen, sondern um umfassende Kontrolle einer sich formierenden Fundamentalopposition. Der Einzug der AfD in den Bundestag hat diese Hysterie sogar noch verstärkt, als klar wurde, dass die leitmediale Diffamierung und Diskreditierung beispielsweise zuwanderungskritischer oppositioneller Stimmen nicht die erwünschte sofortige Wirkung zeigte: Die kritisierten Bürger waren nicht mundtot zu bekommen, sie wandten sich einfach von diesen sie bevormundenden Medien ab, anstatt mit ihnen in ein streng von den Medien kontrollierten Zustimmungs-Ping-Pong zu gehen.
Unter diesen besonderen Gesichtspunkten wird erst klar, wie geradezu zynisch die Forderung der neuen Justizministerin nach einer „Pluralismus-Pflicht“ ist, wo gerade die sozialen Medien zu hoch wirksamen Reparaturfabriken eines herabgewirtschafteten Meinungspluralismus geworden sind, wenn wir unter Pluralismus den Umstand verstehen, dass in einer politischen Gemeinschaft eine Vielfalt von gesellschaftlichen Kräften eine Rolle spielt und ihre Stimme erheben kann.
Aber Katarina Barley macht auch klar, um was es ihr wirklich geht, um Themen wie „Flüchtlinge und Geschlechterdiskussion.“ Sie sagt Pluralismus und meint im gleichem Atemzug eine Einschränkung des selbigen, wenn sie dort, wo sich endlich einmal starke oppositionelle Stimmen formieren, per Gesetz den etablierten Medien unangreifbare Räume verschaffen will. Ausgerechnet jenen Medien, die sich mit dem politischen Berlin auf eine Weise arrangiert haben, die Pluralismus erst gefährdet. Oder um es mit den Worten eines der Big Player dieser etablierten Medien zu sagen: „… ohne Not haben wir uns wieder dem Verdacht ausgesetzt, wir würden mit den Mächtigen unter einer Decke stecken, wir würden so uniform berichten, als seien wir gesteuert.“Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der ZEIT forderte deshalb im Januar 2017 explizit eine Rückkehr zu journalistischen Tugenden wie „Genauigkeit, Distanz und Glaubwürdigkeit“ – hat er es inzwischen wieder vergessen (müssen)?
Passiert ist indes: nichts. Im Gegenteil: Nun ist die Bundesjustizministerin angetreten, diese in den sozialen Medien weitestgehend geächtete „kritiklose Übernahme“ der Haltung der etablierten Parteien durch die Leitmedien per Gesetz in diesem für die Demokratie so immanent wichtigen oppositionellen digitalen Schutzraum implantieren zu wollen. Die Panik übrigens in diesem blinden Aktionismus belegt auf unabsichtliche Weise: Ein Schutzraum im besten pluralistischen Sinne.
Vorstellbar ist, so Barley, ein „Pluralismusgebot“. Als Vorbild nannte die Ministerin „die Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die zur Einrichtung von Fernsehräten geführt hat.“ Damit ist die Katze dann aus dem Sack. Und man darf dankbar sein, dass Barley es so offen äußerte, so selbstüberzeugt und beseelt davon, Gutes zu denken: Das von Skandalen rund um massiven Datenmissbrauch erschütterte und geschwächte Facebook beispielsweise soll nun zu nicht weniger genötigt werden, als dazu, dem Nutzer per Algorithmen regierungskonforme leitmediale Texte in seine Timeline einzuspielen. Der User soll penetriert werden mit Informationen, von denen er sich aber gerade erst angewidert abgewandt hat. Die Social Media-Unternehmen sollen nun Funktionsweisen und Kriterien ihrer Auswahlprogramme offenlegen.
Eine Forderung, die auf eine Weise antipluralistisch ist, dass hier von einer ganz neuen Qualität der Unterdrückung der Meinungsfreiheit gesprochen werden muss. Das war dann offensichtlich sogar der ebenfalls in der Diskussionsrunde anwesenden Laura Himmelreich zu viel. Wir erinnern uns: Sie war es, die Rainer Brüderles Altherren-Schlüpfrigkeiten ihr gegenüber in einem Artikel beim Stern öffentlich machte. Himmelreich jedenfalls entgegnete Barley, sie würde sich von so einem Vorhaben „bevormundet fühlen.“
Nun saß allerdings auch Bernhard Rohleder mit in der Runde. Er ist Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes Bitkom, ein Lobbyist der Informationsbranche mit besten Beziehungen zum Bundeswirtschaftsministerium und ins Kanzleramt. Bitkom agiert hier als Initialgeber politischen Weichenstellungen. So leitete Verbandspräsident Thorsten Dirks gemeinsam mit dem damaligen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Arbeitsgruppe „Digitale Wirtschaft und digitales Arbeiten“. Man kennt sich, man schätzt sich, man weiß, was man von einander erwarten darf. Rohleder sprang also Barleys „Pluralismus-Pflicht“ zur Seite, als er es als Gefahr bezeichnete, „dass es für die in sozialen Netzwerken gebildeten Meinungen keine Korrekturen gebe.“
Sätze, die schwindelig machen. Dann jedenfalls, wenn man Haltungen in den sozialen Netzwerken als das versteht, was sie in großer Zahl sind: Korrekturen solcher von den etablierten Medien verbreiteten regierungskonformen Haltungen. Man muss es fast als kollektives Irresein bezeichnen, wenn hier auf diese Weise mit gefährlich anti-demokratischen Energien Meinungsvielfalt eliminiert werden soll unter dem fadenscheinigen Deckmantel einer ergänzenden Pflichtvielfalt. Das ist wirklich krank.
Moderiert wurde die Gesprächsrunde mit Barley übrigens vom Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner. Und man darf auch hier dankbar sein, dass der nun auch noch seinen Senf dazugeben musste, als er davor warnte, dass „Aufwiegler im Netz Menschen zu Gewalttaten gegen Politiker anstiften würden.“ Die Gefahr allerdings muss ernst genommen werden. Dann nämlich, wenn die Empörung über so massive Eingriffe in die Meinungsfreiheit, wie sie hier von der Bundesjustizministerin kommen, ein gesundes Maß überschritten hat und wirklich Gestörte auf den Plan ruft. Umso wichtiger ist eine echte Meinungspluralität, die nur dadurch gewährleistet werden kann, dass die außerparlamentarische Opposition in ihrer Meinungsfreiheit nicht noch weiter eingeschränkt wird: Dann nämlich, wenn die zur Verfügung stehenden Räume zwangsweise für etablierte und regierungskonforme Meinungen geöffnet werden, wenn die sozialen Medien nun per Gesetz penetriert werden sollen von so etwas, wie einem Staatsfunk, einem ministerial kontrollierten Volksempfänger im Internet.
Einem Lautsprecher politischer Parolen, den man nicht mehr abstellen, geschweige denn in seiner Lautstärke regulieren kann. Eine völlig abseitige Idee einer Ministerin, die damit zu einer echten Gefahr für Demokratie und Meinungsfreiheit geworden ist – in unheilvoller Kontinuität zum Vorgänger im Amt.
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