Medien-Einblick: Wieviel Bildschirme hat eigentlich eine Fernseh-Topmanagerin wie Anke Schäferkordt, Herrin über die europäische RTL-Familie, zu Hause?
Auf der dmexco zählte Schäferkordt auf: zwei Fernseher, zwei Tablets, Smartphones, Kindle, was von Amazon… Es geht noch mehr – mit AppleWatch kommt der Fernseher am Handgelenk. Und überall läuft: Alles, was das Internet so bietet und auch mal Fernsehen. Mehr oder weniger häufig. Das ändert den Markt: Fernsehen ist, was auf dem Fernseher eher noch aus Versehen läuft. Die Bildschirme verfallen dem Internet; das digitale TV frisst das lineare TV. Heute der aktualisierte Beitrag mit einigen Resonanzen, und das Interview mit Frau Schäferkordt kann man nun hier ansehen:
Während die Print-Verlage unter Bloggern leiden, die ihre Sicht der Welt verbreiten (so wie hier) und ohne Rücksicht auf große Läden und ohne deren Hilfe – so erwischt die Digitale Revolution jetzt auch die RTL’s dieser Welt. Dazu zwei Zahlen:
Binge-Viewing
Rund 80 Milliarden Videos werden im Monat auf YouTube angeschaut. Milliarden! Dazu kommen Streaming-Dienste wie Netflix, Video-on-Demand, Mediatheken und der Wildwuchs ungezählter Bewegtbilder; allesamt Konkurrenten für das herkömmliche Sofa-TV, das sich selbst gerne „linear“ nennt. Weil die Anzahl unserer Augen und Lebenszeit mit der Vielzahl der Videos nicht mithält, sinkt die Zuschauerzahl und Reichweite der klassischen Kanäle. Vom sich-besoffen-glotzen ist die Rede. Um 17 Prozent sank die Reichweite der großen vier US-TV-Ketten im vergangenen Jahr. Das ist heftig – bislang kannte man solche Verlustzahlen nur von der Auflage von Tageszeitungen. Jeder dritte deutsche Fernseher ist heute internetfähig – wobei klar ist: noch wissen das die Kunden nicht. Sie hängen noch an der Fernbedienung mit ihren wenigen Knöpfchen. Andersherum: Es geht erst richtig los. Von den 14-19-Jährigen sind schon zwei Drittel vom Internet-Video angefixt und nutzen es regelmäßig. Auch hier wiederholt sich, was die Tageszeitungen mit Schrecken schon erfahren haben: Die Jungen sind weg vom Fenster, vor allem die jungen Männer verduften. Nach der Tageszeitung verzichten sie jetzt auch auf TV.
Nicht jeder glaubt das. Etwa Helmut Thoma, der legendäre Gründer von RTL, des es bummsfidel groß gemacht hat und mit Formaten wie „Der heisse Stuhl“ und den Nachrichten für Einfluß gesorgt hat. Schon in den 90ern hat er gesagt, dass die Mehrheit der Bürger sehr wohl weiterhin auf dem Sofa sitzen bleibe und sich passiv unterhalten ließe. Diesen Beitrag nennt er auf Facebook daher auch konsequent „Eine Wandersage unter bedrohten Journalisten,die mit der Wirklichkeit wenig zu schaffen hat“.
Wenn er sich nur nicht täuscht. Dass Menschen nicht mehr lesen, konnten sich die Zeitungsverleger vor 10 Jahren auch nicht vorstellen. Und am Day After bilanziert daher ein Mediendienst: „Es mag scharf klingen, aber hat nun einmal viel Wahres drin: Die RTL Group braucht, wie andere TV-Konzerne, eine erfolgreiche Digitalisierung des Geschäftsmodells. Die Digitalwirtschaft wiederum jedoch braucht die RTL Group und Wettbewerber nicht.“ http://www.dwdl.de/magazin/47552/es_wird_immer_schwieriger_mainstream_zu_generieren/
Lousy Pennies auch fürs TV
Die privaten Fernsehsender wissen das. Schäferkordt spricht mutig von den Chancen, die die vielen neuen Bildschirme im eigenen Haushalt und in denen der Kunden bieten: „Wir sind auf jedem Bildschirm und jedem Gerät mit dabei“. Klar – RTL ist allgegenwärtig, und ProSieben/Sat1 nicht weniger. Sie haben Produktionsfirmen in den USA gekauft, die billiges Programm erfinden für die vielen neuen Kanäle. Sie bauen Plattformen auf, um die die Videos, die die Zuschauer selber drehen, zu bündeln und zu vermarkten. Sie folgen der Fragmentierung, indem sie sich selbst zersplittern und Lousy Pennies verdienen mit weniger Zuschauern auf immer mehr Kanälen. Nur Lousy Pennies, hat Verleger Hubert Burda mal geklagt, verdiene man im Internet statt teurer Anzeigen. Jetzt geht es den Sendern zunehmend genauso: Statt teurer Kampagnen niedrige Erträge im Video. Trotzdem stürzen sie sich drauf.
