„Islam ausgrenzen, Muslime integrieren – Kann das funktionieren?“, so die rhetorisch provokante Fragestellung bei Hart aber Fair. Diskutieren sollen das mit Plasberg vier mit muslimischem Migrationshintergrund und ein bekennender christlich-bayrischer Staatsminister. Joachim Hermann sitzt neben Hamed Abdel-Samad, der ist deutsch-ägyptischer Politikwissenschaftler und Autor des Buchs „Integration – Ein Protokoll des Scheiterns“. Enissa Amani ist Comedian mit iranischen Wurzeln und Du‘ A Zeitun Streetworkerin aus Osnabrück. Cem Özdemir, ehemaliger Bundesvorsitzender der Grünen. Manche sagen mit einem Schmunzeln, er benehme sich deutscher als viele Deutsche. Seine Anti-Erdogan-Haltung mag heute seinen Teil dazu beitragen, sich bei der türkischen Community als besonders deutscher Türkischstämmiger zu präsentieren.
„Können Muslime streng nach dem Islam leben und gleichzeitig das Grundgesetz achten?“, fragt Plasberg. Die Muslime gehören zu Deutschland, der Islam nicht, wird Hermann in der Anmoderation zitiert. Was wie ein Widerspruch klingt, ist auch einer, jedenfalls dann, wenn man seine Religion nicht streng als Privatsache versteht. „Es ist nicht wichtig, wo du herkommst, wichtig ist, wohin du willst.“, wird Cem Özdemir in der Anmoderation zugeschrieben. Eine Binse? Denn beispielsweise im deutschen Asylgesetz war es bis vor 2015 durchaus wichtig, wo jemand herkam. Kam er von weiter her, wurde er abgewiesen.
Die in Aachen geborene Du‘ A Zeitun ist eine bekennende Muslima mit Kopftuch. Für sie ist der Islam ein Bestandteil, der zur Persönlichkeit der Muslime dazugehört. Es sei aber nur eine Facette von vielen. „Ich bin deutsche Muslima. Und ich bin auch stolz darauf, Deutsch zu sein.“ Dass sie stolz darauf ist, Muslima zu sein, muss sie hier nicht erwähnen, diesen Stolz drückt ihr Kopftuch hinreichend aus. Ihr Bekenntnis zu Deutschland kann man hingegen nicht sofort ablesen. Das Kopftuch wirkt da sogar kontraproduktiv auf die Mehrheit der Deutschen, die den Islam laut Umfrage zu 75 Prozent nicht zugehörig zu Deutschland betrachten. Du‘ A Zeitun arbeitet in einem katholischen Flüchtlingswerk mit jungen muslimischen Migranten. Sie erzählt von einer in Deutschland geborenen Libanesin, die sie fragte, ob sie mit Kopftuch Deutsche sein könne. Du‘ A Zeitun hatte zurückgefragt, wo sie sich heimisch fühle, ob hier oder im Libanon. „In Deutschland“. Dann sei sie eine Deutsche, hatte ihr Du‘ A Zeitun geantwortet. Es gibt diese Diskussion also auch jenseits der Frage, welchen Pass man aktuell hat.
Hermann dreht den Spieß um: „Die Frage ist doch, was soll uns der Satz, „Der Islam gehört zu Deutschland“ sagen?“ Er kann damit nichts anfangen und erinnert an die Geschichte und Tradition unseres Landes. An das Rechtssystem, an die Aufklärung. „Der Islam hat dazu überhaupt keinen Beitrag geleistet.“ „Der Islam gehört zu Deutschland“ würde das Selbstverständnis der Deutschen vernebeln. Enissa Amani macht das traurig. Sie fände das auch traurig, wenn man in einem muslimischen Land sagen würde, die Christen gehören dazu, das Christentum nicht. Für Enissa Amani spreche ja auch die Aryan Nation nicht für das Christentum. Wie bitte?
