Auf Twitter ist noch alles beim Alten. Da beschreiben sich die alternativen Kreuzberger Handwerker und Wagenburgbewohner vom „Areal Ratiborstraße 14“ nach wie vor so: „Initiative zum gemeinnützigen Ausbau der Kleingewerbe-, Kultur-, Wagenplatz- Grünflächen am Kreuzberger Dreiländereck. Refugees welcome. Rassisten nicht.“
Nun gilt seit kurzem der Refugees-Slogan der BILD-Zeitung nicht mehr uneingeschränkt in diesem Kreuzberger Manufaktum-Paradies. Sogar Rassismus macht sich in den eigenen Reihen breit, dann jedenfalls, würde man stringent den genannten Leitwerten des Vereins folgen. Deutlich wird hier eines: Der Schritt von der Pressspanplatte zum Weichholz ist viel größer, als von der Kiefer zur Eiche. Die Liebe zum traditionellen Handwerk kann zu überraschenden Einsichten führen. Auch dann noch, wenn man nach Feierabend, statt nur den Bügelverschluss zu kippen, auch noch die Knasterpfeife kreisen lässt. Klar, die ostpreußische Bernsteinkette und Thors-Hammer-handgeschmiedet tragen das Potenzial für Verwirrungen schon per se in sich.
Kreuzbergs alternatives Projekt „Areal Ratiborstraße“ macht dicht, die Wagenburg zieht die Zugbrücke hoch, die Werkstätte verrammelt sich mit der letzten ökologischen Tischlerplatte. Die Angst kam in dieser grünen Oase in dem Moment an, als Monika Herrmann, die grüne Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, ausgerechnet dieses zwischen üppigem Grün versteckte Idyll quasi für vogelfrei erklärte und hier eine Chance sah, ein alternatives interkulturelles Wohnen für Zugvögel zu veranstalten. Oder schlimmer noch: eine dieser modularen Flüchtlingsunterkünfte (MUF) hochzuziehen, ausgerechnet dort, wo noch kein Weichholzer mit Handsäge nach dem Hartholz schielte. Modulares Bauen, das ist das wohnliche Pendant zum Kosten einsparenden Volkswagen Baukastensystem. Jeder Wagen sieht anders aus, aber letztlich basiert alles auf den selben Teilen, nur der individuelle Anstrich ist ein anderer.
Dabei hatte die Idee der Bezirksbürgermeisterin durchaus Charme: Warum nicht die tapferen Refugees-Welcome-Veteranen mit denen in der gelebten Praxis zusammenbringen, denen ihre Zuneigung schon so lange im Theoretischen gilt? Nägel mit Köpfen machen. Also ein Musterbeispiel der Integration schaffen, das weit über Kreuzberg hinaus leuchtet und so auch die Akzeptanz für dieses Wagenburg-Handwerker-Experiment erhöht? Zwei Fliegen mit einer Klappe? Leider falsch gedacht. Denn schon berichtete die Berliner TAZ zur Reaktion der Bewohner auf die Pläne von Monika Herrmann: „Das gab zuletzt mächtig Stunk, denn das Gelände steht nicht leer – auch wenn das auf Luftaufnahmen wegen des vielen Grüns so aussehen mag. In den Kleinbetrieben dort arbeiten rund 80 Menschen – und die haben nun verständlicherweise Angst vor Verdrängung.“
Die Bezirksbürgermeisterin versicherte bei der Ortsbesichtigung, sie möchte „individuelle Bauten, die sich in das Umfeld einfügen.“ Aber basiert der Zorn der jetzigen Bewohner tatsächlich nur auf architektonischen Verwerfungen? Die alte Frage wird wieder laut: Prägt das Sein das Bewusstsein oder ist es doch umgekehrt, wie zuletzt in der geräumten Berliner Gerhart-Hauptmann-Schule, als das alternative Flüchtlingsprojekt zum Drogenversteck für die Dealer vom nahen Görlitzer Park wurde und zur Trinkerherberge für Obdachlose. Bei der ohne viel Gegenwehr vollzogenen Räumung nach Jahren des Wegschauens, wies ein ehemals blütenweißes letztes Banner den Weg für die Bagger: „International Refugee House“ stand darauf. Und natürlich erinnern sich unsere tapferen Kreuzberger Wagentrutzburgler auch an den Aufschrei aus Leipzig, als dort das linke Kulturzentrum Conne Island so entsetzlich scheiterte mit seinen Integrationsbemühungen, als Frauen massiv belästigt wurden und am Ende drohten, ganz wegzubleiben. Und als man mit einem Hilfeschrei an die Öffentlichkeit ging. Nein, nicht mehr die Revolution frisst ihre Kinder, die Realität reicht schon aus, die Revolution aus ihrer rot-grünen Glitzerfolie zu wickeln und umstandslos zu vernaschen.
Nun kommt das alles nicht überraschend. Zwar muss man sich nichts vormachen, die so genannte Mitte der Gesellschaft weiß mittlerweile, dass die aktuelle „Flüchtlingspolitik“ von Ratlosigkeit geprägt ist, aber auf keinen Fall will man, dass sich die Gesellschaft wieder nach rechts dreht und sich dort abschottet. Nun schotten sich die Kreuzberger Alternativen gerade ziemlich ab. Selbstredend, ohne sich dabei nach rechts gedreht zu haben: man muss eben nur am Areal-Ratiborstraße-Lagerfeuer-Meeting eine neue Sprachreglung finden, um diese Haltung wieder irgendwie vernünftig in das vorhandene Denkgebäude einzupassen. Genug modulare Argumentationsmuster sind ja vorhanden, wenn einem die bösen Nazis da draußen wieder das Wort im Munde herumdrehen wollen, nur weil man die linke Identität nicht verraten will.
Und wer mag, kann sich nun auch noch das 33,2 Megabyte große Info-pdf des Areals herunterladen. Da wird von der deutsch-türkischen Kneipe „Jockel“ erzählt, vom Waldorf-Kindergarten, von einer 170 Jahre alten Handwerker-Identität des Areals, von zwanzig kleineren Handwerksbetrieben mit achtzig Tätigen. Stolz ist man darauf, „oftmals mit und für den Kreuzberger Kiez zu arbeiten“. Na klar, ist doch toll: kurze Wege und gelebte Regionalität auch im spannplattenfernen Handwerk, das nun aber leider unter Verdacht steht, Refugees-fern zu sein.
Was für ein Supergau im Paradies. Der Apfel der Erkenntnis fiel hier direkt unter den Eichenstamm neben die Notdurft-Schaufel. Die Realität als totale Überforderung.