Der Titelgeschichte „Süßes Gift“ von Jörg Blech entnehme ich, dass die Zuckerlobby ähnlich wie vor Jahrzehnten die Tabaklobby in den USA die gesundheitlichen Gefahren verharmlost und Lehrer mit Fehlinformationen überschüttet. Wenn es denn so ist, dass bei Einführung einer Zuckersteuer wie in Großbritannien und Frankreich die Hersteller ihre Zuckeranteile rasch reduzieren, zeigt eine solche Abgabe doch Wirkung. Die ist mir lieber als die von Ministerialbürokraten favorisierte Einführung eines Schulfachs Ernährungslehre. Denn dort hätten die Unterrichtsmaterialien von Lobbyorganisationen – nicht nur der Zuckerlobby – wieder ein Einfallstor. Dass der Autor selbst erst die Recherche zu diesem Thema braucht, bis ihm – wie in der Hausmitteilung zu lesen ist – klar wird, dass übersüßte Fertigmüslis keinen Platz bei ihm mehr auf dem Frühstückstisch haben sollten, finde ich erschreckend. Wenn Jörg Blech, Diplom-Biologe und erfahrener Wissenschaftsautor, schon nicht über derart simples Basiswissen verfügt (oder sich nicht dafür interessiert), was soll dann ein Schulfach Ernährungslehre bewirken?
Auffällig ist auch, welchen hohen Stellenwert die Süßwarenindustrie im Einzelhandel einnimmt. Es gibt Supermärkte, in denen man inzwischen einen Slalom durch meterweise Süßwaren absolvieren muss, ehe man an die Kasse kommt. An Samstagen, wenn die Warteschlangen länger sind, steht man zwischen mannshoch aufgetürmten Süßigkeiten, die dann auch noch besonders marktschreierisch ausgezeichnet sind. Teilweise sind diese Premiumplätze sehr offensichtlich als Shop-in-Shop an Süßwarenhersteller verkauft. Besonders auffällig ist es dort, wo man sich mit Obstaktionen in Schulen oder für soziale Zwecke und diversen NGO-Kooperationen ein Nachhaltigkeitsmäntelchen umhängt und wo die Handelskette jetzt verspricht, immer mehr Produkte ins Sortiment aufzunehmen, die mit weniger Zucker auskommen.
Die britische Regierung gerät mit ihrer Schuldzuweisung an Moskau in Sachen Giftattacke auf den Ex-Doppelspion Skripal und dessen Tochter in die Defensive. Unter deutschen Parlamentariern steigt die Zahl der Zweifler, dass nur Russland als Täter in Frage kommt. Hatte man sich vor drei Ausgaben mit der Titelgeschichte weit aus dem Fenster gelehnt. Mit „Informationskrieg“ vollführt die Redaktion jetzt einen Eiertanz und kratzt alle Informationen zusammen, um sich nicht revidieren zu müssen. Spiegel-Redakteur Klaus Wiegrefe fand in Ralf Trapp einen Chemiewaffenexperten, der schon die DDR-Regierung in Abrüstungsfragen beriet („Gift in der Glasbox“).
Melanie Amann versucht sich an einem Portrait von Alexander Gauland („Ohne Zweifel“). Versuch in meinen Augen deshalb, weil sie sich so offensichtlich darein verbeißt, das Aushängeschild der AfD als derart ausgemachten Unsympath darzustellen, dass gerade diejenigen, die es beeindrucken könnte, gleich auf Durchzug schalten.
Was machen U-Boot-Fahrer ohne U-Boote? Fragt Konstantin von Hammerstein in „Geisterflotte“. Sie schauen aufs Meer und zählen die Möwen. Traurig dran sind auch die Kampfschwimmer, die seit sieben Jahren auf ihre Schwimmhalle warten. Man hat es kaum mitbekommen, dass die letzten Bundesregierungen allesamt so friedliebend waren, dass man von einer abwehrbereiten Armee wohl kaum sprechen kann.
Ex-Opel-Chef Karl-Thomas Neumann klagt: „Wir haben zu viele SUVs“ auf deutschen Straßen; und: er habe mehr Elektroautos bauen wollen, aber der Eigentümer General Motors wollte nicht. Also war er auch nur vier Jahre ein Befehlsempfänger. Schade eigentlich.
Irritiert bin ich, dass ich einerseits von Julia Amalia Heyer in „Machiavelli auf Französisch“ mit Bezug auf die geplante Reform der Staatsbahn SNCF lese, dass Emmanuel Macron „und seiner Truppe an Ultraindividualisten“ es manchmal an Einführungsvermögen mangele und das eine Gefahr für Reformen – Macron nennt es Transformation – sei. Andererseits schreibt sie eine viereinhalbseitige Eloge („Das Experiment“) auf eben jene neuen Gesichter in Regierung und Parlament, die ob ihrer Jugend und Unerfahrenheit Macron als „Chefscout eines Pfadfindervereins“, wie es in einer Bildunterschrift heißt, aussehen lassen. Mich erinnert das Ganze an die Zeiten des Neuen Marktes, wo Unternehmen jeglicher Größe und Branche sich mit einem Male zum Startup erklärten, CEOs genauso wie Parteichef Christophe Castaner die Pyramide aus dem Jackenärmel zogen, um zu zeigen, wie ernst es ihnen damit sei, die Hierarchien auf den Kopf stellen zu wollen. Was ist draus geworden?
Mit Interesse gelesen habe ich das Spiegel-Gespräch von Jörg Schindler mit Gerry Adams, einem der Architekten des nordirischen Friedensabkommens von 1998. Die Wirren des Brexits könnten eine Chance sein für ein irgendwie und irgendwann vereinigtes Irland.
Juan Moreno bietet den Schalke-Fans in „Mehr Fan als Profi“ ein interessantes Portrait über Trainer Domenico Tedesco, der – aus dem Nichts kommend – die Knappen jetzt in die Champions League führt. Leider schwächelte die sonst so starke Abwehr gestern Abend in Hamburg.
Wenn es einen Banalitätspreis zu verleihen gäbe, fiele er diese Woche an Wieland Wagner für seine geradezu läppische These in „Sehnsucht nach der Zone“, dass sowohl Nord- als auch Südkorea ökonomisch von einer Annäherung der beiden Staaten profitieren. Vielen Dank: Daran hätte ich nie gezweifelt.