Hermann fragt zurück, er möchte ein einziges muslimisches Land genannt bekommen, wo die Religionsfreiheit so garantiert wäre, wie in Deutschland. „Indonesien!“, ruft Enissa Amani laut. „Indonesien!“ Man müsse nicht immer Saudi-Arabien nennen oder den Iran. „Deshalb bin ich besonders stolz in diesem neuen Deutschland zu leben.“ Nun ist aber genau dass das Problem: Viele Einheimische sind mit dem bisherigen Deutschland ganz zufrieden, wollen gar kein neues. Müssen sie jetzt eines wollen?
Die Masterfrage der Sendung. Eigentlich die des ganzen Landes. Enissa Amani findet es komisch, das immer vom christlich-jüdischen Abendland gesprochen wird, und zählt auf, was alles mit den Juden passiert ist in Deutschland, zurück bis zur Pest und den Kreuzzügen, wo Juden enteignet und abgeschlachtet worden wären um Geld dafür zu bekommen, in Jerusalem Muslime abzuschlachten. Harter Tobak mit einem Spritzer Wahrheitsgehalt, wenn auch am Kern vorbei, denn es geht ja bei der christlich-jüdischen Bezugnahme zuerst um die kulturelle Prägung, weniger um das Wohlergehen des Einzelnen. „Ich bin nicht religiös.“, sagt Enissa Amani noch.
Plasberg grünt ihm schelmisch entgegen: „Ich hätte mich gefreut, wenn wir einen Außenminister mit Migrationshintergrund gehabt hätten.“ Enissa Amani klatscht frenetisch dazu. Nun wäre wahrscheinlich jeder andere die bessere Wahl gewesen, denn heute bekleidet ein Heiko Maas dieses Amt. So betrachtet, könnten vielleicht spontan wieder dreiviertel der Deutschen diese Plasberg-Freude unterschreiben. Noch dazu, wo Özdemir – nicht nur als Schwiegermutters Liebling – in Persona dieses ominöse „neue Deutschland“ positiv sichtbar machen könnte, fast unabhängig von der Partei, der er angehört.
„Unsere Rechtsordung ist bindend für alle. In die wollen wir integrieren.“, sagt noch einmal Joachim Hermann. Du‘ A Zeitun erinnert an die zweite und dritte Generation der Muslime in Deutschland. Die verstehen sich als Minderheit, die hier aber doch Bestandteil des Ganzen sein wollen. Die sich nicht mehr die Frage stellen, wie sich integrieren. Sie fühlen sich als Teil der Gesellschaft, aber eben als Minderheit. „Wir wollen mit dieser Vielfalt gemeinsam ein buntes Deutschland gestalten“, sagt Frau Du‘ A Zeitun. Ein neues, ein buntes. Was noch?
Enissa Amani ist schon wieder traurig. Seit 9/11 Hetze gegen Muslime. Sie möchte nicht nur Jens R. psychisch krank genannt wissen, sondern auch den islamistischen Attentäter im Allgemeinen. Also sollen wir anderen nun eine Abgrenzung vornehmen, um die sich die wachsende muslimische Community in Deutschland so auffällig drückt? Und Breivik hätte sich explizit auf das Christentum berufen, sagt Amani. Niemand hätte daraufhin von einem radikalen Christen gesprochen. Enissa Amani wird lauter und lauter, spricht schneller und schneller, steht auf, umarmt sogar Plasberg, der daran erinnert, dass er verheiratet sei. Amani redet einfach weiter, wird noch lauter. Die Runde ist für den Moment sprachlos.
„Wollen wir die Probleme in diesem Land lösen oder wollen wir den Islam reinwaschen als tolle Religion?“, versucht Abdel-Samad noch einmal den Faden neu aufzunehmen. Für ihn ist der Islam eine Ideologie. Er nennt die Selbstmordattentate überall auf der Welt als Beleg. Und weiter nennt er junge Mädchen aus muslimischen Familien, die doppelt so häufig Selbstmord begehen würden als andere Mädchen. „Studien belegen: Dahinter steckt immer die fehlende Freiheit.“, weiß er. Und er fragt, wie viele Frauen mit Kopftuch in Deutschland alleine leben würden, das wären wenige. Nun gut, wenn das Kopftuch kein Zwang wäre, sondern innere Haltung, ist diese Erkenntnis keine besondere. Aber es sagt dann einiges über die Radikalität – oder besser: Konsequenz – dieses Glaubens: „Man kann hier nicht zusammenleben, wenn man das Wertesystem des Islam 1:1 ausleben will. Das geht nicht.“ Applaus.
