Kurz vor Ostern hat das Statistische Bundesamt mal wieder die (vorläufige) Inflationsrate für den vergangenen Monat März verlautbart: 1,6 Prozent. Das ist zwar ein Anstieg gegenüber dem Vormonat Februar. Aber sofort wird uns Verbrauchern von allen möglichen Interpreten die offizielle Lesart nahegebracht: Die Zahl liegt immer noch deutlich unter der angestrebten Zielmarke von unter, aber nahe 2 Prozent, die Mario Draghi und die von ihm dominierte Europäische Zentralbank (EZB) wie eine Monstranz vor sich hertragen. Seit Jahren begründet die EZB ihre ultralockere Geldpolitik mit der angeblich zu niedrigen Geldentwertung, warnte vor allem im vorletzten Jahr inbrünstig vor den Gefahren einer Deflation.
Der offizielle Warenkorb verzerrt die echte Inflation
Dabei gibt es genügend Alltagserfahrungen der Verbraucher, die durch regelmäßige Umfragen der EU-Kommission sogar empirisch belegt werden, denen zufolge die gefühlte Inflation um mehrere Prozentpunkte über dem ausgewiesenen offiziellen Verbraucherpreisindex liegt. Vor allem Konsumenten mit niedrigeren Einkommen sowie ältere Verbraucher leiden unter spürbar höheren Inflationsraten. Denn der Warenkorb, der zur Ermittlung der offiziellen Inflationsrate herangezogen wird, basiert auf der Ermittlung aggregierter Konsumausgaben, die tendenziell das Einkaufsverhalten von Haushalten mit höherem Einkommen überbetonen. Das verzerrt die Preissteigerungen bei Gütern und Dienstleistungen des alltäglichen Bedarfs in einem Ausmaß, das die ständigen Klagen über zu niedrige Hartz IV-Regelsätze zumindest in einem anderen Licht erscheinen lässt.
In der Ökonomen-Zunft, vor allem bei den vielen Neo-Keynesianern, wird seit vielen Jahren von einer säkularen globalen Stagnation schwadroniert. Auch mit diesem Argument wird eine Politik herbeigeredet, die zur Nachfragestimulation weitere Schuldenorgien und eine expansive Geldpolitik favorisiert. Doch ist die Messung der volkswirtschaftlichen Leistung (die BIP-Berechnung) nicht ebenfalls durch die fragwürdige Verbraucherpreismessung diskreditiert? Denn wer die Inflationsrate systematisch zu niedrig erfasst, der verfälscht ganz nebenbei das reale Wirtschaftswachstum. Auf diesem Wert basieren aber Staatsausgaben und Sozialleistungen. Auch die Tarifparteien orientieren sich bei der Lohnfindung an der ausgewiesenen Rate der Inflation.
Die Kosten des selbstgenutzten Wohneigentums fehlen
Der wichtigste Grund, warum die offizielle Inflation in der Eurozone konsequent zu niedrig ausgewiesen wird, ist leicht erklärt. Die Kosten für selbstgenutztes Wohneigentum fallen in Europa, anders als in den USA, völlig aus dem Verbraucherpreisindex heraus. In Amerika macht dieser Kostenblock fast 24 Prozent des gesamten Warenkorbs aus. Bei der Berechnung der Kerninflationsrate ist er sogar mit 30 Prozent gewichtet. Im Euro-Raum stiegen die Kosten für selbstgenutztes Wohneigentum zuletzt mit einer Jahresrate von knapp über 3 Prozent. Analog der Inflationsberechnung in den USA läge allein damit die offizielle Euro-Inflationsrate spürbar höher. Der EZB-Zielinflationswert von 2 Prozent wäre erreicht, wenn nicht sogar überschritten. Das wichtigste (aber vorgeschobene) Argument der Nullzinspolitik hätte sich längst in Luft aufgelöst.
Wie manipulationsanfällig die Verbraucherpreisermittlung ist, zeigt auch das Mittel der „hedonischen Qualitätsbereinigung“. Mit diesem statistischen Korrekturmaßstab versucht man die angenommenen Qualitätssteigerungen von Produkten zu quantifizieren. Kurz gesagt: Wenn man mehr Leistung für den gleichen Preis bekommt, reduziert das je nach Branche und Land die ausgewiesene Inflationsrate und erhöht damit ganz nebenbei das reale Wirtschaftswachstum rechnerisch. In den USA hat diese Bereinigungsmethode bereits eine längere Tradition. In Deutschland startete diese statistische Bereinigung mit der Euro-Einführung im Jahr 2002. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!
Das Gegenstück zur hedonischen Beschönigung der Inflationsrate, wäre die Bewertung der Obsoleszenz. Hinter diesem lateinischen Ursprungsbegriff verstecken Fachleute die immer raschere Abnutzung vieler Gebrauchsgüter, deren durchschnittlicher Lebenszyklus sich verkürzt. Diese absichtliche Manipulation der Gebrauchsgüterhersteller bewirkt einen gegenteiligen, weil negativen Qualitätseffekt. Wer Güter öfters ersetzen muss, der hat höhere Ausgaben. Das müsste eigentlich auch in der Inflationsrate eingepreist werden.
Die Vermögenspreisinflation lag 2017 bei rund 9 Prozent
Thomas Mayer, Direktor des Flossbach von Storch Research Instituts, kennen viele von seine sonntäglichen Kolumnen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Sein Institut hat einen Vermögenspreisindex entwickelt, der die alarmierenden Nebeneffekte der EZB-Politik sehr dramatisch abbildet. Im vierten Quartal 2017 verteuerten sich die Vermögenswerte deutscher Haushalte um sage und schreibe 9,3 Prozent. Nach den Rekordwerten im zweiten und dritten Quartal 2017 war dies der dritte Höchstwert in Folge. Immobilien notierten mit einem Plus von 8,2 Prozent im Jahresvergleich, Aktien mit plus 11,8 Prozent und Betriebsvermögen mit plus 24,1 Prozent. In der offiziellen Inflationsstatistik tauchen diese Teuerungseffekte nicht auf. Sie konterkarieren aber die Mär von der niedrigen Inflation spektakulär, zeigen die Tendenz einer von der Geldschwemme getriebenen Blasenbildung bei Immobilien und Aktien. Sie verdeutlichen aber auch eine sozialpolitische Konsequenz der Nullzinspolitik der EZB in aller Dramatik: Die wohlhabendsten Haushalte und Personen vor dem Renteneintrittsalter profitieren von den steigenden Vermögenspreisen am meisten, da sie anteilsmäßig das größte Betriebsvermögen besitzen und über ein großes Immobilienvermögen verfügen.
Dass sich breite Bevölkerungsschichten abgehängt vorkommen, sie die kollektive Erfahrung eint, dass immer weniger Netto vom Brutto bleibt, lässt sich also nicht nur mit der staatlichen Steuer- und Abgabenpolitik begründen, sondern auch mit der statistischen Manipulation der Geldentwertungsrate. Die amtlichen Inflationsstatistiken sind Fake-News. Die gefühlte Inflationsrate liegt nicht nur fiktiv, sondern tatsächlich deutlich höher.