Nun dürfen wir eines vorab attestieren: Im Orchester dieser Big-4-Talkshows des Öffentlich-Rechtlichen (ÖR) ist lediglich Plasberg für Überraschungen gut. Also nicht, dass gelegentliche Ausreißer seine Tribunale rund um die Massenzuwanderung vergessen machen könnten. Aber was wäre, wenn, was Plasberg da in seltenen Momenten abliefert, doch das Maximale wäre, dass ihm der ÖR zähneknirschend nachsieht, ohne das hart aber fair deshalb gleich seinen Sendeplatz verliert?
Jetzt also die Essener Tafel bei Plasberg. Ein ganz großes Thema. Wird standesgemäß abgelaufenes Tafelwasser serviert? Oder wird sonst irgendwas Weggeworfenes zur Verkostung kredenzt? Aber das wäre wohl doch zu sehr Method Acting a la Dunja Hayali. Jedenfalls steht mit Blick auf den tapferen Bergmann eine kohlenssaure Debatte an. Eine, die wie aus dem Nichts aus den sozialen Medien aufsteigend erst die Leitmedien touchierte und dann bis tief ins Kanzleramt hinein zündelte.
Mann, was für eine Chance für Frank Plasberg, mal Rückgrat zu zeigen, beim Zuschauer zu punkten, ohne deshalb ins Risiko zu gehen, sein Verfallsdatum beim ÖR arg zu verkürzen. Wer die Entwicklung rund um die Essener Tafel und ihren couragierten Chef Jörg Sartor verfolgt hat, wer darüber mit seinem Nachbarn übern Gartenzaun hinweg geplaudert hat, der kann eine zunehmend ambivalente Haltung der Deutschen feststellen, Plasberg darf also heute gerne mutig sein, dieser Mut kostet ihn rein gar nichts.
Jörg Sartor muss im Vorfeld abgesagt haben, eingeladen wurde er zweifellos. Übrigens das Beste, das er tun konnte. So bringt er sich selbst nicht in Gefahr, doch noch Opfer eines dieser Plasberg-Überraschungs-Tribunale zu werden, die in der Vergangenheit immer dann so besonders wütend machten, wenn man mit dem Moderator gerade auf dem Wege der Versöhnung war. Der gute Bergmann Sartor ist also auch noch frei von jenen Eitelkeiten, die hier an der Plasbergtheke schon mal denjenigen zum Verhängnis werden, die nicht nein sagen können. Dem Essener also ein von Herzen kommendes „Glück auf!“ Und für Plasberg ein kleines wohlwollendes hintendran.
Ebenfalls mit dabei sind Katja Kipping für die Linkspartei, hier wäre Sahra Wagenknecht trotz Talkshow-Tourismus die bessere Wahl gewesen, denn im Gegensatz zu Frau Kipping hat sie sich früh und energisch in Richtung Essen positioniert. Und Wagenknecht war sogar gesetzt bei Plasberg, nun sitzt, warum auch immer, Katja Kipping da. Mal schauen. Manfred Baasner ist Chef der Wattenscheider Tafel, Stephan Mayer (CSU), innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion und Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, der mal in 2016 was ziemlich Asoziales geäußert hatte, als er zum Armutsbericht befand: „Wenn die schlechten Reste immer kleiner werden, konzentriert sich alles auf diese schlechten Reste. Die Negativierung wird dann zum Muster, anstatt dass man die Verbesserung der Welt und der menschlichen Existenz seit der Industrialisierung anerkennt und sich freut.“ Hat er was daraus gelernt?