Für Cem Özdemir haben muslimische Fanatiker in Deutschland das Monopol, ihren Wahnsinn in die Gehirne der Kinder einzutrichtern. Nur Islam-Unterricht auf der Basis des Grundgesetzes könne hier gegensteuern. „Das kann nur in deutscher Sprache sein.“ Gut, dass ist überdeutlich. Für viele Muslime in Deutschland zu deutlich?
Ein Einspieler zitiert aus eine Studie: „Egal, wie sehr ich mich anstrenge, ich werde nicht als Teil der deutschen Gesellschaft anerkannt“, sagen 54 Prozent der jungen Muslime in Deutschland. OK, wenn man hier ehrlich mit sich ist, dann ist das wahr. Das beginnt beim fremd klingenden Namen, geht über das südländische Aussehen bis hin zur Religion. Der Moslem in Deutschland hat ein Imageproblem. Und viele junge muslimisch-stämmige Menschen, die hier zu Hause sind, die hier geboren wurden, leiden darunter. In der zweiten und dritten Generation der Türkischstämmigen beispielsweise entstehen neue Parallelgesellschaften. Das zu leugnen, wäre falsch.
Für Du‘ A Zeitun gibt es durchaus ein Scharia-Verständnis, das mit dem Grundgesetz harmoniert. Das wäre dann sicher einmal eine tiefer gehende Besprechung wert, als nur hier bei Plasberg. Sie erzählt von ihrer Kopftuch tragenden 17jährigen Tochter, die gerne Lehrerin werden würde, aber mit Kopftuch keine Anstellung bekommt. Hermann haut ihr dazwischen mit einer Befragung, von der er weiß, dass die Mehrheit der muslimischen Frauen im Kopftuch ein Zeichen fehlender Gleichberechtigung der Frau sehen würde. „Da kann ich doch verstehen, wenn einer sagt, so ein Zeichen will ich in meinem Betrieb nicht haben.“ Für Özdemir ist das Kopftuch noch mehr: „Ein Mittel zur Agitation.“ Erst wenn die Kopftuchträgerinnen dafür kämpfen würden, dass Özdemirs Tochter im Minirock herumlaufen dürfe, dann wäre es für ihn akzeptabel.
„Wir müssen uns konzentrieren, dass wir ein tolles neues Deutschland sind“, fordert zum Schluss noch Enissa Amani. Ach was, sie fordert es nicht, sie schreit es in die Runde. Und Hamed Abdel-Samad findet jetzt zum Schluss, sie hätte nun genug geredet, während Plasberg noch Hermann befragt, warum es in der Bundesregierung noch keine Migranten-Quote gäbe. Und da zeigt sich Joachim Hermann schlagfertig: Na klar, schuld ist die FDP. Die hätte doch den Außenminister Cem Özedmir verhindert. Wobei wir dann wieder bei Heiko Maas wären. Da wollen wir aber nun zuallerletzt hin und beenden das gerne hier.
Vielleicht noch so viel: Völlig unabhängig, ob nun mit oder ohne muslimische Eltern oder Großeltern, so eine wie Enissa Amani wäre auch als Petra Schmidt nervig. Sympathie ist eben oft auch individuell verankert. Da nützt auch keine Integration. Integration heißt ja auch nicht, hin zu einer sich umfassend zugeneigten Gesellschaft. Zuneigung ist ein Bonus, ein Gefühl ohne Rechtsanspruch.
Und was dann überhaupt noch nirgends besprochen wurde, ist eine große Parallelgesellschaft jener Deutschen, die eben kein neues Deutschland wünschen, weil ihnen das gegenwärtige lieb und teuer ist, über Generationen. Weil sie diesem Deutschland, wie sie es kennen, zugeneigt sind und bleiben wollen.
Weil es Garant für das ist, was viele Einwanderer sogar für ein Paradies halten.