Der Spiegel steht für mich für eine besondere Produkterwartung. Wenn ich am Wochenende in das Magazin schaue, erwarte ich eine Tour d´ Horizont über die derzeit wichtigsten innenpolitischen und weltpolitischen Themen. Teilweise ist das gelungen: Einfuhrzölle, Wahlausgang in Italien, Müllberge, die in Deutschland bleiben, weil China sie nicht mehr nimmt. Aber was ist mit den designierten Ministern aus den Reihen der SPD? Ist der Spiegel dann doch nicht so nah am Geschehen, hatte auf diejenigen gesetzt, die jetzt nicht mehr mitspielen dürfen? Ich hatte schon die Erwartung zu erfahren, wie die Neulinge einzuschätzen sind. Stattdessen gibt es „Die Frauenrepublik“, ein Stück von Melanie Amann und anderen über „die Achse“ zwischen Angela Merkel und Andrea Nahles. Beobachtungen aus Berlin, aber eben nur Beobachtungen, Rückschlüsse, Informationen aus zweiter, dritter Hand, kein direkter Zugang.
Im Beitrag „Dann wackelt alles“ befürchten Frank Dohmen, Simon Hage und einige Kollegen, dass US-Präsident Donald Trump einen Handelskrieg anzettelt und den Exportweltmeister Deutschland damit bedroht. Der Beitrag hätte gut werden können, wenn nicht wieder dies unsagbar menschelnde wäre, all die Pseudoinformationen, die nichts zu Sache tun, wenn es nicht zu viele Spekulationen gäbe, wenn man Trump beizeiten ernst genommen hätte. „Unerwartet“, wie es im Beitrag heißt, kamen die Einfuhrzölle auf Stahl und Aluminium nicht. Es mag schwer fallen, den Charakter Trumps zu akzeptieren. Nach mehr als einem Jahr Regierungszeit sollte auch beim Spiegel angekommen sein, dass dieser Mann tut, was er sagt, es zumindest in die Wege leitet. Und es sollte angekommen sein, dass sehr persönliche Interessen mit nahen Zielen bei ihm Vorrang haben vor vorausschauender Staatsraison. Diese Einordnung könnte vieles erklären.
Der wichtigste Absatz in dem gesamten Beitrag geht fast unter: „Der Konflikt, der sich hier anbahnt, ist ein Zeichen für die Zeitenwende, in der sich die globale Wirtschaft befindet. Bislang lief die Konjunktur in den meisten Regionen rund, die Welt erlebt eine seltene Phase eines synchronen Aufschwungs in den meisten Regionen. Diese bequeme Zeit jedoch dürfte bald vorbei sein.“ Das ist die Herausforderung für die Politik. Aber das ist auch genau das, was gute Politik leisten muss. Ein „weiter so“ kann und wird es nicht geben. Denn auch Deutschland und Europa müssen sich den Protektionismus-Schuh anziehen.
Gar nicht erwähnt wird, dass Deutschland dank des Atomschirms der Nato Jahr für Jahr eine hohe Friedensdividende vereinnahmt. Bei dem von Trump geforderten Heraufschrauben der Rüstungsausgaben auf zwei Prozent des Sozialprodukts würden sicher die Amerikaner am stärksten von einem Anstieg der Rüstungsausgaben partizipieren. Wer sonst? Das wär ein Ansatz für einen „Deal“ – denn nichts anderes wird Trump wollen.
Eher unter die Rubrik peinlich fällt die Kolumne „Danke, Donald“ weniger wegen des Inhalts, vielmehr, weil Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer den Lesern sein neues Buch „Nachruf auf Amerika“ andient.
Das Highlight des Heftes ist für mich der Beitrag „Ein Sack in China“. Alexander Smoltczyk beschreibt sehr differenziert, wie China zum gelben Sack der Welt wurde und den nun zugebunden hat, indem das Land ein Importverbot für unsortierten, minderwertigen Müll verhängte. Denn die Recyclingindustrie hat genau das nicht gemacht, was sie von den Bürgern verlangt: Müll zu trennen. So kommt die schön eingerichtete Welt der deutschen Verpackungshersteller, der Recyclingindustrie und der Umweltpolitik ins Wanken, die nie so sauber war, wie man glauben machen wollte. Allerdings: Im Land der Tüftler öffnen sich auch neue Türen. Das Thema ist für mich titelwürdig, weil sowohl volkswirtschaftlich als auch umweltpolitisch relevant.
Marc Hujer war mit Markus Söder Tennis spielen und lernt, wie der Nürnberger, der am Donnerstag aller Voraussicht nach den Stab als Bayerischer Ministerpräsident übernimmt, Kampfgeist, Finesse und Gemeinheiten aus dem Sport auf die Politik überträgt („Winning Ugly“). Antje Windmann traf den Nationalspieler Per Mertesacker in London in einem Lokal und lernt, was Leistungssport mit Körper und Psyche macht und wie Mertesacker der nächsten Fußballgeneration als Leiter der Nachwuchsakademie von Arsenal den Blick für die Welt außerhalb des Fußballs schärfen will („Der Mensch im Trikot“).
Gesunde mögen es kaum glauben: Die Zeit, wenn die Tage wärmer werden, die Wiesen grüner und die Frühjahrsblüher Farbe ins Leben bringen, ist für Menschen mit Depressionen eine besondere Herausforderung. Das jedenfalls beobachten Psychiater und Psychologen Jahr für Jahr. Insofern kommt der Titel gerade zum richtigen Zeitpunkt. Die Selbsttötung von Robert Enke in der Titelgeschichte „Unter Wasser“ zum x-ten Male spaltenweise auszubreiten, wäre bei dem insgesamt sehr lesenswerten Beitrag nicht notwendig gewesen. Es hilft denjenigen nicht, die betroffen sind, und macht das Thema nicht zugänglicher für diejenigen, die mit dem Thema nichts anfangen können. Verzichtbar wäre auch die Aussage gewesen: „Die Krankheit ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen“. Depression ist eine Krankheit, für die gesellschaftliche Segmente keine Rolle spielen. Über das Thema als Krankheitsereignis zu reden, ist kein Tabu mehr, auch wenn es von vielen kleingeredet wird und immer noch 18 Prozent der Deutschen glauben, dass sich Depression mit Schokolade heilen ließe. Auch die Ärzteschaft und Krankenkassen müssen noch viel dazulernen.
In „Alles, was recht ist“ gießen Sven Röbel und Andreas Wassermann einen Kübel Jauche über Wolfgang Kubicki aus, der dem Mobilcom-Gründer Gerhard Schmid und dessen Frau angeblich auf Basis einer Erfolgsbeteiligung nach dessen Privatinsolvenz in Gerichtsprozessen zur Seite stand. Meinen Respekt für Herrn Kubicki, der seinen Freund auch nach dessen Sturz nicht fallen ließ, wie so viele andere es getan haben.
„Techfirmen als Frauenschreck“. Warum? Geschlechterforscher der kalifornischen Stanford University beobachten, dass Technikunternehmen interessierte Studentinnen vermutlich oftmals unbeabsichtigt systematisch abschrecken: Manche Präsentationen seien so dröge, dass Studentinnen enttäuscht die Lust verlören und den Raum verließen. Humoreske Einlagen wären häufig auf eine klassische Nerd-Kultur bezogen, etwa auf Star Wars oder bestimmte Videospiele. Extras wie Tischtennis, Tischfußball oder Kühlschränke voller Bier fänden Studentinnen zudem kaum reizvoll.