Eine Studie der Harvard Business School kommt zu dem schockierenden Ergebnis, Politiker hätten das US-System in einem Ausmaß manipuliert, dass die Vereingten Staaten auf dem Weg zu einer failed democracy wären. Die 80-Seiten-Studie erinnert auf jeder Seite einer Beschreibung der deutschen Zustände. Nicht im Detail, aber im Ergebnis.
Ein kurzer Blick zurück auf 1989
Als die Mauer fiel, verstanden das die Meisten als Sieg des Kapitalismus über den Sozialismus, des Westens über den Osten. Ich widersprach damals neben wenigen anderen: Der Sowjetkommunismus ist implodiert, der politische Westen ist im Ost-West-Streit einfach nur übrig geblieben.
Was wir in Deutschland, Europa und Amerika erleben, sind die Vorboten der Implosion des Westens, ist das Ende von Demokratie, wie wir sie kannten oder zu kennen glaubten. Was vor uns steht, ist der Kampf zwischen autoritären und dezentralen politischen Kräften, der von Parteien, Staaten und Staatenverbünden, EU, UNO und anderen internationalen Organisationen weder abgebildet wird noch in ihren Institutionen ausgetragen.
Zur Studie
Die Schlüsselfeststellung für die USA lautet:
The starting point for understanding the problem is to recognize that our political system isn’t broken. Washington is delivering exactly what it is currently designed to deliver. The real problem is that our political system is no longer designed to serve the public interest, and has been slowly reconfigured to benefit the private interests of gain-seeking organizations: our major political parties and their industry allies.
(Ich übersetze nicht, sondern blicke auf das, was – wie schon gesagt – auf beiden Seiten des Atlantiks im Detail verschieden, aber im Ergebnis identisch vor sich geht.)
Das politisches System ist nicht kaputt, sondern liefert exakt, was es soll. Aber der politische Apparat der USA ist nicht mehr auf das Allgemeinwohl ausgerichtet, sondern hat sich schleichend in ein System zum Wohle der privaten Interessen seiner Organisationen verwandelt, der Parteien und ihrer Politik-Industrie, in den Worten der Studie: des politik-industriellen Komplexes. In Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern: des Parteienstaates.
By nearly every measure, the industry of politics, itself, is thriving. There’s just one problem. The people whom the politics industry is supposed to serve have never been more dissatisfied.
Die Politik-Industrie der USA in sich selbst floriert (und wird in Deutschland in einem fort größer). Aber die Bürger waren noch nie so unzufrieden wie heute.
Competition in politics appears intense, which is usually good for customers. But today’s competition is failing, delivering gridlock and growing division instead of offering practical solutions to the nation’s problems. The parties compete on ideology and unrealistic promises, not on action and results. The parties compete to divide voters and serve special interests, rather than weigh and balance the interests of all citizens and find common ground to move the country forward. And there is no accountability for results. Those who fail the average citizen year after year remain in control.
Der politische Streit ist laut, aber ohne Nutzen für die Bürger. Im Streit geht es nicht um bessere Wege, sondern Gruppeninteressen. Problemstau und die Spaltung des Landes sind seine Ergebnisse statt praktischer Lösungen der wahren Probleme. Niemand ist verantwortlich für das Versagen und die Schuldigen bleiben im Amt.
There is a long list of culprits commonly blamed for our political problems … Many of these play a role, but they are symptoms. The underlying root cause is the kind of political competition that the parties have created, including their insulation from new competition that would better serve the public interest.
Die lange Liste der Schuldigen und politischen Probleme sind nur Symptome. Die Wurzel des Übels ist, dass die Parteien neue Teilnehmer an ihrem Wettbewerb ausgeschlossen haben. Also ohne Wettbewerb nur ihre eigenen Interesse verfolgen und nicht die der Bürger und des Landes.
Most people think of politics as its own unique public institution governed by impartial laws dating back to the founders. Not so. … It’s important to recognize that much of what constitutes today’s political system has no basis in the Constitution. As our system evolved, the parties—and a larger political industrial complex that surrounds them—established and optimized a set of rules and practices that enhanced their power and diminished our democracy.
Die Meisten glauben, dass Politik nach überparteilichen Regeln aus Gründer-Zeiten vor sich geht. Falsch. Vieles am heutigen System der USA findet in der Verfassung keine Grundlage. Die Parteien und ein politisch-industrieller Komplex, der sie umgibt, haben Regeln und Praktiken entwickelt, die ihre Macht vergrößerten und unsere Demokratie verkleinerten. Bei wem in Deutschland klingelt es da nicht beim Gedanken ans eigene Land und zugleich die EU?
The politics industry is different from virtually all other industries in the economy because the participants, themselves, control the rules of competition. There is
no truly independent regulation of politics that protects the public interest.
Die Politik-Industrie unterscheidet sich von allen Branchen der Wirtschaft, weil sie ihre Wettbewerbsregeln selbst macht und keiner unabhängigen Kontrolle unterliegt. Das Parteien-Duopol in den USA ist Spieler und Schiedsrichter zugleich – wie das Parteien-Kartell in Deutschland.
Our political system will not be self-correcting. The problems are systemic and structural, involving multiple factors that are self-reinforcing. This means that the only way to reform the system is by taking a set of steps to change the industry structure and the rules that underpin it—shifting the very nature of political competition.
Das politische System der USA wird sich nicht selbst korrigieren. Es braucht neue Regeln und Strukturen. Das ist auch der Befund vieler Beiträge in Deutschland, hier auf TE und anderswo.
Die Studie enthält umfangreiche Vorschläge, wie das außer Kontrolle geratene US-System korrigiert werden kann. Gemeinsam ist diesen Vorschlägen mit den meisten in Deutschland existierenden, dass sie insofern systemimmanent bleiben, weil sie alle voraussetzen, dass das außer Kontrolle geratene System dort wie hier von den im System außer Kontrolle geratenen korrigiert werden müsste. Der Gegeneinwand ist ebenso bekannt wie berechtigt: Warum sollten die Frösche den Sumpf trockenlegen?
Failed democracy
Deutschland, das ist mein Eindruck nach dieser Studie mehr denn je, ist Europas am meisten amerikanisiertes Land. Die Masseneinwanderung, die von einer unheiligen Allianz von politisch ideellen und wirtschaftlich materiellen Motiven gegen jedes geschriebene Recht weiter am Laufen gehalten wird, verwandelt Deutschland in einen Flickenteppich von kulturellen Inseln wie in den USA. Im besten Fall existieren sie nebeneinander in Parallelgesellschaften, im schlechtesten kommt es zum Aufeinanderprall von Gegengesellschaften mit eigenen Gesetzen, die sich um das einst geltende Recht nicht kümmern und auch von niemandem daran gehindert werden. Failed democracy. Und da democracy im Englischen weit mehr umfasst als Demokratie im Deutschen, vor allem auch the rule of law, die Herrschaft des Rechts, im Deutschen ohnehin zu Rechtsstaat höchst abgespeckt, reden wir dann vom Ende der Demokratie, wie wir sie kannten oder zu kennen glaubten.
Auf uns wartet der Kampf zwischen autoritären und dezentralen politischen Kräften. Die Köpfe, die den anführen werden, kennt noch niemand, aber sie sind garantiert alle schon da. Denn die Probleme suchen sich ihre Löser, nicht umgekehrt. Wie üblich in Amerika früher als in Europa. Trump ist übrigens nur der Katalysator, nicht die Lösung. Gilt für die Parallelen in Europa auch. Und von allen engagierten Bürgern dort wie da ist verlangt, was sie nicht haben: Geduld.