Fehlt noch wer? Nein, eigentlich nicht. Trotzdem wurde Schlagersänger Frank Zander eingeladen, wohl, weil er sich für Obdachlose engagiert. Na gut, lange nichts von ihm gehört, mal lauschen, was kommt. Also los geht’s. Frank Plasberg, bitte, machen Sie was daraus, nutzen Sie diese Gelegenheit. Sie haben einiges wieder gutzumachen. Los geht’s: Fremde gegen Deutsche, Arme gegen Arme: Was zeigt der Fall der Essener Tafel?“
„Fremdenfeindliches Signal oder verständlicher Hilferuf?“, fragt Plasberg. Der Vorsitzende der Wattenscheider Tafel macht klar, dass er prinzipiell auf der Seite von Jörg Sartor steht. Er benennt aber Problemgruppen auf allen Seiten. In Wattenscheid hat man die Gruppen getrennt: Zuerst die Alten. Das hat funktioniert, sagt Manfred Baasner. Stephan Mayer erinnert an die Ehrenamtlichen, denen man den Vorwurf gemacht hätte, Ausländerhasser zu sein. „Diese Menschen haben nicht verdient als Neonazis beschimpft zu werden.“ Mayer findet, man könnte stolz sein auf die über 900 Tafeln. Dem Staat kann man nicht den Vorwurf machen, unsozial zu sein, es wäre eine gute Ergänzung.
Katja Kipping betont die Notwendigkeit eines starken Sozialpaktes, die sich aus der politischen Situation ergeben hätte. Die Tafeln wären doch Ergebnis des Versagens der Bundespolitik. Frank Zander veranstaltet jedes Weihnachten ein Weihnachtsgansessen für mittlerweile dreitausend Obdachlose. Er erinnert in sympathisch basischem Berlinerisch an den Bahnhof Zoo, „hinterm Bahnhof riecht es nach Urin, davor wird edel gebaut.“ Verwöhnten Töchtern empfiehlt er, doch mal eine Woche zu helfen bei den Obdachlosen. Katja Kipping wird er ja hoffentlich nicht gemeint haben, oder doch?
Plasberg kann es nicht lassen, er fragt Baasner, ob er Briefe bekommen hätte, beispielsweise von der AfD, vielleicht mit Inhalten wie „Deutsche zuerst“. Das allerdings hätte er besser nicht versuchen sollen, denn dieser Baasner scheint aus dem selben Holz geschnitzt, wie sein Kollege aus Essen, deshalb geben wir die Antwort des Wattenscheider Tafelchefs gerne mal im O-Ton wieder:
„Na ja, ich meine, das ist eine Partei, die ist jetzt neu im Bundestag. Und die wird sicherlich auch alles machen, damit sie in den Fokus kommt jetzt. Wir haben auch ein Schreiben bekommen. Das ist eine hilfreiche Sache, sie bieten viel an. Aber weil es eine politische Größe ist, habe ich schon meine Hemmungen und würde sagen, ich werde nicht drauf eingehen, weil ich muss diese Menschen auch kennenlernen. Und in dem Fall weiß ich, was passiert: Die Politik kommt, lässt sich dann ablichten, sind dabei, und das geht nicht, das werde ich nicht tun.“
Gut, unkritisch war das auch nicht, aber es war ehrlich und nachvollziehbar. Und es bezog sich durchaus auf alle politischen Parteien, wenn sie ihre Spendenbereitschaft instrumentalisieren wollten.
Katja Kipping macht noch mal auf die Harz-4 Sanktionen aufmerksam, welche eine Mehrheit im Bundestag hätte. Offensichtlich wird es Plasberg in dem Moment zu seicht, also wildert er auf dem Twitter-Account ausgerechnet von Jutta Ditfurth, die dort über die Tafelhelfer im Allgemeinen wütete:
„In der Tafel-Diskussion ist auffallend, wie autoritär viele Tafelmitarbeiter argumentieren – weil sie andere herumkommandieren und demütigen können.“
Wumms, Baasner platzt gleich der Hut und er sagt es auch so: „So was Verrücktes habe ich noch nie gehört.“ Aber Jutta Ditfurth steht nicht alleine da, sie bekommt Einspieler-Unterstützung von Prof. Stefan-Selke, der wohl so etwas wie ein selbsternannter Tafel-Forscher sein muss: „Die Tafeln haben sich eigene Rechtsräume geschaffen. Sie knüpfen Hilfe an bestimmte Bedingungen, dabei sollte Hilfe bedingungslos sein.“
Michael Hüther erinnert noch einmal daran: „Tafeln sind etwas, das im Rahmen der freiheitlichen Selbstermächtigung stattfindet. Der Staat hat seine Grundleistungen zu erbringen. Aber das so zu diffamieren (wie Ditfurth) als Parallelsystem, heißt, dass man Menschen, die sich freiheitlich auf den Weg machen (diffamiert).“
Nun kann man sich, wenn man einmal über Ditfurths Haltung nachdenken mag, durchaus auch an ein paar typisch deutsche Charaktereigenschaften erinnern. Gründe genug gibt es für viele, sich nicht gerne in Vereinen oder Ehrenämtern zu bewegen, ohne deshalb automatisch faul oder unsozial zu sein. Aber es gibt wohl schon noch einen Unterschied zwischen der Karnevalssitzung, die auch ehrenamtlich passiert und dem Ehrenamt bei einer Tafel mit allen Herausforderungen, wie sie nun in Essen bekannt wurden.
