Ein Merkmal totalitärer expansionistischer Regime ist die Militarisierung von Kindern. Sie werden in Uniformen gesteckt und propagandistisch vorgeführt als die Kämpfer von morgen. Oder schlimmer: Gleich als Kindersoldaten für das Vaterland verheizt. Wer, wenn nicht wir Deutschen wüssten um diesen Missbrauch von der schmucken Marineuniform zu Kaiserzeiten bis hin zu den paramilitärischen Uniformen der Pimpfe, der Hitlerjugend und des BDM.
Haben wir etwas daraus gelernt? Offensichtlich nicht. „Wir haben doch alles geglaubt, was man uns damals erzählt hat“, erzählt der 88-Jährige Gerd Schröder aus Herford der Zeitung Neue Westfälische mit Blick auf seine Vergangenheit in der Hitler-Jugend, um dann mit gesenktem Blick, fast flüsternd, zu wiederholen: „Wir haben das doch alles geglaubt.“
Anzunehmen ist, dass trotz quasi nachbarschaftlicher Nähe keinerlei Berührungspunkte gibt, zwischen dem 88-jährigen Gerd Schröder in seinem katholischen Altenheim und der Islamischen Gemeinde mit ihrem Imam Hüseyin Mermer. Ditib Herford schreibt zu Mermer: „Da die Imame ihren Lebensmittelpunkt in der Türkei haben, ist deren Einsatz in Deutschland auf vier Jahre begrenzt. Der Imam ist verantwortlich für die Steuerung und Ausübung der religiösen Dienste unserer Gemeinde.“ Weiter heißt es dort unter dem Stichwort „Integrationsarbeit“: „Wir sind offen für Kooperationen mit deutschen Vereinen und Instituten.“ Ditib Herford bietet Fahrradkurse für Frauen an, einen Leseclub und Deutschkurse für Mütter. Auch möchte man sich an Straßen- und Nachbarschaftsfesten beteiligen.
Die Lippische Landeszeitung ist so irritiert, wie andere Publikationen, die das Video gesichtet haben. Und der Redakteur befragt die Gemeinde. „Die Entscheidung für die Aufführung ist vom Elternbeirat getroffen worden und die Aufführung ist auch von ihm gestaltet worden“, erklärt ihm das Herforder Ditib-Vorstandsmitglied Necati Aydin. Der Vorstand sei in das Programm nicht eingebunden gewesen und habe auch nichts davon gewusst. Die Aufführung sei auch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen.
Das scheint nur die halbe Wahrheit zu sein, wenn Aydin später gegenüber dem Westfalen-Blatt erklärt: „Wir haben völlig falsch eingeschätzt, wie diese Aufführung interpretiert werden kann.“ Also wusste der Vorstand sehr wohl, was da sicher auch im Vorfeld geprobt wurde und später zur Aufführung kam. „Das für die Aufführung zuständige Gemeindemitglied sei kurzfristig schwer erkrankt gewesen, sodass die Aufführung von einer anderen Person vorbereitet worden sei.“ Die übliche Qualitätskontrolle hätte nicht erfolgen können, sagt Aydin noch.
Das alles klingt wenig überzeugend. Und es ist weniger eine Frage der Qualität, denn tatsächlich gab es anderswo schon deutlich diszipliniertere Kinder-Aufführungen als in der Herforder Moschee-Gemeinde, auch ohne Kindersoldaten und solche abstoßenden Inszenierungen.
Der Herforder CDU-Kreisvorsitzende Tim Ostermann war jedenfalls fassungslos, als er das Video sah und Ditib fragte: „Halten Sie dies für integrationsfördernd oder handelt es sich nicht vielmehr um eine Instrumentalisierung der Kinder, die einer Integration absolut abträglich ist? (…) Staat und Gesellschaft müssen alles geben, um so etwas zu verhindern.“ Antwort bekam er bisher keine. Ostermann leitete das Video vorsorglich an den für politische Straftaten zuständigen Staatsschutz in Bielefeld weiter.
Der Paderborner CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Linnemann wird nach Sichtung des Videos noch deutlicher: „Das ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass Parallelgesellschaften nicht nur existieren, sondern dass sie sich auch verfestigen.“ Aber wie soll man solchen Entgleisungen entgegentreten, wenn eine Mehrheit der Türken in Deutschland Erdogan ihre Stimme gibt, wenn ungefähr die Hälfte der türkischstämmigen Menschen in Deutschland für sich sagen: Die Islam-Gebote stehen über dem deutschen Gesetz? Der Aussage „Die Befolgung der Gebote meiner Religion ist für mich wichtiger als die Gesetze des Staates, in dem ich lebe“ stimmen sogar 47 Prozent der Befragten zu.
Nun darf man nachdenken, was militärische Paraden von Kindersoldaten mit dem Islam zu tun haben. „Man kann nicht zugleich laizistisch und muslimisch sein. Entweder bist du ein Laizist, oder du bist ein Muslim.“, erklärte Erdogan in früheren Wahlkämpfen. Vor der Amtszeit Erdogans gab es in der Türkei kaum mehr als 400 Koranschulen. Heute sind es dreimal so viele. Und dabei sind jene in Deutschland noch gar nicht mitgezählt. Aber auch die hiesigen unterstehen dem türkischen Staat. Ob in der Türkei oder in Deutschland: Nicht mehr nur konservative Türken betrachten Erdogan als religiöse Retter-Figur. Eine Erdogan-Anhängerin bekennt bei einer Veranstaltung mit dem türkischen Ministerpräsidenten in Oberhausen: „Wir haben Allah, wir haben unseren Propheten Hz. Muhammed Mustafa und jetzt Recep Tayyip Erdogan!“
Der Nato-Partner Türkei befindet sich im Krieg mit den Kurden in Syrien. Die Nato bittet Erdogan schüchtern um Zurückhaltung. Es ist sogar von Selbstverteidigung die Rede: „Jedes Land hat das Recht zur Selbstverteidigung, es ist aber sehr wichtig, dass dies verhältnismäßig und angemessen geschieht“, sagte ein Beamter aus dem Team des Nato-Generalsekretärs Jens Stoltenberg. Mitten in Deutschland werden derweil türkische und türkischstämmige Kinder in Uniform mental und praktisch auf diese „Selbstverteidigung“ vorbereitet. Am Ende der Veranstaltung in der Herforder Moschee fielen sie dann für das Vaterland und wurden mit der Fahne zugedeckt. Applaus.
Der 88jährige Gerd Schröder sitzt derweil weiter in seinem katholischen Altenheim und erzählt leise aus seiner Jugend: „Wir haben doch alles geglaubt, was man uns damals erzählt hat.“ Zwischen Schröder und der Ditib gibt es keine Verbindung. Man kennt sich nicht. Man weiß nichts voneinander. Nichts von der Geschichte der Menschen, in deren Land Zugewanderte und ihre Nachkommen Kinder wieder in Uniformen stecken als Grußadresse an den hochverehrten Recep Tayyip Erdoğan. Und der gilt immer mehr Muslimen weit über die Grenzen der Türkei hinaus als Führer eines politischen Islam gilt. So auch im nordrhein-westfälischen Herford.