Elefanten mutieren zu Mäusen
Aber einfach wird das für die Kolosse nicht. Sie sind gewohnt, technisch aufwändig und perfekt, vergleichsweise teure Programme anzubieten und zu vermarkten. Die Konkurrenz aber kommt von unten. Billig, trashig, begehrt. Den Elefanten fällt es schwer, wie Mäuse zu steppen.
Die Medienwelt verändert sich erneut. Fernsehen wird zum Do-It-Yourself-Sport.
Als der Supertrash-Star Kader Loth in vollem Brustton der Überzeugung sagte: „Ich habe einen Nobel-Preis verdient. Denn ich habe mich selbst entdeckt.“, da lag die Republik am Boden vor Lachen ob dieser selbstverliebten, größenwahnsinnigen Äußerung dieses selbstverliebten, größenwahnsinnigen Kunstprodukts. Einige Jahre später ist mehr dran an diesem einen Satz, als den etablierten Medien lieb sein dürfte. Nicht mehr sie entdecken Menschen und machen diese zu Stars. Die neuen potentiellen Stars entdecken sich selbst – auf Wegen, die sich den Verlagen und den Journalisten entziehen. Die Erosion zieht immer weitere Kreise – nach den Zeitungen und Zeitschriften ist jetzt das Fernsehen dran.
TV ist das neue Do-it-yourself
Sie warten nicht mehr in endlosen Schlangen während Castings zum VideoJockey oder Moderator bei einem TV-Sender in überfüllten Räumen mit anderen. Auf die Entscheidung von Chefs und von Juroren. Seit YouTube casten sie sich selbst. Wählen sich selbst. Bringen sich selbst auf Sendung im Internet und auf die mobilen Endgeräte der Community. In gewisser Hinsicht gehen sie den Weg der ungrenzten Möglichkeiten, einer neuen Freiheit und Selbstverantwortlichkeit. Und entwickeln neue Formen.
Am Beispiel von „Dagi Bee“ zeigte die FAZ verwundert auf, wie ein 19jähriges Mädchen den Weg vom jungen Frollein von nebenan zum YouTube-Star geht. Dagi Bee greift zur Digitalkamera und filmt sich selbst. Gibt Schminktips, Produkttests und -empfehlungen. Mit ihrer eigenen unverwechselbaren Art, mit Tempo, Charme und Witz. Sie erreicht ein Massenpublikum. Eine Welt, die sich schneller und multidimendionaler entwickelt, als Dickschiffverlage noch zeitlich angemessen darauf reagieren könnten.
Die Generation YouTube wächst voller Selbstverständlichkeit mit Medien heran und in die Welt des Worldwideweb hinein, als ein Verlagsmanager begreifen und zeitnah durch alle politischen Instanzen eines Verlags in eine reichweitenstarke und monetär vergütete Handlung umgesetzt haben könnte. Schwerfälligkeit ist der Tod. Beweglichkeit ist Trumpf.
Mit einem Smartphone können Videos entstehen, für deren Herstellung noch vor 15 Jahren ein Equipment im Wert von einer Viertelmillion notwendig war. Das hat Folgen. „Es wird immer schwieriger, einen wie auch immer gearteten Mainstream zu generieren, „ sagt Schäferkordt. Bisher lebte TV vom Mainstream, wirtschaftlich und journalistisch. Schäferkordt ist klug, eloquent hat unendlich viele Zahlen und Einsichten parat. Sicherlich eine exzellente Chefin. Sie packt den Stier bei den Hörnern. Das muß sie auch.