Nun wollte Jörg Sartor die Rentner wiedergewinnen. Und tatsächlich sind die Rentner von heute, die sich an Tafeln anstellen müssen, die Vorboten einer anzunehmenden ansteigenden Altersarmut der Zukunft. Gehört ihnen die besondere Aufmerksamkeit, wie sie ihnen nun die Essener Tafel zugestehen wollte gegenüber 75 Prozent meist junger männlicher Flüchtlinge und Migranten?
Nun fragt man sich nach mehr als zwei Dritteln der Sendung allerdings, warum die Zuwanderungskosten hier nicht zur Sprache kommen. Und man fragt sich, was gewesen wäre, wenn es keine milliardenteure Zuwanderung gegeben hätte, wären die Milliarden dann für die Rentner verwendet worden? Warum konnte man diese Summen nicht aufbringen, als von Zuwanderung noch gar keine Rede war? Hier ist ein Rechtfertigungsdruck entstanden, dem sich die regierenden Parteien der letzten zwanzig Jahre noch stellen müssen.
„Die Vermeidung von Armut beginnt bei den Arbeitsagenturen“, da müssten mehr Betreuer hin, findet Michael Hüther. Und er lobt die Entwicklung in Deutschland, als würde es Zuwanderung überhaupt nicht geben. Ein Optimismus, den man erst einmal verstehen muss. Frank Zander sagt ihm durch die Blume, dass seine akademische Sprache aber leider der Realität nicht standhalten würde. Bei seinen Weihnachtsfeiern würde es nach Schweiß riechen, nach Tränen und Alkohol „und nicht nach Parfüm, wie bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes.“ Daraufhin schmückt sich Michael Hüther mit einer Obdachlosen, die wohl irgendwo hinterm Institut hausen würde. Die würde auch riechen und sei wohl leider hilferesistent. Ach herrje, besser mal ruhig sein. Angriffe sacken lassen.
Katja Kipping geht ein bisschen unter. Da wäre sicher mehr drin gewesen. Was war los? Zu überrascht über die Nachnominierung, weil Wagenknecht abgesagt hatte? Aber möglicherweise spiegelt das auch jene Dissonanz, die beim Themenkreis Flüchtlinge und Zuwanderung in jeder Debatte innerhalb der Linken so präsent ist. Selten allerdings war die Linke so massenkompatibel wie hier. Dieser Dissens ist ein gesamtgesellschaftlicher.
Katja Kipping sorgt dann aber noch für eine schöne Spitze zum Schluss an Frank Plasberg gerichtet: „Manchmal hat man das Gefühl, bei Twitter hat man mehr Zeit, sich auszudrücken, als bei Ihnen.“ Also schauen wir zum Schluss mal, was Frau Kipping zur Sendung twittert, aber die letzte Meldung der Linken ist schon elf Stunden alt. Symptomatisch für die Sprachlosigkeit der Linken, wenn es um Konflikte zwischen den Ärmsten geht? Zwischen den ärmeren Deutschen als eigentlichen Stammklientel und den Flüchtlingen und Migranten, die neu dazugekommen sind? Schade eigentlich, oder?