Auch die Neue Zürcher Zeitung beschreibt, wie die neuen Kanäle die Fernsehlandschaft verändern. Es geht um Programm – Programm, das gerade die Schlauen wieder vor die Glotze holt. Das ist die teure, die Qualitätsabteilung. Fernsehen wird es auch morgen geben – aber eben anders und vielleicht von anderen Anbietern produziert. „Auch morgen seht ihr fern“ @NZZ http://bit.ly/1qMW6rs
Wer nicht in YouTube-Kanälen denken kann, ist verloren
Denn: Eine Generation wächst heran, für die stationäres Fernsehen ein Relikt der Neuzeit darstellt. Warum soll ich mich vor einen fest installiertes Gerät setzen, das ich nicht bewegen kann. Warum soll ich darauf warten, dass eine Sendung um eine bestimmte Uhrzeit beginnt und die durch Werbepausen unterbrochen wird.
Sie wollen alle Inhalte zu jeder Zeit, an jedem Ort verfügbar haben. YouTube und das Internet bedient den Nutzerwunsch dabei auf perfekte Weise. Jeder kann sich in einer schier unbegrenzten Auswahl an Kanälen die Art von Informationen und Unterhaltung zusammenstellen, die ihn oder sie interessiert.
Die Lifestyle-Beilagen der Zeitungen sind das beste Beispiel dafür; der verzweifelte Versuch sich ein Stück des Kuchens zu sichern, dessen Stücke bereits verteilt und verspeist werden. Es ist ein Verharren im Gestern und im Hier und Heute.
Die große Entauthorisierung ist unterwegs
YouTuber und Blogger legen eine immer größere Professionalität an den Tag, die sich hinter den redaktionell erstellten Beiträgen etablierter Medien oftmals nicht mehr zu verstecken brauchen. Elisabeth Noelle-Neumann, die große Meinungsforscherin der Nachkriegszeit, erhoffte sich von der Einführung des Privatfernsehens in den 80er Jahren eine „Entauthorisierung“ der aus ihrer Sicht meist linken Sender von ARD und ZDF. Ihre Hoffnung wurde nicht erfüllt, weil RTLPro7Sat1 zu entpolitisiertem Unterschichten-TV mutierten oder so angepasst senden, wie das gebührenfinanzierte halbstaatliche TV.
Jetzt wird eine neue Runde eingeläutet. Die Zuschauer im Presseclub, der wohl ältesten deutschsprachigen Politiksendung überhaupt, haben ein Durchschnittsalter von 69 Jahren; insofern braucht die ARD auch keine Sorge haben, dass ihr das Internet Zuschauer wegnimmt. Das gelingt nur dem Krematorium.
Keine Relevanz für Rollator-TV
Aber politische Relevanz ist mit dem Rollator-Zuschauer auch nicht zu gewinnen. Die jungen Zuschauer sind auf dem Video-Trip – übrigens besser gebildet und anspruchsvoller, als die des deutschen Alt-TVs. Wenn sie konsumieren, dann US-Serien wie „House of Cards“ – für die sagenhafte Summe von 100 Millionen Dollar für eine weltweite Zuschauergruppe produziert; 50 Millionen Kunden hat die Video-Bude Netlix in den USA. Und House of Cards ist extrem politisch: Es zeigt einen brutalen, völlig skrupellosen Politikbetrieb, der nur Eigeninteressen folgt und keinerlei Gemeinwohl. Es ist ein zynischer Blick ohne jede Schönrednerei. Der Politik-Unterricht in den Schulen predigt anderes. Die Video-Gucker gelten als jung, besser gebildet, besser drauf. Sie sind aber woanders – in einer globalen Community.
Sprachgrenzen lösen sich auf. „Der neue Markt ist global“, sagt Schäferkorth. Und neue Formen werden erst folgen. In jedem Fall: Die Zeit der Journalisten als derjenigen, die über den Zugang zu Bildschirm, Medien und öffentlicher Meinung entscheiden konnten, ist vorbei.
Die Schleusenwärterei der kleinen, soziokulturell sehr speziellen Medienelite geht zu Ende. Nicht, dass die neue Blogger-Welt naive Talkshows aufführen will, um Anne Will zu imitieren.
Aber die neue Medienmacht ist losgelassen. Ganz ohne Wille und Willes der Welt.
Über das Selbstverständnis der Blogger demnächst hier mehr.